In drei Schritten zu weniger Zucker

„Wir lernen das zu lieben, was wir häufig essen“, sagt Ernährungswissenschaftlerin Hanni Rützler.
„Wir lernen das zu lieben, was wir häufig essen“, sagt Ernährungswissenschaftlerin Hanni Rützler.Die Presse/Clemens Fabry
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England will eine Zuckersteuer auf Süßgetränke einheben, um die Konsumenten vom übermäßig Süßen zu entwöhnen. Gar kein Zucker ist auch keine Lösung, wir können aber darauf achten, weniger Süßes zu uns zu nehmen.

Vergangenen März trat der britische Finanzminister George Osborne im Dienste der Volksgesundheit vor die Presse und gab bekannt, dass Großbritannien im Kampf gegen Übergewicht und Diabetes einen klaren Feind ausgemacht habe und künftig eine Zuckersteuer auf Süßgetränke einzuheben gedenke. Jedes fünfjährige Kind, so geißelte Osborne das süße Übel, konsumiere heutzutage pro Jahr bereits das Äquivalent seines eigenen Körpergewichts an raffiniertem Zucker. Er wolle sich später nicht den Vorwurf machen müssen, man habe das Problem zwar erkannt, doch nichts dagegen unternommen.

Südafrika und Australien planen zurzeit ähnliche Maßnahmen. Länder wie Dänemark, Ungarn, Belgien, Frankreich und Mexiko haben den Schritt in den vergangenen Jahren bereits ohne großes Trara vollzogen. Die Briten geben den Softdrinkproduzenten nun zwei Jahre Zeit, um den Zuckergehalt in ihren Limos schrittweise herabzusetzen und ihre Konsumenten vom übermäßig Süßen zu entwöhnen. Eine sanfte, aber bestimmte Reduktion, so ist die Ernährungswissenschaftlerin Hanni Rützler überzeugt, könne letztendlich auch beim persönlichen Zuckerkonsum jedes Einzelnen zu einem vernünftigen Umgang mit der Süße führen.

Schrittweise Entwöhnung

Nicht ein Verbot, sondern vielmehr die schrittweise Entwöhnung sei das Mittel zum Zweck, und das Ziel eine langfristig gesunde Ernährung ohne das Gefühl dauernder Entsagung, so die Lebensmittelforscherin. Wer seinen Zuckerkonsum in vernünftige Bahnen lenken wolle, solle sich nicht mit Wehmut darauf konzentrieren, welche Leckereien fürderhin verboten seien, sondern schrittweise lernen, mit weniger süßen, dafür gesünderen Produkten mindestens genauso glücklich zu sein.

„Wir lernen das zu lieben, was wir häufig essen“, sagt Hanni Rützler, „und die Geschmacksknospen gewöhnen sich daran, auch an weniger Süßem den größten Genuss zu finden.“ Letztlich gehe es darum, bewusster hinzuschmecken, sich zum Genuss zu erziehen und damit ganz neue Geschmackswelten zu entdecken.

Schritt eins auf dem Weg der Zuckerreduktion besteht darin, zuallererst einmal die Entscheidung zu fällen und sich die diversen Zuckerfallen gezielt bewusst zu machen. Denn das Problem ist nicht die Substanz Zucker an sich, sondern die Menge, in der sie konsumiert wird, und dazu muss man gar nicht aus der Zuckerdose löffeln. So steckt nicht nur in Softdrinks jede Menge Zucker, sondern vor allem auch in Fertiggerichten und Convenience-Produkten. Pro 100 Gramm enthalten etwa Zwiebelpackerlsuppen 24 Gramm Zucker, Fruchtjoghurts bis zu 16,6 Gramm. Tomatenketchup besteht je nach Marke aus bis zu 23 Prozent Zucker, bei Gummibärchen sind es gar bis zu 60 Prozent, und selbst in Fertigpizzen steckt der süße Fettmacher in erstaunlichen Mengen.

Analyse der eigenen Gewohnheiten

Schritt zwei ist die Analyse der eigenen Gewohnheiten: In welcher Form nimmt man den meisten Zucker zu sich? Oft, so Rützler, seien es süße Limonaden, Saucen, hochverarbeitete Fertigprodukte und Zuckerfallen wie Fruchtjoghurt, das gern so viel Zucker enthält wie Softdrinks. Schritt drei ist die bewusste Reduktion: Süße Getränke können mit Wasser verdünnt werden, Fruchtjoghurt kann aus frischen Früchten und Naturjoghurt schnell selbst zubereitet werden.

Was das Nachsüßen mit süß schmeckenden Kohlenhydraten, also mit kalorienarmen bis -freien Zuckeraustauschstoffen wie Xylit, Erythrit und Stevia anlangt, ist Expertin Rützler allerdings vorsichtig skeptisch. „Nicht alles, was eine E-Nummer hat, ist giftig oder schlecht“, sagt sie, doch den Zucker lediglich zu ersetzen sei höchstens eine Notlösung, denn sinnvoller sei es, das Geschmacksverhalten selbst zu erziehen.

Dickmacher Zucker

Obwohl jeder Ernährungsexperte aus nachvollziehbaren Gründen vor Zuckerüberkonsum warnt, weil zu viel Zucker nicht nur nachweislich dick macht, sondern der Gesundheit auch in vielerlei anderer Hinsicht schadet, ist die derzeit gern propagierte „zuckerfreie“ Diät letztlich Unsinn. Ohne Zucker können wir nicht sein, unser Körper benötigt ihn als Energielieferanten.

Obst, Gemüse, Kartoffeln, Getreide – sie alle enthalten Zucker, denn diesen gibt es in den verschiedensten Formen, von der Saccharose, dem Haushaltszucker, über die Maltose bis zu Fructose und Glucose. Er kommt jedoch in natürlicher Form niemals isoliert vor, und erst das Zusammenspiel verschiedener Substanzen ermöglicht die langsame, vollständige Verstoffwechselung des Zuckers, ohne den Blutzuckerspiegel so rasch in die Höhe zu katapultieren wie raffinierter Industriezucker.

Die Saccharose, eigentlich ein Zweifachzucker aus Glucose und Fructose, belastet nicht nur die Insulinproduzentin Bauchspeicheldrüse, sondern auch Leber, Nieren, Darm. Wer seinen Zuckerkonsum in den Griff bekommen will, hat mit dem sogenannten Glykämischen Index ein probates Hilfsmittel an der Hand. Je höher der GI ist, desto schneller steigt der Blutzuckerspiegel an, je niedriger, desto langsamer erfolgt die Verstoffwechselung, desto schonender arbeitet die Bauchspeicheldrüse, desto weniger groß ist das sofortige Verlangen nach süßem Nachschub.

Wer sein Heil in natürlichen süßen Alternativen wie Honig, Ahornsirup und diversen Dicksäften sucht, wird zwar bekömmlichere Zuckerkombinationen finden, jedoch immer noch Zucker zu sich nehmen. Auch hier gilt der simple Grundsatz: Lieber auf Qualität setzen statt auf Quantität.

Zucker ist nichts Giftiges

Zusammenfassend meint Hanni Rützler: „Zucker in Maßen ist nichts Giftiges, doch weit interessanter als der Griff in die Zuckerdose ist es, die vielen spannenden Geschmäcker zu entdecken, die die Natur zu bieten hat.“ Man kann sich also beispielsweise auf die Suche nach guten, reifen Erdbeeren machen, statt fade, wässrige Früchte aufzuzuckern.

Man kann schrittweise die Zuckerdosis in Kaffee und Tee reduzieren und wird eine neue Geschmackswelt kennenlernen. Dass man mit der konsequenten Verhaltensänderung schließlich auch weniger Kalorien zu sich nimmt und mit Glück recht bald der Gürtel ein wenig enger geschnallt werden kann, dürfte ein zusätzlicher Ansporn sein, sich gesünder und zuckerärmer zu ernähren.

Fakten

Rund 34 Kilo Haushaltszucker verspeist jeder Österreicher laut Statistik Austria pro Jahr. Allein das ist doppelt so viel, wie die Weltgesundheitsorganisation WHO in ihrer vor einem Jahr veröffentlichten Richtlinie in Sachen Zucker empfiehlt, doch noch nicht eingerechnet sind da die versteckten Zucker in Softdrinks und Fertiggerichten. Laut WHO sollten Erwachsene pro Tag nicht mehr als 50 Gramm Zucker zu sich nehmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2016)

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