Die Sehnsucht nach Chlorophyll

(c) Clemens Fabry
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Minibalkon, Dachterrasse oder Parkanlage: Die Landschaftsarchitekten pflanzen der Stadt Erholungsoasen und Freiräume in allen Größen und Formaten ein.

Ein Ozeandampfer mitten in der Stadt. Rote Wände mit Bullaugen, ein Liegedeck aus Laminatplatten und ein Sonnensegel mit integrierter Dusche. Platzsparend wie auf hoher See. Dazwischen grüne Inseln aus Pflanzentrögen mit Kiesel, Gräsern und jungen Bäumen. Dieses „Schiff“ hat seinen Hafen, hoch oben im neunten Bezirk Wiens.

Das „Schiff“ ist eine Dachterrasse, gestaltet von der Landschaftsarchitektin Alice Größinger. Die Gründerin des Büros Idealice entwirft nicht nur öffentliche Räume wie Parks oder Grünflächen von Wohnanlagen, sondern auch private Gärten, Dachterrassen und Balkone. Wenn es die Kunden so wollen, lässt sie auch Schiffe auf dem Dach ankern. „Der eigene Freiraum dient immer mehr als erweitertes Wohnzimmer und als Rückzugsort zur Erholung. Der Wunsch nach Natur nimmt in der Stadt zu“, sagt Größinger. Selbst, wenn das Grün nicht mehr mehr überziehen und bedecken kann als einen Minibalkon zum dunklen Hinterhof.

Tricks auf dem Dach. „Wichtig ist es, den Raum vielseitig nutzen zu können, egal, wie groß er ist, beispielsweise als Obst- und Gemüsegarten genauso wie zur Entspannung mit Sitz- und Liegemöbeln“, erklärt Größinger. Gemeinsam mit den Kunden werden Ideen gewälzt und dazu im Jahresverlauf passende Pflanzen besprochen. Die örtlichen Gegebenheiten sind dabei maßgeblich: „Auf einer Dachterrasse braucht es beispielsweise einen guten Aufbau, ein Drainage- und ein Bewässerungssystem. Oft ist der Wind auf dem Dach stark, und je nach Lage wird es sehr heiß, was für die Wahl der richtigen Pflanzen entscheidend ist“, meint Größinger. Geeignet sind robuste Pflanzen wie Gräser, Seedornarten oder Kräuter, wobei Blütenfarben, Textur, die Blattformen sowie die Blütezeit in der Planung eine Rolle spielen.

Hin und wieder arbeitet die Landschaftsarchitektin auch mit Kunstrasen aus dem Sportstättenbau. „Ich bin immer auf der Suche nach neuen Materialien und mag die gute Mischung aus Natur- und Kunstmaterialien“, sagt Größinger, die auch den Freiraum des Innovationsquartiers Seestadt Aspern gestaltet hat. Stein, Holz, Asphalt, Beton, Stahl und Kunststoffe kommen ebenso zum Einsatz wie Gräser, Stauden oder Kräuter. Auch Wasser kann eine stimmungsvolle Atmosphäre schaffen. Sind echte Wasserelemente aufgrund des Gewichts auf einer Dachterrasse nicht möglich, greift sie zu blauem Glaskiesel in verschiedenen Korngrößen. „Gerade bei räumlich sehr begrenzten Gärten in der Stadt sind oft Tricks notwendig. Man kann beispielsweise mit Trögen in verschiedenen Höhen Räume größer wirken lassen und mit in Möbeln integrierten Pflanzen und Leuchten Platz sparen.“

Während beim Bau eines Einfamilienhauses die Anlage des Gartens schon in der Planung berücksichtigt werden kann, ist die Gestaltung des eigenen Grüns in der Stadt oft durch die Bauweise der Wohnung oder der Terrasse vorgegeben. „Der Bereich außerhalb des Wohnraums ist in Österreich in planerischen Fragen viel zu wenig präsent. In anderen Ländern wie der Schweiz und den Niederlanden setzt man sich viel mehr mit Aufenthaltsqualitäten im Freien auseinander“, meint Daniel Zimmermann, Landschaftsarchitekt des Wiener Büros 3:0.

Dazu zählt etwa die Ausrichtung an den benachbarten Gärten, den Windrichtungen oder den Witterungsverhältnissen. Zimmermann: „Zunächst muss man überlegen, wo man sich aufhalten möchte, von wo Sonne und Wind kommen, man muss sich mit der Topografie beschäftigen. Schließlich will man nach der Arbeit noch in der Abendsonne sitzen, und nicht im Schatten.“ Dazu müsse überlegt werden, wie viele Menschen sich im Garten aufhalten werden, welchen Bezug er zum Wohnraum haben soll und ob etwa eine Terrasse ganzjährig oder nur im Sommer genutzt werden soll.

„Je näher der Grünraum optisch zum Wohnraum liegt, desto näher ist er im Alltag integriert und umso eher wird er genutzt“, meint Zimmermann. Der Trend zum Nutzgarten zeigt sich auch in Gemeinschaftsgärten, in denen beispielsweise Bewohner einer Wohnanlage gemeinsam eine Fläche bewirtschaften. Auch das Büro 3:0 gestaltete ein solches Projekt in Zusammenarbeit mit der amerikanischen Landschaftsarchitektin Martha Schwartz im Park des Siedlungsgebietes Monte Laa in Favoriten.

Wenig Zeit. Zwar sind Gärten längst nicht mehr nur Zierde, sondern werden genutzt, um etwa gewisse Gemüsesorten oder Kräuter zu kultivieren, für die Arbeit im Garten fehle aber oft die Zeit, meint Landschaftsarchitekt Stefan Hinterhölzl. „Der Aufwand, das gesamte Areal eines Gartens zu pflegen, übersteigt meist die Erwartungen. Oft gibt es bestimmte Bereiche, die selbst bearbeitet werden, der Rest ist so geplant, dass er auch ohne intensive Pflege funktioniert“, berichtet Hinterhölzl, der im Team von Kramer & Kramer bei Tulln vor allem private Gärten und Dachterrassen gestaltet.

„Es müssen nicht unbedingt die gleichen Materialien verwendet werden, aber es sollte ein stimmiger Verlauf mit Belegen, Lichtinszenierung und Möbeln sichtbar sein. Der Garten hat immer auch repräsentativen Charakter“, sagt Hinterhölzl. Als bauliche Maßnahmen werden auch die Pflanzen selbst eingesetzt: Solitärpflanzen als Gerüst oder flächige Stauden, um etwa Spielbereiche für Kinder abzugrenzen. „Während der Planung muss man immer wieder kommunizieren, dass ein Garten nie ein fertiges Produkt sein kann. Das Spezielle an der Landschaftsarchitektur ist, dass sich der Garten durch stetiges Wachsen weiterentwickelt“, sagt Hinterhölzl. Farben, Blüten und Gerüche ändern sich nicht nur im Jahreszyklus, auch über Dekaden hinweg sind die Pflanzen in Veränderung. „Ein Garten ist niemals im Endzustand. Das kann ihn über die Jahre aufwerten und verbessern.“

Grün gestalten

Idealice heißt das Büro von Landschaftsarchitektin Alice Größinger. Sie entwirft die Gestaltungen für Balkone und Dachterrassen genauso wie für Gastgärten (www.idealice.at).

Das Büro 3:0 plant Privatprojekte, aber vor allem urbane Räume wie Parks und Grünräume in Wohnanlagen, Schulen oder Krankenhäusern (www.3zu0.com).

Kramer & Kramer gestalten Gärten, Dachterrassen und Naturpools (www.kramerundkramer.at).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2013)

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