Kur neu: Mehr Bewegung, weniger Massage

Kneipp und Kuranstalt
Kneipp und Kuranstalt(c) Austrian Archives / Imagno
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Die Kur gerät zunehmend in Kritik. In einem Pilotprojekt wird nun ein neues Konzept getestet: mehr Sport, weniger Wellness. Das begeistert Ärzte, die Kurorte allerdings weniger.

So gut wie jeder hat jemanden in seinem weiten Bekanntenkreis oder kennt zumindest die Geschichten: Da schmerzt der Rücken, der apfelrunde Bauch macht das Erreichen der Tastatur am Schreibtisch auch nicht so angenehm, die trockene Luft im Büro tut ihr Übriges. Das allgemeine Wohlbefinden ist unterdurchschnittlich – und schon wird eine Kur beantragt. Eine Kur dient „bei Berufstätigen der Erhaltung der Leistungsfähigkeit“ und bei Pensionisten soll „Pflegebedürftigkeit vermieden bzw. reduziert werden“, heißt es auf der Website der Pensionsversicherungsanstalt. Drei Wochen Moorpackungen, Thermalbäder, Massagen und Wanderungen im Grünen, damit werden der tägliche Genuss von Schnitzel und Knödel und die fehlende Bewegung das ganze Jahr über wieder wettgemacht – glaubt zumindest so mancher Betroffene. Kein Wunder, dass die Kur als Gratisurlaub auf Kosten der Steuerzahler verschrien ist.

Die Kur in Österreich, das ist ein Stück heimischer Geschichte, deren Sinn sich jüngeren Menschen meist gar nicht mehr erschließt. Schon zu Kaisers Zeiten war die Kur populär, heute werden rund 147.000 Kuren jedes Jahr bewilligt, aussagekräftige Daten über verschiedene Aspekte im Kurwesen – wer sie verschrieben bekommt und warum – gibt es kaum. Nicht umsonst nannte Peter McDonald, damals noch Sozialversicherungschef, die Kur „nicht zeitgemäß“. Was nur bedingt stimmt. Denn die Kur ist ein wichtiger Wirtschaftszweig in Österreich mit 75 Kurorten und dazugehöriger Infrastruktur. Schon allein deswegen hält man im Land an der Kur fest – will sie, bei aller Kritik, reformieren.

Projektstart 2014. Seit Anfang 2014 gibt es bereits das Pilotprojekt Kur neu, das unter dem für die Kur weitaus passenderen Namen Gesundheitsvorsorge aktiv läuft. Es dauert noch bis Ende 2016 und wird in acht Kurbetrieben (siehe Infokasten) abgehalten.

Die erste große Veränderung gleich vorweg: Die Kur neu beinhaltet mehr Sport als die herkömmliche. Denn Basis sind nicht mehr Bäder und Co., sondern Aktivierung. Was so manchem Kurgast wohl unangenehm auffallen dürfte. Doch das Bild vom bezahlten Urlaub ist nicht mehr tragbar, daher hat man den Therapieumfang um rund 400 Minuten auf 1400 Minuten ausgedehnt. Auch passive Elemente wie Massagen wurden stark reduziert, dafür gibt es viel mehr Bewegung. Der Kurgast ist jetzt wesentlich mehr gefordert.

Ob es just deswegen ein Alterslimit für den Testbetrieb der Kur neu gibt, sei dahingestellt. Faktum ist: Kurgäste des Pilotprojekts dürfen nicht älter als 55 Jahre alt und noch nie auf Kur gewesen sein. „Sonst hätten sie vielleicht falsche Erwartungen und würden sich mehr Massagen und Bäder erwarten, die ja in der Anzahl ziemlich reduziert worden sind. Und enttäuschte Erwartungen würden die Studiendaten verfälschen“, erklärt Günther Wiesinger, Facharzt für physikalische Medizin und Rehabilitation. Wiesinger ist Geschäftsführer und wissenschaftlicher Direktor des Schloss-Kurhotels Strobl und einer der Entwickler der neuen Kurvariante. Zwar gibt es noch keine Endauswertung des Projekts, aber eines stehe schon jetzt fest: Die Kur neu würde bei Patienten enorm gut ankommen. „Es ist eine andere Klientel als noch vor 20 Jahren.“

Kur wird individueller. Das neue Konzept ist auch wesentlich flexibler. „Auf das Basismodul für alle Kurgäste wird ein individuelles Modul angeschlossen. Je nachdem, wo die Problematik des Einzelnen liegt, wird der Fokus mehr auf Bewegung, Ernährung oder mentale Gesundheit gesetzt“, erklärt Gudrun Seiwald, seit März 2015 Chefärztin der Pensionsversicherungsanstalt – mit rund fünf Millionen Mitgliedern Österreichs größter Sozialversicherungsträger. Damit wird auch das ganze Programm für die Gäste individueller: „Die Kurgäste nehmen das super an. Viele schwärmen regelrecht, das bringe sie weiter, da hätten sie wirklich etwas davon“, erzählt Verena Böheim, Geschäftsführerin vom Kurhaus Bad Gleichenberg, wo das Pilotprojekt unter anderem stattfindet. Sie ist überzeugt, dass der neue Weg der absolut richtige sei.

Davon ist auch Henry Puff, ärztlicher Leiter im Humanomed-Zentrum Althofen (ebenfalls Pilotprojektstandort) überzeugt. Die meisten seiner Patienten würden sehr rasch begreifen, dass die Kur neu mehr als ein Urlaub sei. Nämlich eine Anleitung für ein besseres Leben, „und sie erkennen, dass ihnen ein geänderter Lebensstil mehr Lebensqualität bringt, und sie nehmen vieles sehr wohl mit in den Alltag.“ Womit eines der Hauptziele der Kur neu, nämlich Prävention – also Menschen zu motivieren, ihr Leben gesünder zu gestalten, bevor sie krank werden – theoretisch erreicht wäre.

Wären da nicht Gegenstimmen zu vernehmen. „Ich habe schon mehrfach gehört, dass vielen das Programm zu anstrengend ist. Dass viele Patienten das gar nicht bewältigen können“, sagt Kurt Kaufmann, Geschäftsführer des österreichischen Heilbäder- und Kurorteverbands. Und dabei sind die Pilot-Kurgäste gerade einmal maximal 55 Jahre alt.

„Pensionisten werden ohnedies immer seltener Kuraufenthalte genehmigt, das ist eigentlich nicht zu verstehen“, kritisieren Arzt Henry Puff und Josef Sommer, Präsident des österreichischen Heilbäder- und Kurorteverbands. Besonders Sommer sieht das Kur-neu-Projekt kritisch: „Die Alten kriegen immer seltener eine Kur, und die Jüngeren werden in bestimmte Zentren geschickt. Wir fordern, dass es künftig beide Kurvarianten gibt, dass Menschen unabhängig von ihrem Alter eine Bewilligung bekommen, dass die Gesundheitsvorsorge aktiv nur in Kurorten stattfinden soll und dass alle österreichischen Kurorte beide Varianten anbieten können sollen, so sie über die nötige Ausstattung verfügen.“

Inhalt überdenken. Chefärztin Seiwald kennt die Kritik: „Selbstverständlich wird es in Zukunft nicht nur die Gesundheitsvorsorge aktiv geben. Dennoch muss auch der Inhalt der herkömmlichen Kur noch einmal überdacht und eventuell hinsichtlich ihrer Effektivität abgewandelt werden.“

Ihre diplomatische Antwort kommt nicht von ungefähr. Die Kurorte beobachten die neue Entwicklung kritisch. Viele fürchten um ihr Geschäft und Jobs im Ort. „Die neue Variante der Kur könnte im Prinzip genauso gut auf dem Zentralbahnhof Wien durchgeführt werden“, heißt es aus dem österreichischen Heilbäder- und Kurorteverband. „Die Kur neu ist nicht mehr an natürliche Heilmittel und gute Luft gebunden. Denn für die Hauptsäulen des neuen Konzepts, also für Bewegung, Ernährung und mentale Gesundheit, bedarf es weder eines Moors noch Thermalwassers. Klassische Kurmittel haben hier keinen Stellenwert mehr. Und wir fürchten, dass damit der Tod einiger traditioneller Kurorte eingeleitet werden könnte“, sagt Sommer. Das werde sicher nicht der Fall sein, kontert Gudrun Seiwald. „Auch für die Kur neu ist es wichtig, dass sie in einer gesunden Umgebung stattfindet, und natürliche Heilmittel werden selbstverständlich auch fortan ihre Berechtigung haben.“

Volkswirtschaftlicher Sinn. Ohnehin gibt es auch Befürworter der alten Kur: „Es gibt genug Studien, die beweisen, dass die Einsparungskosten bei Medikamenten und Krankenstandstagen nach einer herkömmlichen Kur ungefähr dreimal so hoch sind wie jener Betrag, den eine Kur kostet“, sagt Wolfgang Marktl, Kurforscher und Präsident der Wiener internationalen Akademie für Ganzheitsmedizin. Apropos Kosten: „Eine Kur hat volkswirtschaftlich logischerweise für jüngere, aber auch für ältere Menschen Sinn“, meint Wiesinger. Und man solle sie der reiferen Generation keinesfalls vorenthalten. Sie müsse freilich etwas anders ausschauen wie die Gesundheitsvorsorge aktiv. „Die alte Kur muss auf alle Fälle weiter bestehen bleiben“, fordert jedenfalls Henry Puff, „auch wenn die Gesundheitsvorsorge aktiv eine tolle Sache ist.“

Was diese endgültig bringt, wird sich freilich erst zeigen. „So, wie es momentan aussieht, ist Gesundheitsvorsorge aktiv fit für die Zukunft, die ersten Auswertungen sehen sehr gut aus“, sagt Kurmitentwickler Günther Wiesinger. Allerdings, wirft Gudrun Seiwald ein, zeigen erste Zwischenergebnisse, dass Adaptierungsmaßnahmen ziemlich sicher nötig sein werden. Ende Dezember wisse man mehr.

Die Kur

In Österreich gibt es 75 Kurorte mit rund 400 Kureinrichtungen und 152 anerkannten natürlichen Heilvorkommen.

Auf einen Kuraufenthalt besteht kein gesetzlicher Anspruch, es sind freiwillige Leistungen, die vom Versicherungsträger (Pensions- oder Krankenversicherung) gewährt werden können (oder auch nicht). Eine Kur ist eine Vorsorgemaßnahme und dient zur Festigung der Gesundheit. Eine Rehabilitation (kostet bei Stütz- und Bewegungsapparat ca. doppelt so viel wie eine Kur) ist jedoch Pflichtaufgabe der Pensionsversicherung oder Krankenkassen. Eine Rehabilitation soll nach Krankheit oder Unfall die Arbeitsfähigkeit bzw. die größtmögliche Selbstständigkeit wieder herstellen.

Die österreichischen Sozialversicherungsträger geben jährlich für Rehabilitation und Gesundheitsvorsorge rund eine Milliarde Euro aus. In Österreich werden im Jahr rund 120.000 Kuren genehmigt, die Versichertengemeinschaft zahlt pro Kur im Schnitt 1900 Euro.

Folgende acht Einrichtungen bieten die Gesundheitsvorsorge aktiv, also die neue, aktivere Form der Kur an:

• Schloss-Kurhotel Strobl (Salzburg) • Gesundheitszentrum Bad Sauerbrunn und Kurbad Tatzmannsdorf (beide Burgenland)
• Humanomed-Zentrum Althofen (Kärnten)
• Kurzentrum Moorheilbad Harbach (Niederösterreich)
• Kurhaus Bad Gleichenberg und Thermalhotel Fontana (beide Steiermark)
• Kurzentrum Umhausen (Tirol).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.05.2016)

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