Der "Begrüßungsschmerz" als Symptom

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Symbolbild(c) Erwin Wodicka
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Mehr als die Hälfte der Österreicher leiden ab 70 Jahren an einer Fingerarthrose. Doch wie erkennt man die Krankheit, die schon lang da ist, bevor sich Schmerzen bemerkbar machen? Und was hilft dann?

An vergangene Zeiten erinnert sich Margareta Ebster nicht gern zurück: „Wenn mir jemand die Hand fester gedrückt hat, habe ich geglaubt, ich sterbe vor Schmerzen“, erzählt die heute 55-jährige Briefträgerin. Jahrelang nahm sie Schmerzmittel, ließ sich akupunktieren. Sie litt Höllenqualen, wie sie sagt. Dennoch suchte die Frau lang keinen Arzt auf. „Heute tut es mir leid, dass ich so spät gegangen bin, denn manches kann man nicht mehr gut machen, wenn man zu lang zuwartet.“ So sei zumindest einer ihrer Finger ganz verbogen, mehrere immer wieder geschwollen.

Margareta Ebster hat Fingerarthrose. Die Krankheit zählt zum Formenkreis des degenerativen Rheumatismus. Die ersten Verschleißerscheinungen beginnen oft schon in der Jugend. „Je länger man eine Arthrose unbehandelt lässt, desto mehr Gelenke und vor allem Knorpel werden zerstört. Dauerschmerzen, knotige Veränderung an den Fingergelenken und Versteifung sind die Spätfolgen“, erklärt Rheumatologe Thomas Schwingenschlögl. Er rät zur Achtsamkeit: „Man sollte eigentlich bei den ersten Anzeichen zum Arzt gehen, Schmerzen treten meist erst in einem fortgeschrittenen Stadium auf.“

Der Händedruck, der wehtut. Frühzeichen einer Fingerarthrose sind Steifigkeit in den Gelenken (vor allem am Morgen), Kraftverlust in den Händen, auch Knacksen oder Reibgeräusche können erste Hinweise sein. Bald setzt dann auch der „Begrüßungsschmerz“ ein: Ein kräftiger Händedruck tut dann weh. „Eine frühe und rechtzeitige Therapie kann ein Fortschreiten der Krankheit verhindern und sehr oft das Leiden auch zum Stillstand bringen“, sagt Schwingenschlögl.

Frau Ebster hat dieses Zeitfenster übersehen. Sie muss heute noch – sechs Jahre nach der Diagnose – fast alle zwei Wochen zur Behandlung. „Ich bekomme dann Infusionen und Spritzen in die Finger, das ist zwar nicht angenehm, aber dann bin ich wieder zwei, drei Wochen schmerzfrei“, erzählt die Frau mit den dunkelblonden Haaren.

Behandelt wird die Krankheit unter anderem mit Cortison, mit Präparaten, die das Knorpelwachstum anregen und den Knorpelabbau verzögern, mit antirheumatischen Gels und Hyaluronsäure. „Ich infundiere auch Vitamin B und C, sie wirken zusätzlich entzündungshemmend“, sagt Schwingenschlögl.

Wärme hilft. Entzündungshemmend und schmerzstillend sind auch (nicht steroidale) Antirheumatika, die ob ihrer vielen Nebenwirkungen jedoch nicht ideal für den Dauereinsatz sind. Gegen Schmerzen und Steifigkeit helfen auch lokale Kälte- und Wärmebehandlungen oder eine Magnetfeldtherapie.

Steife Finger, vor allem in der Früh, kennt Patientin Ebster nur zu gut. „Früher konnte ich oft nicht einmal mehr die Türschnalle hinunterdrücken“, erzählt sie. Vor allem in der kalten Jahreszeit sei das häufig vorgekommen. „Wetteränderungen, vor allem in Richtung kalt, tun angegriffenen Gelenken nie gut“, sagt der Arzt. Manchmal löse schon der Kontakt mit kaltem Wasser akute Schmerzen aus. Bei Trockenheit und Wärme gehe es den Patienten prinzipiell besser. „Der vorige Sommer, heiß und trocken, war ein Traum für mich. Da hatte ich fast gar keine Schmerzen“, erzählt die Niederösterreicherin prompt. Auch ihrer Schwester sei es besser gegangen – sie leidet ebenfalls an einer Fingerarthrose. So wie ihre verstorbene Mutter.

„Die Erkrankung, bei der Gene sicher eine große Rolle spielen, tritt bevorzugt bei Frauen auf“, sagt Schwingenschlögl. Im Fall einer erblichen Belastung beginnt die Fingerarthrose meist schon mit 30 Jahren. Im höheren Alter – etwa ab 70 – leiden dann insgesamt mehr als 50 Prozent der Österreicher an dieser Abnützungserscheinung. Die durch harte Arbeit und einseitige manuelle Bewegung gefördert wird. Auch gewisse Sportarten – beispielsweise Klettern – oder eine Verletzung begünstigen das vorzeitige Entstehen einer Arthrose in den Händen.

Eine falsche Ernährung kann eine Arthrose zwar nicht auslösen, aber sehr wohl die Symptome verstärken: Fleisch oder Wurstwaren, fette Milchprodukte oder zu viele Süßigkeiten führen zu einer vermehrten Produktion von entzündungsfördernden Fettsäuren im Körper. Fischöle oder Leinöl haben hingegen einen positiven Einfluss. „Aber mit der Nahrung allein kann man nichts ausrichten, eine Therapie ist das Um und Auf“, sagt Schwingenschlögl. Das weiß auch Margareta Ebster. Stricken und Sticken, wie sie es früher gern gemacht hat, kann sie zwar nicht mehr, aber mit den Enkeln spielen, das geht seit der Behandlung zum Glück wieder: „Ich bin so froh, dass ich nun wieder eine aktive Oma sein kann.“

Auf einen Blick

Arthrose

Krankheit. Die Arthrose gehört zum Formenkreis des degenerativen Rheumatismus. Die ersten Verschleißerscheinungen beginnen oft schon in der Jugend.
Symptome. Dazu zählen ein Steifheitsgefühl in den Fingern und Händen und Kraftlosigkeit. Die Schmerzen beginnen meist erst in einem bereits fortgeschrittenen Stadium.
Rhiz-Arthrose. Eine sehr häufige arthrotische Veränderung des Handskeletts ist die Arthrose des Daumensattelgelenks (Rhiz-Arthrose). Sie bereitet große Schwierigkeiten beim Greifen. Das Zuknöpfen einer Bluse oder das Öffnen einer Flasche wird zur schmerzhaften Schwerarbeit oder ist gar nicht mehr möglich. An einer Rhiz-Arthrose leiden rund 30 Prozent der Österreicher. Vor allem bei Menschen, die schwer arbeiten oder die die Feinmotorik ihrer Hand beruflich ständig benötigen (unter anderem bei Pianisten oder Bürofachkräften) tritt die Rhiz-Arthrose häufig auf.
Operation. Was viele nicht wissen: Bei einer fortgeschrittenen Rhiz-Arthrose kann eine Operation helfen. „Dabei wird ein Teil des deformierten Gelenks ersetzt. Der Eingriff bringt üblicherweise ein sehr gutes Langzeitergebnis, feinmotorische Handgriffe sind dann wieder ohne Schmerz möglich, auch die nötige Kraft kehrt wieder zurück“, sagt Thomas Müllner, Abteilungsvorstand der Orthopädischen Abteilungen am Evangelischen Krankenhaus in Wien.
Neue Methode. Eine neue, interessante Methode hat die Klinische Abteilung für plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie am LKH-Universitäts-Klinikum Graz jüngst entwickelt. Deren Leiter, Lars-Peter Kamolz, sagt: „Dem Patienten werden überschüssige Fettstammzellen entnommen und nach einer Aufbereitung in das kranke Gelenk injiziert. Schon nach wenigen Tagen zeigt sich der Erfolg.“ Mit dieser Methode könne man die Abnutzung des Knorpels rund um den Daumensattel künftig sogar heilen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2016)

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