Übersetzer in die stille Welt

(c) Clemens Fabry
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So kooperieren Kreativ- und klassische Wirtschaft: SignTime, Matrixx und IBM arbeiten gemeinsam am Gebärdensprachen-Avatar Simax, der Gehörlosen das Leben erleichtern soll.

Ein bisschen erinnern sie an Sims – zumindest optisch. Beide sind animierte Figuren, beide führen irgendwie durchs Leben. Die Sims durch ein virtuelles Leben im Rahmen eines Computerspieles. Die Figuren des Gebärdensprache-Avatars Simax sollen hingegen gehörlosen Menschen das richtige Leben erleichtern – und jene Übersetzer ersetzen, die bei Videos und Filmen meist rechts unten im Bild eingeblendet werden und das gesprochene Wort in Gebärdensprache übertragen.

Georg Tschare verdient genau damit schon länger sein Geld. Mit seiner kleinen Firma Signtime produziert er Videos in Gebärdensprache und übersetzt Websites, TV-Sendungen und Filme. In einem eigenen kleinen Filmstudio nimmt er in einer Green-Box „Sprecher“ in Gebärdensprache auf, die dann ins Bild eingeblendet werden. „Irgendwann kam die Idee auf, die Personen durch eine Art Comic zu ersetzen. Viele Inhalte funktionieren einfach besser mit einem Avatar“, sagt Tschare. Ganz ersetzen will er seine jetzigen Sprecher jedoch nicht.

„Aber es würde einfach viel mehr möglich machen.“ So kann etwa ein Avatar – also eine computeranimierte Figur – als Übersetzer eingesetzt werden, wenn keine echten Personen dargestellt werden sollen (oder können) und man etwa keinen Alterungsprozess sehen soll. „Gerade bei längeren Projekten oder wenn man im Nachhinein noch etwas ändern will, wäre das hilfreich“, sagt Tschare. Und noch ein Aspekt kommt hinzu, der – das weiß Tschare aus Erfahrung – so manchen Kunden davon abhält, seine Inhalte in Gebärdensprache zu übersetzen: der Preis. Spricht der Avatar und nicht eine echte Person, kommt so ein Video auf nur ein Drittel des Preises.


Know-how gegen Image. Also begann Tschare vor gut vier Jahren damit, an einer solchen künstlichen Figur, die via Software beinahe automatisch übersetzt, zu arbeiten. Da dass aufgrund der komplexen Thematik nicht allein ging, kamen schon bald ein paar Partner hinzu. Heute unterstützt die Wiener Kreativagentur Departure das Projekt, aus dem Topf des Fördercalls „Kooperation“. Der öffnete sich für Unternehmen aus der Kreativwirtschaft und aus der klassischen Wirtschaft, die in Projekt-Kooperationen vom Know-How des jeweiligen Partners profitieren sollten.

Einer der Projektpartner in diesem Fall verfügt nicht nur aufgrund seiner Größe über das entsprechende technische Know-how, sondern spielt auch in Sachen Bekanntheit, Marketing und Kundenakquise in einer anderen Liga. „Wir beschäftigen uns schon länger mit dem Thema Diversity, wir wollen Vielfalt fördern und Projekte, die in diese Richtung gehen“, sagt Helmut Ludwar, Chief Technology Officer bei IBM Österreich. Während SignTime also für den Inhalt, also die gebärdensprachliche Umsetzung, verantwortlich ist, hat IBM die Architektur, das Hosting und das Cloud-Service zur Verfügung gestellt. Programmiert wurde das Projekt von Matrixx – das IT-Unternehmen sitzt im selben Haus wie SignTime. „Wenn das IBM gemacht hätte, wäre das nicht in Österreich passiert, wir wollten es aber in Österreich programmieren“, so Ludwar.


Win-win-win-Situation. Für die drei Herren, die hinter dem Projekt stehen, ist die Kooperation, wenn man so will, eine Win-win-win-Situation. „Durch IBM haben wir Zugang zu Basistechnologie, die wir als Kleine nie haben werden. Und auch einen anderen Zugang zu Kunden. Es ist einfach etwas anderes, wenn IBM anruft und nicht SignTime oder Matrixx“, sagt Tschare. IBM wiederum kann sich mit dem Projekt auf die Fahne heften, etwas Soziales getan zu haben.

Derzeit sind die drei gerade dabei, Kunden zu gewinnen. Ein großer öffentlicher Verkehrsbetrieb zeigt sich ebenso interessiert wie eine Pharmafirma. Namen will Tschare noch nicht nennen, er hofft aber, dass der erste Auftrag im Herbst erfolgt. Konzipiert ist die Software für Filme und Videos, aber auch für das Internet – sprich Websites – oder Verkehrsbetriebe. Bei Letzteren könnten Durchsagen etwa via App oder auf einem Bildschirm auf dem Bahnsteig gezeigt werden.

Menschliche Kontrolle. Automatisch funktioniert die Übersetzung übrigens nicht – außer etwa bei standardisierten Sätzen wie bei jenen in der U-Bahn. Um aber einen Film sinnerfassend zu übersetzen, braucht es nach wie vor Menschen, die die Gebärdensprache beherrschen und kontrollieren, ob etwa die Grammatik und auch die Emotionen – selbst die beherrscht der Avatar – stimmen.

Etwas ungewöhnlich scheint – zumindest für Nicht-Gebärdensprachen-Kundige – der Einsatz als Übersetzung von auf Text basierenden Websites oder Beipackzetteln der Pharmabranche. „Gehörlose können zwar Lesen und Schreiben, die Muttersprache bleibt aber die Gebärdensprache. Unsere Schriftsprache ist eine Abstraktion der Lautsprache. Es ist schwierig, das zu verstehen, wenn man das noch nie gehört hat“, so Tschare. Er bringt dazu eine Metapher: „Das wäre etwa so, als würden sich Blinde über Farbcodes verständigen.“ Die Übersetzung via Gebärdensprache-Avatar würde also mehr Barrierefreiheit bedeuten – für rund 8000 Menschen in Österreich.

Und es würde ihnen wohl auch so manch filmischen Genuss schmackhaft machen. Denn als Beispiel zeigt Tschare gern einen Ausschnitt des Films „Die fabelhafte Welt der Amélie“. Tatsächlich wirkt da auch für den Laien ein reeller Mensch als Übersetzer von Audrey Tautou doch etwas irritierend. Ein Avatar, der dann auch noch optisch der Hauptdarstellerin ähnelt, macht die Sache doch etwas stimmiger.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2013)

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