Selbstbetrüger: Schuld sind immer die anderen

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Menschen, die sich selbst idealisieren und für besser halten als den Rest der Welt, haben oft auch kein Schuldbewusstsein, können keine Fehler eingestehen. Erhalten sie aber Hilfe, sind viele immens erleichtert.

Selbstbetrüger gibt es sehr viele unter uns, mehr als man allgemein glauben möchte. „Es ist wahrlich erstaunlich, wie viele Menschen sich falsch einschätzen, wie häufig Fremd- und Eigenwahrnehmung auseinanderklaffen. Ich rede jetzt in erster Linie von Menschen, die sich selbst idealisieren, die sich stets überschätzen und lange nicht so gut sind, wie sie selbst von sich annehmen“, betont der Wiener Neurologe, Psychiater und Psychotherapeut Univ.-Doz. DDr. Raphael Bonelli von der Sigmund Freud Universität Wien. Er und seine Kollegen würden immer wieder auf regelrechte „Meister des Selbstbetrugs“ treffen, bei denen das idealisierte Ich meilenweit von der Realität entfernt sei.

Brüchiges Selbstwertgefühl

Und wehe dem, der so einen Selbsttäuscher auf sein reales Ich aufmerksam macht, der ihn quasi entlarvt. „Das führt zu einer massigen Kränkung, denn im tiefsten Inneren fürchten diese Personen schon, dass sie gar nicht so toll sind, wie sie sich selbst vorgaukeln. „Narzissten haben ein gesteigertes, aber recht oft brüchiges Selbstwertgefühl“, weiß der Fachmann. „Sie fürchten ständig, aufgeblattelt zu werden. Wenn es dann passiert, reagieren sie meist mit Aggression.“ Denn freilich sei es peinlich und unangenehm, von anderen durchschaut zu werden.

Ob echte Narzissten oder einfache Selbstbetrüger, beide leiden darunter, dass andere sie nicht erkennen, dass andere nicht sehen, wie toll sie doch sind. Sie sagen dann gerne: „Die verstehen mich einfach nicht.“ Sie fühlen sich zurückgesetzt, verkannt und als „Opferlämmer“. Schuld sind immer nur die anderen. „Die Einstellung ,Die bösen anderen' gehört heutzutage schon fast ein bisschen zum Zeitgeist“, so Bonelli.

Selbstbetrüger rutschen leichter ins Burnout

Das erlebe er sehr häufig in Paartherapien, wo beide sich als Opfer sehen und überzeugt seien, der jeweils andere müsse etwas tun, dann werde die Beziehung schon wieder klappen, plaudert Bonelli aus der Psychotherapie-Schule. Diese „unschuldige Opferlamm-Rolle“ würden die Selbstbetrüger aber auch gegenüber Freunden und Arbeitskollegen einnehmen. „Die kommen und jammern, dass die anderen immer so böse zu ihnen sind. Und sie empfinden es als echte Bedrohung, wenn man sie fragt, ob sie nicht doch etwas falsch gemacht hätten. Dann reagieren sie sehr aggressiv, weil sie ja eigene Fehler nicht ertragen. Wie etwa jener Grün-Alternative, der jedem zum Radfahren rät, aber selbst ein superschnelles Auto fährt. Das habe er nur deswegen, meint er allen Ernstes, weil er damit weniger oft unterwegs sei als andere. Er schütze also auf diese Weise die Umwelt – ein klassischer Fall von Selbstbetrug.

Selbstbetrüger rutschen auch viel leichter ins Burnout. „Ist ja auch kein Wunder, denn sie fühlen sich als Opfer, das immer die Arbeit der anderen zugeschanzt bekommt, das immer alles ausbaden muss. In diesem Fall hat Burnout nichts mit Arbeitsüberlastung zu tun, die Betroffenen schätzen sich einfach falsch ein und sind unglücklich. Stets erhalten die Lebensumstände die Schuld für das eigene Schicksal.“ Das sei im Moment einfacher, als selbst Verantwortung zu übernehmen.

Partnerschaftliche Katastrophe

Freilich machen solche Menschen mit den nicht gerade glücklichen Charaktereigenschaften auch andere unglücklich. Wie der Partner, der die Schuld immer nur beim anderen sucht. „Ich habe häufig Frauen in meiner Praxis, die klagen, dass ihre Männer nicht den geringsten Fehler zugeben können, sich für perfekt halten und Unzulänglichkeiten immer nur beim anderen sehen. Das ist eine partnerschaftliche Katastrophe.“ Katastrophal kann es auch enden, wenn ein Selbstüberschätzer, der keinerlei Empathie besitzt, Psychologie studiert und dann auf seine Klienten losgelassen wird. Oder wenn ein junger Autobesitzer schneller und noch schneller rasen muss, weil er ja ein ganz Toller ist. Er merkt schon, dass er da etwas Unrichtiges tut, aber er kann nicht zugeben, dass die Geschwindigkeit eine Gefahr für ihn und andere darstellt, weil sein Gewissen von ach so toller Männlichkeit zugedröhnt wird.

Selbstbetrüger sind häufig auch einsam. Zum einen, weil ja alle anderen blöder sind als sie selbst. Vor allem aber: „Von Menschen, die nicht authentisch sind, die immer nur bluffen, die sich immer besser dünken als all die anderen, wendet man sich bald einmal ab. Denn dieses Oberlehrerhafte hat etwas unheimlich Unsympathisches“, betont Bonelli. Selbstbetrüger dürften sich also nicht wundern, wenn sie irgendwann links liegen gelassen, isoliert und schließlich verbittert werden.

Die Wahrheit macht frei

„Ich erlebe immer und immer wieder, dass so ein Selbstbetrüger unheimlich erleichtert ist, wenn er dann einmal einen Fehler eingestehen kann“, erzählt Bonelli. Es lebe sich dann viel unbeschwerter, weil man ja nicht mehr ständig auf der Hut sein müsse, nicht ständig abwehren müsse, dass man aufgedeckt werden könnte.

„Zugeben, dass man auch Fehler machen, dass man auch schuldig sein kann, kann viel heilen. Die Wahrheit macht frei“, erläutert Bonelli. Und letztlich: Wer den ständigen Selbstbetrug aufgibt, wer die Schuld nicht immer nur bei anderen sucht, wer auch Fehler zugeben kann, wird wieder liebenswerter und beliebter. So gesehen kann Ehrlichkeit gegen sich selbst auch ein Weg aus der Isolation, ein Tor für neue Freundschaften sein.

Auf einen Blick:

Menschen, die sich für viel besser halten, als sie sind, haben häufig Angst, „entlarvt“ zu werden. Passiert das, reagieren sie meist mit Aggression.

Diese „Selbstbetrüger“ sind viel häufiger anzutreffen, als man annehmen möchte. Sie haben auch große Schwierigkeiten, Schuld einzugestehen – schuld sind nämlich immer nur die anderen.

Solche Charaktereigenschaften stoßen in der Umwelt auf Ablehnung, weshalb Selbsttäuscher häufig einsam sind. Gelingt es ihnen jedoch, mit professioneller Hilfe von der Rolle des ewigen Besserwissers und unschuldigen Opferlamms wegzukommen und Fehler einzugestehen, fühlen sie sich enorm erleichtert und finden neue Wege für soziale Kontakte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2011)

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