Die (umstrittene) Kraft der roten Kreise

Eine alte Methode wird neu entdeckt. Was früher vor allem als Schröpfen bekannt war, nennen Wellnessexperten heute – nach dem englischen Wort – Cupping.
Eine alte Methode wird neu entdeckt. Was früher vor allem als Schröpfen bekannt war, nennen Wellnessexperten heute – nach dem englischen Wort – Cupping.Gaby Wojciech / Westend61 / picturedesk.com
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Nach den Medaillengewinnen der geschröpften US-Schwimmer erfährt die uralte Heilmethode des Schröpfens neue Aufmerksamkeit. Während die einen von der Wirkung der Methode schwärmen, warnen andere davor.

Sie tauchen dort auf, wo man sie nicht erwartet hat: Rötlich-violette Kreise sorgten im vergangenen Sommer nicht nur auf den Schulterblättern olympischer Medaillengewinner bei den Schwimmwettbewerben für Stirnrunzeln, sondern zieren auch immer wieder prominente Rücken auf roten Teppichen. Was der Ursache der runden Zeichen – dem Schröpfen – gerade wieder einmal zu neuer Aufmerksamkeit verhilft, denn neu ist die Methode wirklich nicht: „Das kommt immer wieder in Wellen“, sagt Günter Tribus, Heilmasseur und Ausbildner am Wifi Wien und Salzburg sowie dem Massageausbildungszentrum Kärnten.

Die aktuelle Popularitätswelle für die jahrtausendealte Therapieform hat in den USA ihren Anfang genommen: Hier wurden bereits in den vergangenen Jahren Prominente wie Gwyneth Paltrow und Starlets wie Kim Kardashian mit den Kreisen gesichtet, die auf ihre angeblich schönheitsfördernde Wirkung schwören. Den neuesten Boom löste das Cupping – wie das Schröpfen auf Englisch heißt – aber erst aus, als Schwimmer Michael Phelps mit dem rot verzierten Rücken Medaille um Medaille abräumte. Seither diskutieren US-Medien (Neben-)Wirkungen genauso wie die Wirkungslosigkeit der Methode.

Ein Vakuum, das hilft

Grundsätzlich kann das Schröpfen vielfältig eingesetzt werden“, erklärt Tribus, „es wirkt bei Verspannungen, zur Stärkung der Selbstheilungskräfte und des Immunsystems oder bei rheumatischen Erkrankungen.“ Durch das Aufsetzen der gläsernen Schröpfköpfe wird ein Vakuum erzeugt, das die Durchblutung der Haut, des Bindegewebes und der Muskulatur anregt, für einen besseren Stoffwechsel sorgt und beispielsweise gestautes Blut oder Lymphflüssigkeit wieder in Bewegung bringt. Was angeblich die unterschiedlichsten Auswirkungen haben kann, von der Förderung des allgemeinen Wohlbefindens und der Unterstützung von Heilungsprozessen bis zur sportlichen Leistungssteigerung und einem schöneren Hautbild ohne Cellulite.

„Für die Selbstheilungskräfte des Körpers ist es wichtig, dass beispielsweise entzündungsbildende Stoffe schneller abgebaut werden“, erklärt Tribus. Immerhin würde das häufig auch zu einer Schmerzlinderung führen. Die Sportler dagegen schätzen am Schröpfen oder der Schröpfmassage – bei der die angesaugten Gläser über die leicht eingeölte Haut gezogen werden – unter anderem, dass dadurch der Stoffwechsel im Muskel verbessert wird. „Im Sport ist es wichtig, dass die Informationen zum Muskel fließen können, damit dieser die volle Leistung bringen kann“, sagt Tribus. So gäbe es häufig Verklebungen im Muskelfaszienbereich, die dazu führen können, dass Fasern reißen oder Bänder gezerrt werden, „im schlimmsten Fall können diese bis zum Kreuzbandriss führen“.

Schröpfen soll bewirken, dass Abfallprodukte, – im Volksmund Schlacken – besser abtransportiert werden, wodurch der Nerv wieder frei und der Muskel schneller mit Informationen versorgt wird. Doping sei das bei Sportlern aber nicht, auch wenn durch die Schröpftherapie der Blutfluss gesteigert werde, sagt Tribus. „Es ist ja nicht wie beim Einsatz von Koffein, durch das die Herztätigkeit erhöht wird.“ Das Schröpfen lasse das Blut frei fließen und stelle damit den Optimalzustand des Körpers wieder her. Was die Behandlung allerdings schon mit sich bringe, sei eine Steigerung der roten und weißen Blutkörperchen. „Dadurch, dass die roten Blutkörperchen durch die Schröpfgläser ins Gewebe gezogen werden, produziert der Körper neue.“

So lautet die eine Meinung. Kritiker der Methode erinnern aber, dass bis heute der wissenschaftliche Beweis für die Wirksamkeit fehle. „Das Cupping gehört zu den dümmsten Methoden der alternativen Medizin“, wird der Science-Blogger Orac im „Forbes“-Magazin zitiert. Orac ist ein Arzt, der unter einem Pseudonym bloggt. Er verweist auf den Fall eines Chinesen, der im Sommer 2016 mit sieben großen Brandwunden ins Krankenhaus eingeliefert wurde, weil sein Arzt ständig die gleichen Stellen schröpfte. Bilder seines Rückens gingen um die Welt. Die Skeptikerin Harriet Hall, die sich als Ärztin in Pension zur Aufgabe gemacht hat, alternative Heilmethoden zu hinterfragen, verurteilt die Methode ebenfalls.

Wer hat es erfunden?

Alt ist die Methode jedenfalls: Angeblich soll schon Hippokrates bei Kopfschmerzen, Schwindel und Gelenksentzündungen zu dieser Behandlungsmethode geraten haben. Um die Frage, wer es erfunden hat, rittern chinesische, tibetische, indische, arabische und persische Mediziner. Seit 3300 v. Chr. ist das Schröpfen mit Schröpfköpfen aus Mesopotamien, dem antiken Griechenland und Ägypten überliefert, es war aber auch im alten China bereits bekannt und ist in ähnlicher Form Teil des medizinischen Repertoires zahlreicher Schamanen und indigener Völker. In Mitteleuropa war diese Behandlung bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts üblich, „bis es dann durch die moderne Medizin ersetzt wurde und erst jetzt wieder durch die Tendenz hin zu Alternativmethoden genutzt wird“, sagt Heilmasseur Tribus. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen dem trockenen Schröpfen, bei dem die Gläser auf die Haut aufgesetzt werden und wahlweise durch eine Vorrichtung oder den Einsatz von Feuer ein Vakuum erzeugt wird, und dem blutigen Schröpfen, das nur durch Ärzte ausgeführt werden darf, weil dabei die Haut leicht angeritzt wird.

In beiden Fällen wird die Haut nur so weit angesaugt, dass es nicht schmerzt, bei der Schröpfmassage kann es aber unangenehmer werden. Das und die blauen Flecken, die nach der Therapie auftauchen, sind es auch, die Menschen immer wieder vom Schröpfen abbringt. Zwar sorgt die bessere Durchblutung grundsätzlich für ein schöneres, rosiges Hautbild. Wer aber der ungeliebten Cellulite zu Leibe rücken will, muss etwas mehr Einsatz zeigen. „Durch das Lösen der Verklebungen wirkt es schon an den Beinen und hilft bei Cellulite“, sagt Tribus, „aber das ist zuerst durchaus schmerzhaft.“ Und braucht darüber hinaus Zeit: Um erste Wirkung zu erzielen, müssen die Schröpfköpfe zwei- bis dreimal die Woche zum Einsatz kommen, „danach mindestens einmal die Woche“, rät Masseur Tribus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2016)

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