Wunden, die nicht heilen

Özgür Güler
Özgür GülerBaltaci
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Die Zahl der Patienten mit chronischen Wunden nimmt stetig zu. Ein neues, von einem Österreicher in den USA entwickeltes Messgerät könnte die Behandlung erleichtern.

Sie gehören zu den unangenehmsten Beschwerden überhaupt – nicht nur aus medizinischer, auch aus sozialer Sicht. Denn „offene Beine“ und andere chronische Wunden führen Betroffene oft in die Isolation, weil sie sich schämen und solche Wunden übel riechen können. Dabei sind rund fünf Prozent der Bevölkerung davon betroffen, bei den über 80-Jährigen sind es sogar noch mehr. Österreichweit leiden derzeit etwa 480.000 Menschen daran. Tendenz stark steigend, da die Bevölkerung immer älter wird.

Die Versorgung ist mühselig, langwierig, teuer – und wird von den Krankenkassen unzureichend bezahlt, weswegen niedergelassene Ärzte ihre Patienten oft in Krankenhäuser überweisen. Mit der Folge, dass es keine Kontinuität gibt – die aber einer der wichtigsten Faktoren bei der Behandlung chronischer Wunden ist.

Vielfältige Ursachen

Als chronisch gilt eine Wunde, wenn sie länger als drei Monate nicht heilt bzw. keine Besserung zu verzeichnen ist. Die häufigsten Ursachen sind das Wundliegen, arterielle Durchblutungsstörungen („Raucherbein“), deformierte Fußknochen bei Diabetikern (Charcot-Fuß) und Ulzerationen bei chronischen Venenerkrankungen (Venengeschwür) – wenn also der Zu- oder Abfluss des Bluts gestört ist und die betroffene Stelle nicht ausreichend versorgt wird. Solche Wunden können – wenn Bakterien in tiefere Schichten vordringen und Knochen bzw. Sehnen befallen – sogar zu lebensgefährlichen Infektionen führen, weswegen bei diesen Patienten Beinamputationen („Leg for Life“) manchmal unvermeidlich sind.

Auch seltene Hauterkrankungen und orthopädische Deformationen (beispielsweise eine Druckstelle beim Hallux valgus) können zu chronischen Wunden führen. Mit enormen ökonomischen Auswirkungen. Allein chronische Beingeschwüre verursachen Schätzungen zufolge jährliche Kosten von mehr als 400 Millionen Euro. Vor allem der Material- und Pflegeaufwand schlägt hier zu Buche. Entscheidend bei der Behandlung chronischer Wunden ist die Dokumentation – also das Messen der Wundgröße sowie das Beobachten des Heilungsprozesses.

Behandlung des zugrunde liegenden Problems

Behandlung und Dokumentation sollten daher nach Möglichkeit von derselben Person oder zumindest im selben Zentrum stattfinden, sagt Wolfgang Trubel, Facharzt für Chirurgie und Gefäßchirurgie (www.gefaess.at) und Leiter der Ambulanz für Gefäß- und Allgemeinchirurgie im Ambulatorium Döbling in Wien. Nur so lasse sich eine optimale Betreuung gewährleisten, die aus der fachgerechten Behandlung der Wunde (beispielsweise durch Antibiotika und silberhaltige Wundauflagen) und – besonders wichtig – der Behandlung des zugrunde liegenden Problems (etwa durch eine Aufdehnung der Gefäße bei einer Gefäßverengung) besteht.

3-D-Technologie

Die Dokumentation von chronischen Wunden vereinheitlichen sowie präzisieren und somit die Behandlung erleichtern könnte ein neues Messgerät aus den USA, das ein Österreicher mit zwei Arbeitskollegen entwickelt hat. InSight heißt die speziell entwickelte Kamera plus Software, die einen exakten 3-D-Scan von Wunden erstellen kann und dabei sowohl Länge, Breite und Tiefe misst wie auch Fläche und Volumen.

Dabei handelt es sich um eine automatisierte Messung ohne Körperkontakt (also schmerzfrei), die viel schneller als herkömmliche Messungen (mit einem Lineal und einem Wattestäbchen, um die Tiefe zu messen) durchgeführt werden kann. Durch die genauere Überwachung des Heilungsprozesses sollen Ärzte bessere Vergleichswerte haben und beispielsweise mögliche Komplikationen früher erkennen, um darauf zu reagieren

„Mit dem Gerät lässt sich der Heilungsprozess exakt und einheitlich dokumentieren“, sagt Özgür Güler. Der Informatiker aus Tirol hat inSight vor drei Jahren während seines Postdocs am Children's National Medical Center in Washington D.C. entwickelt. Anschließend hat er sich mit seinen beiden Projektpartnern selbstständig gemacht, ihr Unternehmen, eKare (www.ekare.ai), beliefert seither Krankenhäuser und Gesundheitszentren auf der ganzen Welt und entwickelt das Messgerät, das aus einer Kamera und einem iPad besteht, ständig weiter. Mehr als 1000 solcher Geräte sind derzeit im Einsatz, auch in Österreich.

"Keine subjektive Angelegenheit mehr"

„Einer der großen Vorteile des Messgeräts ist, dass es nicht von einem Arzt bedient werden muss“, sagt Güler. „Die Aufnahmen können auch vom Pflegepersonal gemacht werden. Der spezialisierte Arzt bekommt dann den 3-D-Scan und kann über die weitere Vorgehensweise entscheiden. Das ist ein enormer Sprung hinsichtlich Effizienz.“ Güler betont vor allem die Vergleichsmöglichkeiten, denn durch dieselbe Messmethode könnten chronische Wunden von Patienten aus allen Teilen der Welt verglichen werden, um neue Therapiemöglichkeiten zu entwickeln. „Unsere Software wird bald sogar mittels künstlicher Intelligenz Therapievorschläge machen, die vom behandelnden Arzt bewertet werden können“, sagt Güler. „Diagnose und Behandlung werden also keine subjektive Angelegenheit mehr sein, sondern professionalisiert und daher treffsicherer.“

Fortschritte, die auch Wolfgang Trubel für dringend notwendig erachtet – sofern man dieses Messgerät nicht als „getrenntes Tool“ betrachtet. „Den Fokus nur darauf zu richten, wie groß und wie tief eine Wunde ist, stellt einen wichtigen Aspekt dar, ist aber nicht alles“, sagt der Chirurg. „Es braucht den denkenden Menschen, der mithilfe standardisierter Methoden die richtige Therapie ableitet – also ein optimales Zusammenspiel von Technik und dem kundigen Arzt. Wie eigentlich immer in der Medizin.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2018)

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