Wer fürchtet sich vor der Angst?

"Angst ist etwas völlig Normales. Man muss unterscheiden zwischen einer Übertreibung der Angst, die von Politikern wie Trump, aber auch den Medien geschürt wird – und einem subjektiven Gefühl der Angst."
"Angst ist etwas völlig Normales. Man muss unterscheiden zwischen einer Übertreibung der Angst, die von Politikern wie Trump, aber auch den Medien geschürt wird – und einem subjektiven Gefühl der Angst."Imago
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Psychotherapeuten sehen das Unbehagen in der Bevölkerung steigen. Eine Expertenrunde diskutiert über die Folgen von Flüchtlingskrise, Terror und populistischer Politik.

Maria-Anna Pleischl hat viel Erfahrung in ihrem Beruf. Sie ist seit gut 30 Jahren in der Psychotherapie tätig, aber gerade in jüngster Zeit hat die Generalsekretärin des Österreichischen Arbeitskreises für Gruppentherapie und Gruppendynamik (ÖAGG) eine Zunahme von Furcht beobachtet. Den Grund dafür sieht sie in Ereignissen, die auf der Hand liegen. Die Flüchtlingswelle in Mitteleuropa, die Vorfälle zum Jahreswechsel 2015/16 in Köln, die gehäuften Terroranschläge in Europa, aber auch der Aufstieg von Populisten wie dem US-Präsidenten Donald Trump. Das führt bei manchen Menschen zu einem Gefühl von Unbehagen und Angst. Vor zu vielen fremden Menschen im Land, vor großen Menschenansammlungen oder – vor allem bei Frauen – vor sexueller Belästigung. Andere sorgt wiederum das Handeln von Präsidenten wie Erdoğan oder Trump, der die geltenden Klimaschutzdekrete in den USA aufheben will. Oder es bereiten ihnen Berichte über rassistische, homophobe und frauenfeindliche Aktionen in den USA oder Polen ein Unbehagen. Wobei Pleischl betont, dass sich solche Ängste vor allem unter jenen Menschen breit machen, die generell zu Angststörungen neigen.

Es hängt etwas im Gefühl

Die Wiener Linguistin Ruth Wodak relativiert zu Beginn der Expertendiskussion am vergangenen Mittwoch den Begriff „Angst“. „Angst ist etwas völlig Normales. Man muss unterscheiden zwischen einer Übertreibung der Angst, die von Politikern wie Trump, aber auch den Medien geschürt wird – und einem subjektiven Gefühl der Angst.“ Wodak hat sich in ihrem Buch „Politik mit der Angst“ (2016, Edition Konturen) speziell mit Sprache und Taktik populistischer Politiker beschäftigt, die keineswegs neu oder besonders für die Gegenwart sind. Sie rät, produktiv mit der eigenen Furcht umzugehen, um handlungsfähig zu bleiben und sich nicht paralysiert zu fühlen. Dabei könne in manchen Fällen eine Therapie helfen.

Auch Philosoph Alfred Pfabigan beobachtet: „Es hängt etwas im Gefühl, und wir gehen nicht souverän damit um. Das zeigt sich an kleinen Beispielen, etwa dass die Zahl der Urlauber in der Türkei sinkt. Die Menschen sind vorsichtig.“ Warum die Furcht allerorten zunimmt, erklärt er sich so: „Es ist viel passiert. Und zusätzlich erleben viele Menschen eine Anerkennungsverweigerung, das heißt Qualifikationen, die früher gezählt haben, sind heute nichts mehr wert. Und die zweite Sache ist, dass wir mit Ereignissen konfrontiert sind, die es in dieser Form lange nicht gegeben hat. Wir hatten eine Welle des Terrorismus zwischen 1860 und 1930 und wir wissen leider nicht, wie die Menschen darauf reagiert haben.“ Ja, es habe auch später Terrorakte in Europa gegeben, ausgeübt etwa durch die PLO oder die IRA. Aber sowohl Pleischl als auch Pfabigan sehen einen wesentlichen Unterschied zu heute darin, dass die Hintermänner der Terrorakte weniger greifbar sind als damals und die Staaten so langsam auf die aktuellen Anschläge reagieren.

Maria-Anna Pleischl sagt, Menschen reagieren auf Angst entweder mit Kampf oder Flucht. „Beides ist nicht zielführend. Es geht nur mit einem Dialog, das ist die Errungenschaft unserer Zivilisation.“ Ruth Wodak stimmt zu und ergänzt: „Wir wissen, dass die Vorurteile und die Angstfantasien dort am größten sind, wo man nicht mit Fremden irgendwelcher Art zusammenkommt – und sich verringert, sobald die verschiedenen Gruppen miteinander in Aktion treten.“

Gegenseitiges Nichthören

Auch Pleischl wünscht sich mehr Dialog, denn: „Wir haben ein gegenseitiges Nichthören. Jene, die Angst haben, werden nicht gehört.“ Daher würden sich so viele Menschen von Politikern angesprochen fühlen, die ihnen vorgaukeln, sich um ihre Probleme zu kümmern. Umgekehrt würden auch jene die Angst haben, nicht genau hinhören. Denn es zeige sich häufig, dass die Politik (rechts)populistischer Politiker selten Antworten auf die von ihnen gestellten Fragen oder Probleme liefere. Pleischl rät daher in der Zusammenarbeit mit Betroffenen in erster Linie immer zu informieren, die Herkunft des Unbehagens und der Angst zu analysieren. „Hilfreich ist eine Deradikalisierung vor allem in der Zusammenarbeit mit Jugendlichen, die Zukunftsangst haben. Eine Deeskalation vor allem unserer Sprache und eine Desensibilisierung der Angst.“ Das sei aber nicht allein Aufgabe einer einzigen Profession wie der Psychotherapie, sondern eine multiprofessionelle Zusammenarbeit in einer Gesellschaft, von der Sozialarbeit über die Pädagogik bis zur Psychologie.

Muss man Ängste der Bevölkerung also stets ernst nehmen? Ja und nein, sagen die Experten. Zuhören ja, aber relativieren und in Relation setzen, sagt Pleischl. Alfred Pfabigan gibt zu Bedenken: „Wenn man eine starke Emotion eines artikulationsfähigen Menschen nicht ernst nimmt, dann hat man einen Feind.“ So baue sich Zorn auf. Ruth Wodak ergänzt: „Zuhören alleine ist mir zu wenig. Es ist besser, wenn man etwas tut.“
Anmerkung: Die Autorin dieses Textes hat die Diskussion in der ÖAGG am vergangenen Mittwoch moderiert. Der Text enthält Zitate aus Vorgesprächen und der Diskussion.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2017)

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