Die kleinen Zeitzeugen des Wertewandels

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Wer Briefe oder Ansichtskarten verschickt, sendet auch kulturelle Werte und gesellschaftliche Werte, deren Bedeutung so groß ist, dass sie Künstler und Designer auf das Format einer Briefmarke verkleinern.

Da ist einmal der Briefträger. Der trägt den Brief. Und der Brief transportiert den Inhalt. Auf dem Umschlag klebt die Marke, und die wiederum hat auch noch etwas zu sagen: Nicht nur, was der ganze Transport kostet, sondern noch viel mehr. Bedeutungen, die über Zahlenwerte weit hinausgehen, gehen hier auf die Reise – kulturelle, künstlerische und gesellschaftliche Werte, aber auch Nationalklischees und Identitätsmerkmale. Manchmal waren die kleinen Botschaften auch streng ideologisch, gar manipulativ, wie auf Propagandamarken, die in Europa während der Kriege zirkulierten.

Doch in besseren Zeiten davor und danach hatten auch Kunst, Kultur und Gesellschaft, bis heute, ihren Fixplatz auf den Briefen. Nur: Die Adressaten sind weniger geworden. Nicht nur jene, die Briefe erhalten, sondern auch jene, die die Briefmarkenbotschaften überhaupt wahrnehmen. Weil insgesamt weniger Marken auf der Korrespondenz kleben. Doch immerhin erhalten 50.000 Abonnenten in Österreich regelmäßig die neuesten Ausgaben, erzählt Günter Schmied, Leiter der Produktion in der Philatelie-Abteilung der Post. Und wissen somit, was die Österreichische Post mit ihren Marken zu sagen hat. Das sind zumindest 55 Statements im Jahr – in Form von Sondermarken. Den Platz auf ihnen muss man sich erst verdienen. Bundespräsidenten oder Päpste haben es da nicht besonders schwer. Künstler, Wissenschaftler und sonstige wichtige Persönlichkeiten, die Geburtstag, Todestag oder sonstige Jubiläen feiern, haben auch ganz gute Karten. Naturalistische Darstellungen von baulichen Sehenswürdigkeiten und Naturlandschaften sowieso.

Wer es schließlich auf die Sondermarke schafft, entscheidet ein Komitee. Darin sitze auch ein „Kunstbeirat“, erklärt Schmied. Dazu gehören etwa auch Sabine Haag, Direktorin des Kunsthistorischen Museums, oder Hans-Peter Wipplinger von der Kunsthalle Krems. Und auch Georg Pölzl, Vorstand der Österreichischen Post, entscheidet mit. Für ihn sind Briefmarken mit ganz anderen als lediglich nominellen Werten aufgeladen: „Briefmarken sind immer auch ein Spiegel der Gesellschaft und ihrer Werte.“ Und so spiegeln sich im Markenalbum auch vergangene Zeiten und Werte wider.

Die Kunst auf der Marke. Kunst und Künstler hatten schon seit jeher ihren Auftritt auf Briefen und Postkarten. Indem sie entweder selbst die Entwürfe gestalteten oder die Kunst des Stahl- oder Kupferstichs demonstrierten. Oder aber indem sie und ihr Werk gewürdigt wurden. So läuft seit 1975 die Briefmarkenserie „Moderne Kunst in Österreich“, die schon Motive von Friedensreich Hundertwasser bis Gottfried Kumpf hervorbrachte. Manche Serien laufen aus, andere beginnen. Im Philatelie-Komitee wird auch darüber diskutiert und schließlich „die Themen und Motive festgelegt“, wie Schmied erzählt. Und die fallen in vier Hauptkategorien, auf die sich Bereiche wie Geschichte, Sport, Gesellschaft, Technik, Wissenschaft, Religion und andere verteilen. Im Jahr 2012 hatte das Feld „Kunst, Kultur, Architektur“ mit 23 aufgelegten Marken den größten Anteil.

„Briefmarken und deren Anlässe spiegeln in eindrucksvoller Form die Kulturgeschichte eines Landes wider“, meint Post-Vorstand Georg Pölzl. „In Österreich können wir mittlerweile auf eine 162 Jahre andauernde Kulturgeschichte zurückblicken.“ Die ganze Welt schaut zehn Jahre weiter zurück. Denn das Wertzeichen „Briefmarke“ wurde in Großbritannien geboren, die „One Penny Black“ war das erste. Zehn Jahre später, 1850, hatte schließlich auch Österreich seine erste Briefmarke. Ein Jahr darauf erschien die erste Zeitungsmarke der Welt – schon damals wurden Zeitungen günstiger transportiert: Die Marke „Roter Merkur“ gehört heute zu den wertvollsten Marken Österreichs. Der Wert wird auf 70.000 Euro geschätzt. Die teuerste Briefmarke der Welt hingegen wurde bei einer Auktion in den 1990er-Jahren schon mit 1,6 Millionen Euro gehandelt: die schwedische „Tre Skilling Banco“ aus dem Jahr 1855. Da wird klar: Werte von Briefmarken sind oft mehr als bleibend. Zum materiellen Wert, dem „Nennwert, der für eine definierte Logistikleistung steht“, wie Post-Vorstand Georg Pölzl sagt, komme noch ein immaterieller Wert. „In unterschiedlichster Ausprägung. Sei es der Stolz auf eine Errungenschaft oder Person, sei es aber auch die Erinnerung an einen Wendepunkt in der Geschichte“.

Auch Künstler betrachteten die Briefmarke schon bald als wertvolles Medium. Koloman Moser, einer der Gründer der Secession, war der erste bedeutende Briefmarkengestalter in Österreich. „In dieser Hinsicht war Österreich sehr innovativ damals“, erzählt Ingeborg Vlach aus der Philatelie-Abteilung der Post. „Damals hat die Kunst endgültig Einzug gehalten auf der Briefmarke“ – mit der Briefmarkenserie für Bosnien und Herzegowina, die aus 16 Motiven bestand. Die Brücke von Mostar, ein Maultier, eine Kutsche und einmal auch Kaiser Franz Joseph waren darunter. Gestochen wurden sie von Ferdinand Schirnböck, einem Pionier des künstlerischen Briefmarkenstichs in Österreich. Über seine gesamte Schaffensperiode blieb Koloman Moser mit der Post und dem Kleinformat Briefmarke verbunden.

Zeitenwechsel. Briefmarken sind Zeitzeugen. Von dunkleren Epochen genauso wie von güldenen. Wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Veränderungen markieren die „Wertzeichen“ deutlich. Auch durch die Methode des Überdruckens etwa. Die kam bei Währungsumstellungen zum Einsatz. Oder nach dem Zweiten Weltkrieg, als in aller Eile Adolf Hitlers Kopf mit einem Gitter überdruckt wurde.

Als eine Portoänderung auf 55 Cent im Jahr 2004 bevorstand, widmete sich die Klasse Fons Hickmann der Universität für Angewandte Kunst der Briefmarke. Und somit auch den inhaltlichen Klischees, die da gerne mittransportiert werden. 150 Millionen Briefmarken, die sonst unbrauchbar geworden wären, wurden schließlich mit künstlerischen Entwürfen überdruckt. Da wurde die Kuh auf der Weide zum „Kuhbra“ – statt Kuhflecken mit Zebrastreifen. Oder auch das Motiv „Steinernes Meer im Salzburgerischen“, das ein Textstatement von Helmut Qualtinger erhielt: „Österreich ist ein Labyrinth, in dem sich jeder auskennt“.

Mit der „Marke“ Österreich setzten sich im letzten Jahr die Designer bei einem Ideenwettbewerb auseinander. Sie lieferten „Zwanzig Entwürfe für ein zeitgemäßes Österreichbild“. Das Siegersujet stammte von Designer Nik Thoenen und wurde als Sonderbriefmarke aufgelegt. Jetzt gibt es einen neuen Anlass für einen Wettbewerb mit dem Titel „Wertzeichen Europa“, den die Post gemeinsam mit der „Presse“ durchführt. „Gerade wenn die gemeinsame europäische Währung hinterfragt wird, sehe ich ,Wertzeichen Europa' als Signal für den Zusammenhalt der Gemeinschaft und die Solidarität mit allen Teilnehmern der Währungsunion“, sagt Post-Vorstand Pölzl.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2012)

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