Start-ups: Wiener Hirn für Übersee

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Start-ups(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Immer öfter lassen heimische Start-ups ihre Entwickler in Österreich arbeiten, während sie selbst in den USA sind. Aus Qualitäts- und Kostengründen – und auch etwas Angst vor der Konkurrenz.

Will Manuel Weiss mit seinem Ko-Gründer und CEO Moritz Plassnig reden, muss er kurz überlegen. Sechs Stunden Zeitverschiebung liegen zwischen der US-Metropole Boston und Wien. Wenn es bei Moritz Mittag ist, hat Manuel Feierabend. Wenn Moritz am Abend länger arbeitet, liegt Manuel schon im Bett. Ihre gemeinsame Arbeitszeit beginnt in Wien um 13.30 Uhr. Da ist es bei Moritz in Boston halb acht Uhr in der Früh. Dann haben sie vier gemeinsame Stunden. Aber sie haben gewusst, auf was sie sich einlassen.

Immer mehr heimische Start-ups lassen ihre Entwicklungsabteilung in Österreich zurück, während sie selbst versuchen, in Amerika Fuß zu fassen. Zum einen liegt es daran, dass es schwierig ist, mit der Konkurrenz in Übersee mitzuhalten. Gute Entwickler sind auf der ganzen Welt knapp, auch in den USA. Und wer als Arbeitgeber mit großen Konzernen wie Google und Facebook konkurrieren muss, zieht schnell einmal den Kürzeren. Denn diese können nicht nur ein besseres Gehalt zahlen, sondern warten auch noch mit Goodies wie Gratiswäscheservice und Betriebskindergärten auf.

Zum anderen liegt es aber auch am besseren Netzwerk zu Hause. Die Start-up-Szene in Österreich ist überschaubar, jeder kennt hier jeden, die heimischen Entwickler haben einen guten Ruf und auch der Kontakt zu Unis ist leicht gelegt.

So haben das auch Moritz Plassnig und Manuel Weiss gesehen, als klar wurde, dass sie mit ihrem Start-up Codeship den Schritt nach Amerika wagen werden, weil dort ihr Hauptmarkt liegt. Codeship produziert ein Tool für Software-Entwickler, die damit ihre eigenen Anwendungen besser testen und veröffentlichen können. „Gerade Boston hat eine sehr starke Geschichte in der Enterprise-Software und unsere ersten Investoren waren in Boston“, erklärt Plassnig die Standortwahl.

Während er sich seit gut einem halben Jahr in Boston aufhält, steht sein Kollege, Manuel Weiss, im lichtdurchfluteten Wiener Büro in der Oberen Augartenstraße. Fünf Schreibtische, an denen drei Mitarbeiter sitzen, befinden sich im Raum. Einer der Entwickler hat die Füße auf dem Tisch, der andere einen Sack mit Äpfeln.

Halb in Wien, halb in Boston. In der Ecke warten weitere Schreibtische darauf zusammmengebaut zu werden. Denn das junge Start-up hat eben 2,6 Millionen Dollar durch Investoren an Land gezogen. Demnächst wird die sechsköpfige Firma sieben neue Mitarbeiter einstellen. Die Firma wird ihr Entwicklungszentrum dann weiterhin in Wien lassen, während Weiss, Plassnig und Kollegen ab März von Boston aus den Markt bearbeiten werden. Im Alltag bedeutet das für die Firma: Organisation, Organisation, Organisation.

So gut wie alles wird schriftlich fest- und abgehalten, Gespräche, Meetings. „Weil das Wichtigste ist, dass alle immer auf dem gleichen Stand sind“, sagt Weiss, der in Wien das Büro leitet. Dafür haben sie sich unzählige Online-Tools zunutze gemacht. Kalender sind für alle offen, Dokumente werden mithilfe von Google Docs gemeinsam benützt. Einmal die Woche, am Donnerstag, gibt es einen Wochenrückblick und einen Ausblick. Bei dem ist Moritz Plassnig dann per Videokonferenz zugeschaltet. „Regelmäßige Gespräche per Video sind total wichtig“, sagt Weiss. Kern und Angelpunkt sind trotzdem die Aufzeichnungen. Sogar die Alltagskommunikation im Wiener Büro funktioniert über Chat. „Entwickler brauchen einfach eine Zeit lang, um in ein Thema reinzukommen. Wenn man sie rausreißt, ist das nicht gut“, sagt Weiss in Anspielung darauf, dass alle in einem Raum arbeiten. Außerdem sei es so leichter, Dinge zurückzuverfolgen. „Für mich war das am Anfang auch eine totale Umstellung. Ich bin ja doch eher ein kommunikativer Mensch. Aber so skurril es klingt, ich glaube, auf lange Sicht sind wir so effizienter“, fügt der 27-Jährige hinzu. Freilich, der persönliche Kontakt sei trotz allem am wichtigsten. Alle zwei Monate will das kleine Unternehmen die Mitarbeiter daher an einem Ort zusammenbekommen. „Man muss sehr aufpassen, weil sich die Leute sonst nicht mehr kennen“, sagt Weiss.

Treffen ist Pflicht. So sieht man das auch im Wiener/New-Yorker-Start-up NextSociety. Wobei man da gleich einen Schritt weitergeht. Hier leben die Entwickler manchmal wochenweise gemeinsam in einer Wohnung, die gleichzeitig das Büro ist.

NextSociety ist ein Networking-Tool, das hilft, Kontakte von Social-Media-Plattformen wie Facebook oder LinkedIn besser zu verwalten. Das Unternehmen wurde in New York gestartet, von den drei Wiener Gründern lebt einer die meiste Zeit dort, der zweite ist einmal hier einmal dort, und der dritte, Ben Simsa, ist hauptsächlich in Wien beheimatet, von wo er auch das Start-up-House im achten Bezirk leitet. In dem er übrigens auch selbst wohnt.

„Wir wollten nicht nur ein Start-up gründen, sondern auch eine Community um die Firma schaffen“, sagt Ben Simsa. Weswegen auch immer wieder Entwickler aus dem Ausland nach Wien kämen, die für die Firma arbeiten und hier auch schlafen können.

Auch bei NextSociety setzt man auf möglichst viele Kanäle, um in Kontakt zu bleiben. Hält Videokonferenzen, bespricht sich am Telefon. „Einander sehen und richtig miteinander reden ist wichtig. Nur E-Mail würde nicht gehen“, sagt Simsa. Ein Ersatz für ein richtiges Gespräch seien freilich auch Videokonferenzen nicht. Weswegen auch hier versucht wird, sich in regelmäßigen Abständen persönlich zu treffen.

Neun Stunden sind ein Problem. Die Entwickler selbst empfinden die Zeitverschiebung nicht unbedingt als Problem. „Wirklich schwierig wäre es, wenn wir getrennt wären“, sagt Richard, einer der beiden Entwickler, die derzeit für NextSociety tätig sind. „Das wäre, wie wenn man gemeinsam ein Auto entwickelt, aber einer arbeitet untertags, der andere nachts, und man kommuniziert nur über Zettel“, sagt der junge Mann.

Auch er hätte nach dem Studium die Möglichkeit gehabt, in die USA zu gehen, wollte dann aber nicht. „Ich habe mit einer Freundin gesprochen, und die hat gemeint: ,Freunde findest du schnell, aber nicht echten Anschluss‘“, erzählt er. In Wien passe für ihn die Lebensqualität. Eben hat er sich eine Eigentumswohnung gekauft. Die Möglichkeit, eine Zeit lang in den USA zu leben, ist ohnehin auch bei Start-ups gegeben. Sowohl NextSociety als auch Codeship wollen, dass ihre Mitarbeiter monateweise im jeweils anderen Land arbeiten. Nur eben derzeit nicht auf Dauer.
Überhaupt haben es die beiden Firmen mit etwa sechs Stunden Zeitunterschied zur Ostküste sogar verhältnismäßig gut erwischt. Anders ist es nämlich, wenn acht oder neun Stunden Zeitunterschied zwischen den Teams herrscht.

„Dann hat man vielleicht eine bis zwei gemeinsame Stunden am Tag. Das ist schon eine Herausforderung“, sagt Thomas Kastenhofer, COO von Jumio. Die oberösterreichische Firma im Silicon Valley hat ein neues Online-Bezahlsystem entwickelt und mittlerweile mehr als 200 Mitarbeiter auf der ganzen Welt. Zeitzonenprobleme kennt man also. „Gewisse Prozesse dauern dadurch einfach länger. Es bremst“, sagt Kastenhofer. Unternehmen, die eben erst gegründet wurden, würde er es nicht empfehlen, zu schnell an getrennten Orten zu sein. „Vor allem, wenn man noch in der Entwicklung steckt.“

Auf nach Osteuropa. Die Firma selbst ist vom Entwicklungsstandort in Wien und Linz (derzeit sitzen dort 50 Mitarbeiter) überzeugt. „Die Qualität der Entwickler in Österreich ist sehr hoch“, sagt Kastenhofer, da müsse man sich nicht verstecken. Eher sei es das Problem, dass der österreichische Markt zu wenig Leute produziere.
Dieses Problem kennen auch Codeship und NextSociety, die zwangsweise daher auch in Deutschland oder in Osteuropa oder gar Asien nach guten Entwicklern schauen. Dann werden eben Bewerbungsgespräche mit Russland per Video geführt. Zeitverschiebung freilich inbegriffen.

Start-ups in den USA

Codeship entwickelt ein Tool, mit dem andere Softwareentwickler ihre Applikationen besser testen und veröffentlichen können. Die Firma ist teils in Wien, teils in Boston angesiedelt. www.codeship.io NextSociety ist ein Networking-Tool, das Usern hilft, ihre (beruflichen) Kontakte auf Social-Media-Plattformen wie Facebook oder LinkedIn besser zu verwalten. Das Start-up wurde in New York gegründet und hat sein technisches Entwicklungszentrum in Wien. nextsociety.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2014)

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