Warum gibt es Darm-, aber nicht Herzkrebs?

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Verschiedene Organe haben höchst verschiedene Krebsraten. Es könnte an der Größe und Bedeutung liegen.

Manche Organe werden viel häufiger von Krebs befallen als andere: Von je 100.000 Menschen erkranken 67 am Krebs der Brust, 59 an dem der Prostata, 41 an dem des Darms, auch Haut und Nieren sind stark betroffen. Beim Pankreas hingegen sind es nur 12, beim Gehirn 6, und beim Herzen weist die Statistik eine Null aus.

Wie das? Zwischen Vertretern zweier Hypothesen ist in jüngster Zeit Streit ausgebrochen: Die einen setzten auf „Pech“, darauf, dass sich in verschiedenen Organen Zellen verschieden rasch teilen (und sich mit jeder Zellteilung das Fehlerrisiko erhöht): Das erkläre zwei Drittel der unterschiedlichen Erkrankungsraten, der Rest komme von Umweltfaktoren. Die sind für die Gegenfraktion zentral, Musterbeispiele sind die höchst unterschiedlichen Lungenkrebsraten bei Rauchern und Nichtrauchern oder die Hautkrebse, für die UV-Licht das Risiko stark erhöht.

Zwei Nieren, aber nur ein Herz

Noch ist die Debatte in vollem Gang, da bietet Frédéric Thomas (Montpellier) eine dritte Variante, er nennt sie die „ökologische“ und „evolutionäre“: Die vermutet, dass der Körper einen Befall von Tumoren dort besser bzw. länger verkraften kann, wo Organe groß sind und/oder gepaart auftreten. Die können (länger) mit Tumoren leben, deshalb sind sie nicht so stark geschützt, das könnte etwa erklären, dass die (zwei) Nieren häufiger befallen werden als der (eine) Pankreas, es könnte auch die Differenz zwischen stark befallenem (großem) Dickdarm und wenig befallenem (kleinem) Dünndarm erklären.

Zudem gehe es darum, wie wichtig ein Organ für den Körper und seine Reproduktion ist, ein „keystone“ wie das Herz oder das Gehirn oder der Uterus werde mit allen Kräften verteidigt (Trends in Cancer 9. 8.). Thomas sieht seine Hypothese weniger als Konkurrenz und mehr als Ergänzung der anderen, aber er sieht auch die Unschärfen: Im Herzen und vor allem im Gehirn erneuern sich Zellen relativ langsam, zu 15 bzw 2,7 Prozent im Jahr (eine Darmwand ist alle fünf Tage neu). War das immer so, oder ist es Evolution? Es könnte eine Abwehrmaßnahme sein. Und die großen Organe, die Leber etwa, könnten eigens zum längeren Überleben so groß geworden sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2016)

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