Immer mehr Kinder sind zuckerkrank

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Die Zahl der österreichischen Kinder mit Typ-1-Diabetes, der sogenannte Jugenddiabetes, hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Man weiß aber nicht wirklich, warum. Für die Gründe gibt es viele Hypothesen.

Es fiel der Mutter auf, dass ihre zehnjährige Melanie in letzter Zeit übermäßig großen Durst hatte, häufig auf die Toilette huschte, ständig müde war und zudem abnahm. Die erschreckende Diagnose: Diabetes mellitus Typ 1, der sogenannte Jugenddiabetes. Typ-1-Diabetes ist eine der häufigsten chronischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. „Die Zahl der Neuerkrankungen bei Kindern hat in den letzten Jahren dramatisch zugenommen“, erwähnt Edith Schober, Professorin und Ärztin an der Wiener Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde, auf der letzten Fortbildungswoche der österreichischen Apothekerkammer in Saalfelden.

Man wisse aber nicht wirklich, warum. „Es gibt eine Anzahl von Hypothesen dazu“, sagt die Expertin. „Eine davon ist, dass auch Diabetes I eine Folge des hohen Lebensstandards in der westlichen Welt ist, der zu einer abgeänderten Immunantwort geführt hat.“

Übel: Stark zuckerhaltige Getränke

Noch, so die Professorin, komme Typ-2-Diabetes bei österreichischen Kindern und Jugendlichen nicht extrem häufig vor. In den USA ist er bei jungen Menschen indes ein weitverbreitetes Problem, und auch hierzulande erkranken stark übergewichtige Kinder und Jugendliche immer öfter an dem sogenannten Altersdiabetes. Dieser trat früher meist erst im Alter von 60 bis 80 Jahren auf, der Großteil der Betroffenen erkrankt mittlerweile schon zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr. Familiäre Vorbelastung sowie zu wenig Bewegung und ungesunde Ernährung sind die häufigsten Ursachen. „Stark zuckerhaltige Getränke im Kindes- und Jugendalter sind eine der Hauptquellen für spätere Diabeteserkrankungen“, warnt Raimund Weitgasser, Präsident der Österreichischen Diabetesgesellschaft.

Potenziell lebensbedrohlich

„In Österreich wird die Diagnose Zuckerkrankheit noch immer bei 30 Prozent der Kinder erst dann gestellt, wenn sie bereits an einer Ketoazidose leiden, die potenziell lebensbedrohlich ist“, warnt Schober. Bei einer diabetischen Ketoazidose handelt es sich um eine Übersäuerung des Organismus. Diese zeigt sich zunächst in großem Durst, krankhaft erhöhter Urinausscheidung, Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Schwäche. Im weiteren Verlauf kann es zu Bewusstseinstrübung bis hin zum Verlust des Bewusstseins, Hyperventilation (schnelles, hektisches Atmen) und Austrocknung (Exsikkose) kommen. Eine Ketoazidose muss umgehend therapiert werden (unter anderem mit der Gabe von Insulin, Flüssigkeit und Salzen), denn unbehandelt endet sie meist tödlich.

„Daher ist es so wichtig, im Krisenfall richtig zu reagieren“, betont Elsa Perneczky, eine erfahrene Diplomkrankenschwester und Diabetesberaterin, die seit vielen Jahren in Wien auf Anfrage „Mobile Diabetes-Beratung“ in Kindergärten und Schulen macht. Bei den kostenlosen Schulungsgesprächen, die sich an die Betroffenen, aber auch an die Klassenkollegen sowie an Kindergartenpädagogen und Lehrer richtet, geht es ebenfalls um die Vermittlung von Grundwissen über Diabetes und um Antworten auf viele Fragen wie „Was ist eine Unterzuckerung, und welche Anzeichen gibt es dafür?“ oder „Was essen und trinken Kinder mit Diabetes?“.

Apropos Ernährung: „Auch bei zuckerkranken Kindern ist es möglich, entweder die Nahrung ans Insulin anzupassen oder den umgekehrten Weg zu gehen und die Insulindosierung nach der Nahrungszufuhr zu richten“, betont Schober. Ziel wäre es, den Langzeitzuckerwert (HbA1c) unter sieben Prozent zu bekommen.
„In der Praxis erweist sich das aber als ein oft schwer erreichbares Ziel.“ Leider, denn wenn dieser Wert von Beginn der Erkrankung unter sieben gehalten werden kann, ist eine diabetische Nephropathie (Nierenerkrankung) auch nach 30 Jahren so gut wie nicht existent. Bei hohen HbA1c-Werten entwickeln jedoch ca. 30 Prozent der Patienten nach 30 Jahren ein solches Nierenleiden, das häufig eine Dialyse erfordert.

Jugendliche lehnen Pumpen ab

Die Diabetestherapie erfolgt – wie bei Erwachsenen – mit Insulin. Schober: „Es gibt Studien zu Insulinen in der Pädiatrie.“ Die Kinder würden Pens der Spritze vorziehen. „Die sind aber leider viel ungenauer als Spritzen.“ Pumpen, die eine relativ physiologische Insulinversorgung ermöglichten, würden von Jugendlichen oft abgelehnt. „Sie wollen nicht ständig mit so einem Kastel herumrennen.“ Außerdem bestehe die Gefahr, dass vor allem bei Kampfsportarten der Katheter verloren gehe und es zu einer Entgleisung komme.

Künstliche Bauchspeicheldrüse

„Bei jüngeren Kindern hingegen ist die Benützung von Insulinpumpen deutlich angestiegen“, weiß die Fachfrau. „Vor allem bei Kleinkindern bedeutet die Behandlung mit einer Insulinpumpe einen großen Gewinn an Lebensqualität, das erspart den Kleinen den fünf- bis sechsmaligen täglichen Einsatz eines Pens.“

Was den Kleinen vorerst leider noch nicht erspart bleibt, sind sechs Blutzuckermessungen am Tag. Noch, denn es gibt schon Geräte, die mittels eigener Sensoren stets die aktuellen Blutzuckerwerte zeigen. Diese Geräte sind aber erst im Kommen und noch nicht Routine. Die Zukunft hat diesbezüglich jedenfalls schon begonnen.

Schober abschließend: „Der erwähnte permanente Zuckermesser ist in Kombination mit einer Insulinpumpe und einer Alarmfunktion, die bei Grenzwerten einsetzt, der Anfang von dem, was man sich unter einer künstlichen Bauchspeicheldrüse vorstellt.“

Auf einen Blick

Dramatische Zunahme: Waren vor 25 Jahren noch rund drei bis dreieinhalb Prozent der Österreicher an Diabetes erkrankt, sind es mittlerweile rund sechs Prozent. In den kommenden 20 bis 25 Jahren wird sich der Anteil erneut verdoppeln.
Auch bei Österreichs Kindern hat Typ-1-Diabetes stark zugenommen. Aber auch am sogenannten Altersdiabetes (Typ 2) erkranken immer mehr – vor allem stark übergewichtige – Kinder.
Stark zuckerhaltige Getränke in der Kindheit sind einer der Hauptquellen für einen späteren Diabetes. Mögliche Warnzeichen: Wenn das Kind übermäßig großen Durst hat, häufig auf die Toilette muss, ständig müde ist und abnimmt, könnte sich eine Zuckerkrankheit dahinter verbergen. Ein Arztbesuch mit entsprechender Untersuchung ist dringend angebracht.

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