Christiane Druml: "Sterben ist für Ärzte Scheitern"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Christiane Druml, die Leiterin der Bioethikkommission, meint, dass man das Fortpflanzungsmedizingesetz schon wieder reformieren sollte - und dass man dringend über die Therapiekosten am Lebensende nachdenken muss.

Vor etwas mehr als einem Jahr hat die Bioethikkommission die Empfehlungen zum Lebensende vorgelegt. Wie zufrieden sind Sie mit dem, was sich seither politisch getan hat?

Christiane Druml: Obwohl Fragen wie jene der Übertherapie am Lebensende wesentlich sind und in unserer Gesellschaft emotionell diskutiert werden, haben zuletzt politisch andere Themen – etwa die Flüchtlinge – die öffentliche Aufmerksamkeit dominiert.

Deutschland hat trotz Flüchtlingskrise den assistierten Suizid neu geregelt. Er ist weiterhin erlaubt, aber in ganz engen Grenzen. Eine gute Lösung?

Ich glaube, die Deutschen wären ohne die Neuregelung besser dran. Jetzt sind alle noch verunsicherter.

Auch Sie – also die Bioethikkommission – wollten eine Neuregelung des assistierten Suizids, die aber noch strenger als die deutsche gewesen wäre.

Ja, aber die Situation hier ist eine andere. In Österreich ist jegliche Beihilfe verboten. Schon ein offenes Gespräch mit dem Arzt ist ein Graubereich. Wenn jemand zum Arzt sagt, er habe einen tödlichen Gehirntumor und wolle das Ende nicht abwarten, müsste ihn der Arzt eigentlich in die Psychiatrie einweisen.

Bei der parlamentarischen Enquete „Sterben in Würde“ im Vorjahr wurde das Thema Suizid ausgespart. Ist es damit vom Tisch?

Ich fand das traurig. Bei so einer Veranstaltung müsste alles auf den Tisch. Bei uns muss es leider immer erst einen Anlassfall für eine Debatte geben!

Bei der Fortpflanzungsmedizin haben höchstgerichtliche Entscheidungen zu einer Änderung der Gesetze geführt. Glauben Sie, dass es bei dem assistierten Suizid auch so sein wird?

Das kann man nicht vergleichen. Bei der Reproduktionsmedizin hatte Österreich ein sehr altes Gesetz, das in den vergangenen 20Jahren den technischen und gesellschaftlichen Veränderungen nicht angepasst wurde. Beim Lebensende gibt es zwar ebenso weltweit Diskussionen, jedoch keinen derartigen Änderungsdruck.

Finden Sie es eigentlich demokratiepolitisch bedenklich, wenn solche Reformen fallorientiert von Richtern und nicht vom Parlament ausgehen?

Ethische Fragen sind oft ideologisch gewichtet, und wenn eine Koalition aus Partnern besteht, die ideologisch verschiedener Ansicht sind, kommt es zu keiner Lösung.

Das neue Fortpflanzungsmedizingesetz, das auf Vorschlägen der Bioethikkommission basiert, ist auch schon wieder ein Jahr alt. Es erlaubt Eizellenspenden – doch hat sich gezeigt, dass es kaum Spenderinnen gibt. Müsste man das Gesetz nun wieder ändern?

Wenn man will, dass die Eizellenspende zugänglich ist – ja.

Ein Grund scheint zu sein, dass die Aufwandsentschädigung den Spenderinnen zu gering ist. Wäre es ethisch vertretbar, mehr zu zahlen?

Ich denke, man kann die Aufwandsentschädigung großzügiger regeln, ohne unethisch zu werden. Denn wenn man das ehrlich betrachtet, hat jeder der Beteiligten einen Gewinn: Die Empfängerin bekommt ein Kind, die Kliniken verdienen. Nur für diejenige, die all das durch ihre Spende ermöglicht, soll dabei nichts herausschauen?

Welche Rolle hat die katholische Kirche in den Debatten zur Fortpflanzungsmedizin und zum Lebensende gespielt? Ist sie ein mächtiger Faktor?

Ja, ein wesentlicher. Auch in der Kirche sind die Meinungen keineswegs einheitlich. Obwohl die gesellschaftlichen Änderungen groß sind und die Zahl der Mitglieder abnimmt, ist die Meinung des Kardinals und der Kirche nach wie vor dominant.

Ist ihr Einfluss zu groß?

Ich glaube, das Problem ist ein anderes: Es gibt vonseiten der Kirche einen Unwillen zum Diskurs. Sie wünscht sich, dass alle nach ihrem Modell leben, auch jene, die nicht Teil der Kirche sind. Es gilt also nicht: im Zweifel für die Freiheit. Das macht es schwierig.

Aktuell arbeitet die Bioethikkommission an dem Megathema „Medizin und Ökonomie“. Glauben Sie, dass Patienten künftig öfter den Satz hören: Wir könnten Sie heilen, aber es ist zu teuer? Ich denke da an die berühmte 1000-Dollar-Pille gegen Hepatitis C.

Möglich. Umso wichtiger ist es – und das ist unser Ziel –, dass es klare Richtlinien gibt, damit diese ökonomischen Abwägungen nicht den einzelnen Ärzten am Krankenbett aufgebürdet werden. Ein Arzt wird immer für den Patienten entscheiden.

Um bei der Hepatitis-C-Pille zu bleiben: Hepatologe Peter Ferenci meint, dass sich der Preis nicht an den Entwicklungskosten, sondern an der Marktanalyse orientiert. Wäre es gerecht, Pharmafirmen zu verpflichten, den Preis anhand der Kosten zu kalkulieren?

Ich glaube, das ist weniger eine Frage der Gerechtigkeit als der Machbarkeit.

Die höchsten Kosten im Gesundheitssystem fallen am Lebensende an. Je knapper davor, desto höher – das hat Georg Marckmann vom Institut für Ethik in der Medizin von der Ludwig-Maximilians-Universität München berechnet. Was heißt das für die Verteilung der Ressourcen? Dass man dort am meisten sparen kann, sparen muss?

Tatsächlich könnten viele Therapien am Lebensende vermieden werden. Aber nicht, weil sie teuer sind, sondern weil sie nur den Sterbeprozess verlängern – nicht das Leben. Als Arzt darf ich nur sinnvolle Maßnahmen setzen, sprich solche, die einem erreichbaren Therapieziel dienen.

Aber die Frage ist: Was ist sinnvoll? Wenn jemand mit einer extrem teuren onkologischen Therapie einen Monat länger leben kann, soll er sie dann bekommen? Oder muss man im Sinne der Verteilungsgerechtigkeit sagen: Tut mir leid, das zahlt sich nicht aus?

Die Frage ist falsch gestellt. Ich denke, man muss den Patienten oft nur besser darüber aufklären, welche Lebensqualität eine solche Behandlung bringt. Manchmal bedeutet ein Monat mehr bloß einen Monat mehr im Dämmerzustand. Patienten, die sich darüber im Klaren sind, wählen vielleicht lieber eine palliative Behandlung für ihre verbleibenden Tage.

Klären die Ärzte denn zu schlecht auf?

Übertherapie passiert vor allem, weil das Sterben für Ärzte immer noch ein Scheitern ist. Und sie wollen sich gegen den Vorwurf, nicht alles getan zu haben, absichern. Heutzutage kommt ein großer Anteil der Sterbenden auf die Intensivstation. Früher war das jenen vorbehalten, von denen man annahm, dass sie wieder in ein normales Leben zurückkehren werden. Man muss diese Kultur des Sterbens ändern.

Und Einsparungen wären dabei der angenehme Nebeneffekt dieses Kulturwandels?

Das würde ich so nie formulieren. Das wäre brutal.

Steckbrief

Christiane Druml ist Vorsitzende der heimischen Bioethikkommission. Diese berät den Bundeskanzler aus ethischer Sicht in gesellschaftspolitisch-naturwissenschaftlich-rechtlichen Fragen. Seit heuer hat Druml auch Österreichs ersten Bioethik-Lehrstuhl inne, der von der Unesco und der Med-Uni Wien eingerichtet wurde. Zudem leitet sie die medizinischen Sammlungen im Wiener Josephinum. Die aktuelle Sonderschau „de oculis“ widmet sich dem Auge.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.05.2016)

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