Spielen auf Krankenschein

Spielen Krankenschein
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Diabetes, Demenz oder Krebs: Serious Games erobern auch hierzulande den medizinischen Bereich. Langfristig lassen sich damit auch die Kosten im Gesundheitsbereich senken.

Er war gerade in einer Bar, als Frederik Debong ein Licht aufging. Und zwar eines, mit dem sich nicht nur sein Leben vereinfachen, sondern auch Geld verdienen lässt. „Ich bin mit einem Amerikaner an der Bar gesessen, und wir haben unsere Blutwerte gemessen, da wir beide Diabetiker sind. Wer die schlechteren Werte hatte, musste die nächste Runde zahlen“, sagt Debong. Aber um das nächste Bier ging es ihm nicht, sondern um die Erkenntnis, die er durch die Wette gewonnen hat: nämlich, dass man die lästigen Aufzeichnungen und Blutzuckermessungen, die zum Alltag eines Diabetikers gehören, auch mit etwas Positivem verbinden kann. Und dass man über seine Krankheit auch lachen kann, ja muss. „Sonst wird man verrückt.“

Also hat sich der gebürtige Schwede gemeinsam mit seinen Kollegen Frank Westermann (ebenso Diabetiker) und Gerald Stangl an die Entwicklung einer Diabetes-App gemacht, die hilft, Blutzuckerwerte zu dokumentieren und durch die so entstandenen Vergleichsmöglichkeiten Muster zu erkennen. In Summe sollen diese Daten das Leben von Diabetikern so weit wie möglich vereinfachen. „Man sollte ja ein Diabetes-Tagebuch führen, aber das ist mühsam – und man macht es nur für den Arzt. Mit der App ,MySugr‘ macht man das aber für sich selbst. Und darum geht es: Eigenverantwortung zu übernehmen, denn bei einer chronischen Krankheit sind wir zu 98Prozent nicht beim Arzt“, erklärt Debong, der mit seinen Kollegen zwei Jahre lang an der App gearbeitet hat. Seit drei Monaten ist MySugr auf dem Markt, derzeit gibt es in Österreich und Deutschland knapp 500 Nutzer. Mittlerweile wurde die Firma MySugr auf zwölf Mitarbeiter aufgestockt. An einer Kinderversion, die noch mehr spielerische Elemente enthalten soll, wird derzeit ebenso gearbeitet wie an einer Version für Android-Handys.


Medizinisches Produkt. Worauf Debong und seine Kollegen besonders stolz sind, ist, dass MySugr als medizinisches Produkt von der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) anerkannt wurde. Das heißt zwar noch nicht, dass die Krankenkasse die Gebühr von 3,99€ pro Monat übernimmt. „Noch nicht“, sagt Debong. Aber immerhin können „Ärzte die App mit gutem Gewissen empfehlen“.

MySugr ist somit eines jener Produkte, die Medizin und Gaming verbinden und durchaus Zukunft haben. Denn auf der einen Seite gehören Smartphones und die dazugehörigen Apps mittlerweile zum Alltag – warum sollten sie dann nicht auch in medizinischen Bereichen eingesetzt werden. Andererseits hat man auch auf staatlicher Seite erkannt, dass sich damit so einiges an Geld sparen lässt. Denn wer auf seine Gesundheit achtet – und wer das mithilfe von Serious Games macht, die auch noch Spaß machen, wird das umso eher tun –, der ist vielleicht gesünder und verursacht weniger Kosten für das Gesundheitssystem. Das ist auch in Anbetracht der demografischen Entwicklung nicht unwichtig. Denn Apps und Spiele gibt es mittlerweile nicht nur für Diabetiker, sondern auch für Demenzkranke, Menschen, die sich einer Rehab unterziehen oder gar Krebspatienten.

„Die Absicht dazu gibt es schon ein bisschen länger. Aber oft kommen diese Spiele aus dem akademischen Bereich und sehen auch so aus. Die sind gut gemeint, aber nicht gut gemacht, etwa die Grafik. Dann spielt man das aber nicht gern“, meint Robert Praxmarer, Fachbereichsleiter Augmented Reality & Game an der FH Salzburg.

Eine der Ersten, die erkannt hat, dass nicht nur der medizinische Hintergrund wichtig ist, sondern auch eine professionelle Aufmachung, ist die Amerikanerin Pam Kato. Die Psychologin und Spieleentwicklerin, die zu dem Thema an Universitäten in Holland und England forscht, ist derzeit Gastprofessorin an der Fachhochschule Salzburg. Bei ihrem Spiel Re-Mission, eines der Best-Practice-Beispiele in diesem Bereich, geht es darum, in einer Art Shooter-Spiel böse Krebszellen zu bekämpfen. Kato hat damit die Gratwanderung zwischen ernster Krankheit und lustigem Spiel gemeistert. Die positive Wirkung wurde durch mehrere Studien belebt. So sollen jene Kinder und Jugendlichen mit bösartigen Tumorerkrankungen, die bei den Testgruppen Re-Mission gespielt haben, nicht nur besser über ihre Erkrankung und Therapiemöglichkeiten Bescheid wissen, sondern auch ihre Medikamente zuverlässiger einnehmen.


Krebs- und Diabetes-Monster. Dass dabei Krebsmonster besiegt, um nicht zu sagen abgeknallt werden müssen, mag nur auf den ersten Blick seltsam wirken. Auch bei MySugr gibt es ein Diabetes-Monster, das etwa auf die Einträge der eigenen Werte reagiert, kitzlig ist und seltsame Geräusche von sich gibt. Immerhin handelt es sich, auch wenn sie „serious“ sein mögen, in erster Linie um Games. Mittlerweile wird auch verstärkt auf die Qualitätskontrolle und Prüfung der medizinischen Eignung geachtet. So hat etwa die US-Bundeshandelskommission FTC ein paar Akne-Apps, die versprechen, Hautunreinheiten mittels eines speziellen Lichts aus dem Smartphone zu behandeln, zu Strafzahlungen verdonnert.

Um das zu vermeiden (und auch aufgrund strengerer Regelungen vor Ort) setzt man hierzulande auf Kooperationen mit Forschungsinstituten oder medizinischen Einrichtungen. So läuft an der TU Wien ein Forschungsprojekt, bei dem ein Spiel für Demenzkranke entwickelt werden soll. An der Universität Wien arbeitet der Psychologe Manuel Sprung an einem Spiel für Traumatapatienten. Und am St.Anna Kinderspital läuft ein Projekt, bei dem krebskranke Kinder nicht nur spielerisch unterhalten werden sollen, sondern die Ärzte auch die Möglichkeit haben, durch den virtuellen Begleiter den Krankheitsverlauf besser zu kontrollieren. „Seit zwei, drei Jahren tut sich da auch bei uns sehr viel. Das ist derzeit ein heißes Thema“, sagt auch Fares Kayali von der TU Wien.

Und offensichtlich ein Thema, das nicht nur Spielentwickler und Gesundheitsbehörden entdeckt haben, sondern auch die Pharmaindustrie. So startet MySugr ab Herbst eine Kooperation mit Sanofi, einem der größten Insulinhersteller. Wer sich also möglichst therapiekonform verhält, hat dank des Sponsors die Möglichkeit, die App gratis zu nutzen. Frederik Debong und seine Kollegen denken schon über eine Erweiterung der App nach: Eine facebook-ähnliche Vernetzung mit anderen Nutzern. Mit oder ohne Bar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2012)

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