Hochsensible Personen hören, sehen und schmecken mehr

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Im Falle von Hochsensibilität - nach Schätzung sind immerhin rund 20 Prozent der Bevölkerung betroffen - gelangen auf Grund neurologischer Besonderheiten mehr Reize aus der Umwelt in die bewusste Wahrnehmung.

Jeder Mensch nimmt seine Umwelt subjektiv und auf seine ganz spezielle Weise wahr. Zahllose Sinneseindrücke wie Geräusche, Gerüche und optische Reize prasseln unaufhörlich auf uns ein. Viel zu viele, als dass wir sie bewusst wahrnehmen oder sie uns gar Probleme bereiten würden. Letzteres gilt jedoch nicht für alle von uns, denn ein Teil der Bevölkerung, nach Expertenschätzung sind es immerhin rund 20 Prozent, nimmt mehr Informationen aus der Umwelt auf als die anderen. Es handelt sich hierbei um sogenannte hochsensible Personen. Vorweg: Wenn hier von Hochsensibilität die Rede ist, ist damit eine gesteigerte Sensibilität in Bezug auf die Wahrnehmung von Reizen gemeint und nicht die emotionale „Dünnhäutigkeit“ eines Menschen.

Ein Viertel aller Österreicher

„Viele Betroffene wissen gar nicht, dass sie hochsensibel sind. Sie merken zwar, dass sie anders sind als die meisten anderen, aber auch nicht mehr. Wir haben über Jahre hinweg extrem umfangreiche Befragungen gemacht. 70.000 Menschen haben die Fragebögen ausgefüllt. Die Zahlen sind sehr eindeutig“, sagt Georg Parlow, Autor des Buches „Zart besaitet – Selbstverständnis, Selbstachtung und Selbsthilfe für hochsensible Menschen“ (Festland-Verlag).

„Es gibt zwar keine offiziellen Zahlen, aber es dürfte ein Fünftel bis ein Viertel aller Österreicher betroffen sein“, meint Günther Possnigg, Psychotherapeut und Facharzt für Neurologie und Psychiatrie in Wien.
Bei Hochsensiblen werden die Sinnesreize im Gehirn in geringerem Ausmaß gefiltert als üblich. Es gelangen aufgrund neurologischer Besonderheiten mehr Reize in ihre bewusste Wahrnehmung. Sie sehen, riechen, hören, schmecken, ertasten und/oder erfühlen also mehr und intensiver als andere. Für Betroffene bedeutet das eine wahre Flut an Eindrücken, der man sich oft nicht erwehren kann.

Konkret bedeutet eine solche Veranlagung, dass man zum Beispiel Geräusche wahrnimmt und oft auch als störend empfindet, die andere Menschen erst gar nicht registrieren. Dies kann sowohl Leid als auch Freude mit sich bringen. Ein Beispiel: Ein LKW donnert über die Straße und man erzittert ängstlich; ein Vogel singt hoch oben im Baum und man erfreut sich bewusst an den Tönen.

Flucht und erhöhter Stresslevel

Welche Reize Hochsensible im Einzelfall intensiver wahrnehmen, ist unterschiedlich. Manche haben mit Geräuschen ein Problem, andere nehmen Gerüche oder optische Eindrücke intensiver oder facettenreicher wahr. Wieder andere haben ein ausgesprochen feines Gespür für Schwingungen in zwischenmenschlichen Beziehungen.
Beispiele aus dem Alltag: Für die einen ist es unerträglich, in einer gesellschaftlichen Runde zu essen, weil all die Gerüche, das Stimmengewirr, der Rauch, die Musik im Hintergrund rasch zur Überlastung des Nervensystems führen. Andere wiederum sprechen stark auf Parfums an, manchen ist es unmöglich sich zu unterhalten, wenn nebenher lautstark Kinder spielen. Die häufigste Reaktion auf dieses Unwohlsein ist Flucht oder zumindest der dringliche Wunsch, die Situation zu verlassen. Dies bedeutet einen erhöhten Stresslevel.

Kann Schmerzen verursachen

Da die Intensität der Informationsaufnahme bei Betroffenen höher ist als bei anderen Menschen, stoßen Hochsensible früher an ihre „Schmerzgrenze“. Eine Überstimulation an Reizen kann in der Tat Schmerzen verursachen, denn bei Überlastung wehrt sich der Körper. Unwohlsein, muskuläre und nervliche Anspannung sind andere Symptome der Überreizung des Nervensystems.
Weiters benötigen Hochsensible viel Zeit, Erlebtes zu reflektieren, darüber nachzudenken, oft endlos zu grübeln. „70 Prozent von uns sind introvertiert und situationsbedingt häufig auf dem Rückzug. Dadurch werden wir oft als scheu und gehemmt eingestuft. Dabei sind die meisten von uns mindestens ebenso kontaktbedürftig wie alle anderen“, sagt Parlow, der selbst zu dieser Personengruppe zählt.

Hochsensibilität ist keine Krankheit, sondern eine Eigenschaft, ein Persönlichkeitsmerkmal. Freilich braucht es für diese Menschen eine Umgebung, die ihren speziellen Bedürfnissen entspricht. Eine nicht angepasste Lebensweise bedeutet ein Gesundheitsrisiko, es besteht dann die Gefahr, psychische oder psychosomatische Erkrankungen zu entwickeln. Hochsensible sind anfällig für bestimmte psychische Erkrankungen, etwa für Angststörungen oder Burnout. Häufig leiden sie unter bestimmten Geräuschen und entwickeln eine Angst vor diesen Geräuschen (Phonophobie genannt).

Ärzte sind da selten kompetent

Kommt man mit seiner Veranlagung gut zurecht, bedarf es keiner medizinischen oder therapeutischen Behandlung. Wenn die Probleme aber aus dem Ruder laufen und die Situation eskaliert in dem Sinn, dass man mit den Reizen nicht mehr umgehen kann und Leid entsteht, dann sollte man sich nach einer geeigneten Therapie umsehen. Wichtig ist, dass man sich einen einfühlsamen Therapeuten sucht, rät Parlow. „Ärzte sind nur selten kompetente Ansprechpartner. Sie wissen zu wenig über dieses Thema und zeigen oft wenig Verständnis, wie mir Betroffene immer wieder mitteilen“, sagt der Autor.
Freilich wird eine Behandlung die Hochsensibilität an sich nicht verändern. „Die ist so wie sie ist. Man kann an der Wahrnehmungsfähigkeit selbst nichts verändern. Veränderbar ist aber die Reaktion auf die Reize, auf das Geschehen“, sagt Possnigg.

Ist der Betroffene behandlungsbedürftig, besteht die Möglichkeit, leichte Antidepressiva zu verabreichen. „Das steigert oft auch die Reizschwelle. Man fühlt sich dann leichter, beschützt, wie in einen Mantel gehüllt. Aufpassen muss man generell bei der Dosierung von Medikamenten. Einerseits wirken diese bei Hochsensiblen oft stärker, andererseits oft auch gar nicht, außer dass die Nebenwirkungen stark hervortreten“, erklärt Possnigg.

Wann Medikamente helfen

Lärmempfindlichen rät Possnigg: „Man sollte durchaus sagen, dass es einem zu laut ist. Es ist wichtig, zu lernen, Grenzen abzustecken.“ Ein Gehörschutz kann helfen, um abzuschalten und einzuschlafen. Medikamente sollte man als Einschlafhilfe nicht nehmen, besser ist es, für eine geräuscharme Umgebung zu sorgen. Possnigg: „Medikamente kommen höchstens dann zum Einsatz, wenn eine emotionale Erschöpfung eingetreten ist. Ist der Leidensdruck sehr groß, etwa wenn man sich mit anderen Menschen nicht mehr normal unterhalten kann, ohne in Stress zu geraten, dann können Medikamente helfen.“
Die facettenreiche und tiefe Wahrnehmung befähigt häufig zu tiefen Gefühlen, spirituellen Einsichten und dem Erkennen komplexer Zusammenhänge. Kreative Menschen, Künstler und Denker sind in dieser Gruppe überproportional anzutreffen. Auch wenn in der heutigen Zeit, in der schnelle Entscheidungen, Durchsetzungskraft und Wagemut gefragt sind, Hochsensible es nicht eben leicht haben, mit ihrer Persönlichkeit zu punkten, so finden sie ihre Nischen in kreativen und sozialen Bereichen.

? WEITERE INFORMATIONEN UNTER

www.zartbesaitet.net
www.hochsensibel.org

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