Mittelalterliche Marktplätze 2.0

Mittelalterliche Marktplaetze
Mittelalterliche Marktplaetze(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die digitale Welt lässt traditionelleWerbekonzepte alt aussehen. Dabei wäre der gut betreute und informierte Kunde eine treue Seele, die man gerade jetzt noch gewinnen kann.

Als Don Draper dem Eigentümer den neuen Slogan von Lucky Strike präsentiert, notiert er die Worte „It's toasted“ mit Kreide auf eine Schultafel. Auf den Einwand Lee Garners, jeder Tabak werde geröstet, meint Draper nur, jeder Tabak sei giftig, und: „Werbung basiert auf einer Sache: Glück. Und wissen Sie, was Glück ist? Glück ist der Geruch eines neuen Autos. Es ist die Freiheit von Angst. Es ist ein Plakat an der Seite einer Straße, das mit Gewissheit schreit, dass, was auch immer du tust, okay ist. Sie sind okay.“ Zugegeben, diese Situation gab es so nie. Sie ist eine fiktive Szene aus der Serie „Mad Man“ – den Slogan trägt bis heute jede Packung – in der Realität schon seit 1917.

Trotzdem zeigt die Episode: Werbung war nicht nur enorm cool, zündende Kampagnen generierten nicht nur ein Image, sie hielten oft Jahre, ein und dieselbe Idee wurde pompös und breit über TV, Radio, Zeitungen, Plakate transportiert – der Kanal: egal, die Message wird wiederholt. Die Wünsche des Kunden gibt der Werber vor. Die erwünschte Antwort der Konsumenten: Kaufen. Ein Big Business, in dem mit genialen und auch weniger guten, aber breit transportierten Kampagnen der große Reibach gemacht wurde.


Und dann kam das Internet. Und dann kommt das Internet mit Social Media daher und macht nicht nur den klassischen Werbekanälen Konkurrenz. Einwegkommunikation, von der Firma über die Werbung hin zum Konsumenten, der ohne zu murren zugreift oder es eben bleiben lässt, ist nur mehr eine Variante von mehreren. Die Konsumenten werden vom stillen Beobachter, der nur hin und wieder einmal seinen eventuellen Unmut über ein Produkt einzeln am Beschwerdetelefon oder im Handel kundgetan hat, zur kritischen und Informationen fordernden Masse.

Einige Firmen, von MacDonalds über Nestlé bis hin zu Stiegl und der ÖBB, haben das in Form von Shitstorms im Netz leidvoll erfahren müssen: Aktionen und Reaktionen, wie etwa vom Nestlé-Konzern, der 2010 einen im Netz verbreiteten kritischen YouTube-Film verbieten wollte und seine Fanseite einfach abschaltete, wirken bestenfalls hilflos. Im konkreten Fall war sie eindeutig kontraproduktiv, weil das Vorgehen des Konzerns die User im Netz zusätzlich verärgerte und den Imageschaden nochmals verbreiterte.


Neue Werbung gesucht.Im Internet und in den Social Media braucht es eine neue Art der Werbung – und nicht alle, aber immerhin einige Werbeagenturen haben neue Antworten, wie sich neue Kanäle wie Homepages, Facebook, Twitter, YouTube oder Apps sinnvoll für Werbezwecke nutzen lassen.


Life is live. Zum Beispiel Andreas Hladky, Senior-Berater der Agentur Point of Origin. Er ist eigens in die USA gereist, um sich direkt bei den Agenturen im Land des Ursprungs von Internet und Facebook über neue Zugänge zur Werbung schlauzumachen. Seine Erkenntnisse: Werbung wird bildhafter. Bilder, insbesondere bewegte, werden mehr wahrgenommen, in der realen Welt wie in der virtuellen. Text verkommt dabei noch mehr als heute zum Baustein. In der digitalen Welt wird in Fenstern gedacht, und da haben nur kurze Häppchen Platz, davon aber viele. Außerdem: Der Live-Faktor zieht wieder mehr – egal, ob real, im TV oder im Netz selbst. Rund um Live-Events wird im Netz diskutiert und kommentiert, das kann Werbung nutzen. Und vor allem wird Werbung individualisierter. Ein Produkt punktet im Netz nicht mehr, so wie der Papst der modernen Werbung, David Ogilvy, es gepredigt hat, allein durch sein Image, sondern auch mit seinen individuellen Unterschieden, die er für vernachlässigbar hielt. „Es geht auch nicht mehr um die eine große Idee, sondern um viele den stark differenzierten Kunden angepasste kleine“, so Hladky.


Kein Berieseln mehr. Der Kunde lässt sich immer weniger von klassischer Werbung berieseln, sondern hat, anders als früher, als er Produktinformationen aus Katalogen bezog, heute die Möglichkeit, frei aus einer enormen Auswahl an Infos zu wählen. Macht man nichts, landet man mit seinem Produkt nur zufällig in Reichweite eines Kunden. Oder aber, man bedient sich der Methoden der heute bereits Erfolgreichen, wie Google, Facebook, Amazon oder Apple. Ihr offenes Geheimnis: das Sammeln und Speichern von Daten über ihre User. Mit jeder Suche, jedem Posting, in dem man über die eigenen Vorlieben im Netz Auskunft gibt, jeder Ortsangabe und Kontaktaufnahme mit anderen macht man sich zu einem transparenten Kunden. Wer weiß, wer sich wann und wo für was interessiert, kann seinen Kunden im Netz ein Produkt dazu auf die für ihn passende Art und Weise anbieten.


How to do. Die optimale Werbung im Netz setzt also auf einen direkten, individuell-maßgeschneiderten Kontakt mit den Kunden: „Die Digitalisierung bringt paradoxerweise den mittelalterlichen Markt zurück – mit der Mundpropaganda, den Empfehlungen guter Freunde und der direkten Auseinandersetzung zwischen Anbietern und Käufern“, meint Hladky. Roland Trnik, Creative Director bei Spinnwerk, ist folglich überzeugt: „Werbung im Netz funktioniert anders. Einwegkommunikation ist zu wenig. Wenn Dialoge entstehen, dann ist sie weit effektiver.“ Soll heißen: Als Unternehmen mit einer Facebook-Seite zu starten und einfach ein klassisches Inserat draufzuknallen oder hin und wieder markige Aussagen aus den Presseaussendungen zu posten und abzuwarten, was passiert, ist zu wenig: „Man muss den Leuten im Netz in Tonalität und Sprache auf Augenhöhe begegnen und einen Mehrwert bieten“, meint Trnik und beschreibt fünf Felder, die im Netz funktionieren: Das sei Unterhaltsames, vom Online-Game über Gewinnspiele bis zu YouTube-Filmen. Weil User gern ihre Meinung kundtun, erwecken auch Umfragen und Diskussionsanregungen Interesse: Gerade kritischen Themen sollte man dabei nicht ausweichen, schließlich kann man hier kostengünstig Kritik ausräumen und selbst ein Kritiker, der an seinem Standpunkt festhält, wird weniger Negatives weiterverbreiten, wenn er sich zumindest ernst genommen fühlt. Dazu kommen spannende Insider-Infos aus Unternehmen, vom Karrierehighlight des CEO bis hin zur Anzahl der ausgegebenen roten Strumpfhosen pro Jahr, mit der die Fluglinie AUA einmal für die Aufmerksamkeit der User sorgte.

Bietet man dazu noch Service, erklärt etwa, wie sich ein Produkt einfacher bedienen lässt, kann man der Community durchaus auch klassische Werbeinhalte zumuten. Der so umworbene Internet-User und potenzielle Kunde wird so eher geneigt sein, selbst Kommunikator zu spielen und die Angebote der Firma, die ihn umwirbt, weiterzuempfehlen.


Ignoranz als großer Fauxpas. Trotzdem beweisen viele Unternehmen immer noch wenig Geschick im Umgang mit Social Media: Obwohl im Netz eine schnelle Reaktion auf Kundenfragen genauso wie am Telefon üblich sein sollte, ist das noch nicht Standard. Im Gegenteil: Eine Erhebung des Social-Media-Analysten Social Bakers für Spinnwerk zeigt etwa, dass 62 Prozent aller User-Fragen auf österreichischen Firmen-Facebook-Seiten gänzlich unbeantwortet bleiben. „Wenn ich den Dialog nicht führen will oder keine geeigneten Personalressourcen aufbringen möchte, ist es besser, den Kanal nicht zu nutzen“, meint Trnik. Praktikanten ohne tiefgehendes Wissen über das Unternehmen an den Computer zu setzen, sei angesichts eventuell kommunizierter und gern weiterverbreiteter Peinlichkeiten die falsche Strategie.

Genau da sieht auch Thomas Schmid von der Agentur Friendly Fire das Problem: „Online-Werbung wird nach wie vor zu wenig ernst genommen.“ Entscheidungsträger, die die Werbe-Etats vergeben, betrachten Werbung durch die konservative Brille, vor allem wenn sie der Generation 35plus angehören, die nicht mit Internet aufgewachsen ist: Für TV-Spots werden tausende Euro reserviert, für Online bleibt wenig Budget übrig.


Unterschätztes Potenzial. Das Potenzial von Online-Kanälen werde nach wie vor unterschätzt. Eine klassische TV-Kampagne kann schon aus Kostengründen nur wenige Wochen laufen. Im Netz aber können Firmen ihre Kunden als Communitys das ganze Jahr über um sich scharen. Das bietet großes Potenzial, etwa bei der Kundenbindung: Dafür braucht es Vertrauen. Die Infos müssen trotz aller Unterhaltsamkeit seriös und zuverlässig sein. Ein gut betreuter User ist der treuere Kunde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2013)

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