Was man über Allergien wissen sollte

Root celery, Apium graveolens, on jute and dark wooden table, elevated view
Root celery, Apium graveolens, on jute and dark wooden table, elevated viewWestend61 / picturedesk.com
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Ein Hakenwurm als Allergiebehandlung, die Sellerie als häufigster Schockauslöser. Und gibt es tatsächlich schon allergikerfreundliche Hotels und Restaurants? Ungewöhnliche und unbekannte Fakten zum Thema Allergie.

Chips, Burger, Hotdog: Fast Food ist mit ein Grund für die Zunahme von Allergien in der westlichen Welt. Ein weiterer: Wir kultivieren die falschen Haustiere, die Milben. Österreicher, Deutsche und Schweizer sind weltweit Rekordhalter in der Milbenproduktion – jeder hat rund eine halbe Million Milben in seinem Bett. Wobei es weniger die Tiere selbst sind, vielmehr ist es ihr Kot, der Allergien auslöst. Milbenallergiker wachen in der Früh gerädert auf. Gegenmaßnahme: UV-Strahlung und Kälte töten die Milben. Es empfiehlt sich daher, Polster in die Gefriertruhe oder in die pralle Sonne zu legen.

Auch die Ausrottung der Parasiten in den Industrieländern wird als ein Grund für die Zunahme von Allergien angeführt. Die These dahinter: Weniger Wurminfektionen bedeuten mehr Allergien. Wissenschaftler und Ärzte reagieren bereits. Sie wollen den Wurm wieder in den Körper holen und damit diversen Allergien den Kampf ansagen.

Der Wurm, der hilft

In England hat man bereits gute Erfahrungen mit der Wurmtherapie gemacht, etwa bei allergischem Asthma oder bei der Pollenallergie. In Österreich gibt es noch keine derartige Behandlung; in der Schweiz steht man kurz vor einer Studie. „Hakenwürmer gehören zu den besten Immunologen der Welt“, sagt Peter Schmid, Leiter der Allergiestation der Dermatologischen Klinik im Universitätsspital Zürich und Mitglied des Allergieausbildungs- und Forschungszentrums Davos, im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“.

Denn Hakenwürmer als Allergietherapeutikum schaffen es, das Immunsystem ihres Wirts so zu manipulieren, dass sie überleben können und nicht abgestoßen werden. Schmid: „Im Wirtsorganismus, also im Menschen, werden demnach immunologische Aktivitäten angekurbelt. Diese können sich günstig auf den Verlauf einer Allergie auswirken, ja diese sogar hemmen.“ Die genetische Veranlagung zur Allergie bliebe zwar bestehen, die Symptome seien jedoch minimal bis kaum noch vorhanden.

Schmid hofft, dass die Wurmstudie schon bald von der Ethikkommission bewilligt werde. Das Prozedere wird dann wie folgt aussehen: Der Patient bekommt ein Pflaster mit Würmern aufgeklebt, diese bohren sich in die Haut und beginnen hoffentlich ihr heilendes Werk. Die Plazebogruppe bekommt ein Pflaster ohne Wurm, „weil aber das Durchbohren der Haut ein wenig juckt, wird hier ein wenig Juckmittel daraufgegeben“, erklärt Schmid. Die Würmer sind dafür übrigens in einem Stadium, in dem sie sich im Körper nicht vermehren können. 20 bis 50 solcher kleiner Gesellen sind notwendig, bei einer kleineren Zahl würde die Beeinflussung des Immunsystems zu schwach sein. Nach drei Monaten nimmt der Patient ein Wurmmittel, und der Parasit stirbt. Geht der Plan auf, sind dann auch die allergischen Symptome fort. „In England jedenfalls wollten viele Leute mit gewissen Asthmaformen den Wurm gar nicht loswerden, denn es ging ihnen mit den Minitherapeuten viel besser“, sagt Schmid.

Blätter und Knolle sehen an sich harmlos aus, aber Sellerie kann sehr gefährlich sein. Denn Wurzel und Stange sind jene pflanzlichen Nahrungsmittel, die am häufigsten einen anaphylaktischen Schock, die schwerste und gefährlichste Form einer allergischen Reaktion, auslösen.

Grund für die Gefährlichkeit der krautigen Pflanze ist ihr Vorkommen: „Da Sellerie in unserem Ernährungskulturkreis relativ häufig vorkommt, sind viele Menschen von einer Sellerieallergie betroffen“, erklärt Georg Schäppi, Leiter des Aha!-Allergiezentrums Schweiz in Bern und des Allergieausbildungs- und Forschungszentrums Davos. Denn Sellerie, so Schäppi, sei auch enthalten, wo man ihn kaum vermute: in Gewürzmischungen, in Suppen, in Saucen, in Fertiggerichten, in Fleischerzeugnissen, in Salatdressings oder im Restaurantessen.

Ähnliche Eiweiße

Nun besitzt Sellerie Proteine, die bestens geeignet sind, eine Allergie auszulösen, wobei das Sellerieallergen ein ziemlich aggressives ist. Da in vielen Pollen (unter anderem Beifuß, er blüht ab Juli) die gleichen oder zumindest sehr ähnliche Eiweiße wie im Sellerie vorhanden sind, gibt es auch Kreuzreaktionen. „Und dieses Trio infernale, also das aggressive Allergen, die Häufigkeit von Sellerie in allen möglichen Nahrungsmitteln und die Kreuzreaktionen machen Sellerie zu einem nicht ganz ungefährlichen Lebensmittel“, erklärt Schäppi. Er habe deswegen in der Klinik schon zahlreiche heikle Notfallsituationen erlebt. Sellerieallergiker sollten dieses Allergen daher meiden. Was angesichts der Dauerpräsenz von Sellerie in mitteleuropäischen Küchen und Lebensmitteln sehr schwierig ist.

Für das Essen in Restaurants oder Hotels gäbe es jedoch einen Ausweg: entsprechende Gütesiegel für allergikerfreundliche Betriebe. „In der Schweiz gibt es das bereits, wir sind dabei, das auch nach Österreich zu bringen“, sagt Max Strafinger, Geschäftsführer von Strafingers Tourismuswerkstatt.

In der Schweiz werden die Gütesiegel von der Service Allergie Suisse auf wissenschaftlicher Grundlage verliehen. „Zertifiziert werden unter anderem Nahrungsmittel, Kosmetika, Reinigungsmittel, Textilien, Restaurants und Hotels“, erklärt Georg Schäppi. Für den Allergiker soll so der Alltag erleichtert werden. Oft genug habe er von Allergikern gehört, dass sie nicht mehr in ein Restaurant gehen, weil sie dort hundert Mal erklären müssten, was sie alles nicht essen dürfen. „Und dann bekommen sie oft sehr wohl ein Salatdressing mit Sellerieanteil.“

Kein Platz für Milben

Das, argumentiert Allergie-Experte Schäppi, würde es in einem zertifizierten Restaurant nicht geben. Und im Hotel seien beispielsweise Polster und Bettdecke mit speziellen, milbendichten Überzügen überzogen, die die Milbenallergiker schützen. An den Fenstern wiederum gibt es Pollenschutzgitter und im Bad allergenfreie Kosmetika.

„Was wir keinesfalls wollen, ist, aus einem Hotel eine Klinik zu machen“, ergänzt Max Strafinger. Denn Allergiker sind keine Kranken, sondern schlicht gesunde Urlauber mit speziellen Wünschen.

Allergiewissen

Gütesiegel. In der Schweiz gibt es ein Gütesiegel für Produkte, die Allergiker verwenden können. Informationen dazu sind auf www.service-allergie-suisse.ch zu finden.

Urlaub. Auch Restaurants und Hotels in Österreich haben sich auf Allergiker eingestellt: www.allergie-profis.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2016)

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