Frauen in Hollywood: Die vergessenen 50 Prozent

Melissa Silverstein
Melissa SilversteinDie Presse
  • Drucken

Die US-Bloggerin Melissa Silverstein setzt sich für die Rechte von Frauen im Film ein. Ein Gespräch über Oscar-Reden, Rollenverteilung und die "Diskriminierung" von Quoten.

Die amerikanische Bloggerin Melissa Silverstein setzt sich für die Gleichberechtigung von Frauen in der Filmbranche ein. Sie hat die Website „Women and Hollywood“ gegründet, einen international anerkannten Blog zu diesem Thema. Mit der „Presse am Sonntag“ sprach sie über Frauenquoten und das Fehlen von Frauen in Filmen.

Frau Silverstein, Sie sitzen dieses Jahr in der Jury des Tricky-Women-Festivals, eines Festivals für animierte Kurzfilme von Regisseurinnen. Welche Rolle spielt es im internationalen Kontext?

Melissa Silverstein: Eine wichtige, weil es die Gelegenheit bietet, Filme zu sehen, die sonst nicht gezeigt werden. 70 Prozent aller Filme werden in den Staaten produziert und Länder wie Österreich erreichen dann meist nur die Blockbuster. Bei diesem Festival können andere Regisseurinnen und andere Werke gezeigt werden.

Warum ist das Zeigen von Filmen nur von Regisseurinnen wichtig?

Es verleiht ihnen Gewicht. Wer zu einem Festival eingeladen wird, wird ernst genommen. Und dieses Festival ist einzigartig, ich kenne weltweit kein vergleichbares. Kurzfilme sind eine Nische, Animationsfilme sind eine Nische, Frauen – na gut, die nicht, aber eine gewisse Sonderrolle ist damit verbunden. All das macht es so besonders.

Über Nischen sprechen Sie auch in Ihrem Blog „Women and Hollywood“, dort zitieren Sie die Dankesrede der diesjährigen Oscar-Preisträgerin Cate Blanchett. Es geht darum, dass Filme über Frauen eben keine Nische sind, sondern einen Markt darstellen. Wie groß ist die weibliche Filmindustrie?

Ich würde sie nicht weibliche Filmindustrie nennen. Frauen bilden einfach die Hälfte der Population. Es ist also keine männliche Industrie, sondern eine globale, in der Frauen nicht dieselben Möglichkeiten, Filme zu machen, haben wie Männer. Frauenfilme werden anders wahrgenommen. Oft werden diese Filme als Romantikkomödien abgestempelt – um sie zu erniedrigen. So würde man nie über einen Actionfilm sprechen. Es geht hier um Kategorisierung.

Wenn Sie männliche und weibliche Filmproduktionen vergleichen, was zeigt sich?

Von den hundert Filmen, die letztes Jahr den höchsten Umsatz gemacht haben, haben gerade einmal 15 eine weibliche Hauptrolle und 30 eine weibliche Rolle überhaupt. Das ist nicht genug. 85 Filme waren von Männern gemacht oder haben Männer in der Hauptrolle. In den USA kaufen Frauen die Hälfte der Tickets. Das bedeutet, wir zahlen, um Männer auf der Leinwand zu sehen, alte weiße Männer. Produziert von einem weißen Mann.

Wenn wir von Frauen und Film reden, sprechen wir gleichzeitig über Probleme.

Ja, ich glaube das Problem liegt in der Wahrnehmung, ob Frauen fähig sind, die Führung zu übernehmen. Und es gibt nicht genug Vorbilder. Studien belegen, dass mit „Regisseur“ ein weißer Mann mit Bier und Baseballkappe assoziiert wird. Unsere Aufgabe ist es, dieses Bild zu verändern. Denn junge Filmschaffende haben Träume, wenn sie aber niemanden in dieser Position finden, werden sie nicht mehr träumen.

Wer also keine Vorbilder hat, zweifelt an den eigenen Fähigkeiten?

Es gibt viele Probleme. Dazu zählt etwa, Frauen im Umgang mit Geld zu vertrauen, Studios zu überzeugen, auch Frauen als Regisseurinnen aufzunehmen oder auch nur die Karriereleiter hinaufzuklettern. Führt ein Mann bei einem Independent-Film Regie und ist er erfolgreich, wird ihm der nächste Superheldenfilm angeboten. Für eine Frau gilt das nicht. Wird ein Animationsfilm gemacht, sind übrigens meist Männer zu sehen, wenn im Film eine Menge gezeichnet wird. Das Problem könnte man leicht lösen: Zeichnet die Hälfte als Frauen! Wenn man auf einen Spielplatz geht, sind dann nicht auch die Hälfte der Kinder Mädchen?

Was tun Sie, um mehr Sensibilität für das Thema zu schaffen?

Ich organisiere das Athena Film Festival, mit Fokus auf Frauen und Führungsrollen, außerdem habe ich das Buch „In Her Voice“ veröffentlicht, in dem ich Interviews mit Regisseurinnen gesammelt habe. Ich will, dass Frauenstimmen gehört werden. Männer machen auch allein viel Lärm.

Was war der Auslöser für Ihr Engagement?

Ich sehe gern Filme, es ist meine Art, mich mit der Welt in Beziehung zu setzen. Irgendwann habe ich mich dann gefragt: Warum sind diese Filme alle so mies? Wo sind all die Frauen? So habe ich mit dem Blog begonnen.

Gibt es auch Genres im Film, in denen Frauen besonders erfolgreich sind?

Im Dokumentarfilm. Hier sind Frauen willkommen, weil sie „echte“ Geschichten erzählen. Sie werden aber auch hier nicht so oft für Preise nominiert wie Männer, aber es tut sich etwas. Ein Grund dafür: Dokumentarfilme kosten weniger Geld und brauchen länger, um gedreht zu werden. Das macht es für Frauen bequemer, weil sie vielleicht eine andere Zeiteinteilung wollen. Aber im Filmbusiness läuft alles nach einem männlichen Paradigma. All diese Männer haben eine Familie, ein Kind und bleiben oft drei Monate am Set. Von Frauen wird erwartet, dass sie die Hauptverantwortung für die Kinder übernehmen, egal, was ihr Job ist. Ich habe mit vielen Regisseurinnen gesprochen, alle würden sie beides vereinbaren wollen. Das ist keine Eigenart der Filmindustrie.

In diesem Zusammenhang wird auch oft eine Frauenquote diskutiert. Ist das gut?

Ich bin nicht gegen Quoten – wenn man sie richtig einsetzt. Aber mit Quote wird meist Negatives verbunden. In England gibt es ein Wort dafür: Positivdiskriminierung. Quoten sind dazu da, der qualifizierteren Person den Job zu geben, nicht, ihn jemandem wegzunehmen. Trotzdem würden Quoten bei den Oscars etwa keinen Sinn haben. Wichtiger ist, in jedem Land die Regierung zu fragen, an wen die Fördergelder vergeben werden. Wer Veränderung sehen will, muss Fragen stellen.

Eine andere Frage könnte sein, wie gendergerecht Filme sind. Ist Ihnen der Bechdel-Test ein Begriff?

Ja, aber das ist nur ein Anfang. Bei dem Bechdel-Test gibt es drei Punkte: Kommen zwei Frauen im Film vor? Reden sie miteinander, und wenn ja, auch über etwas anderes als Männer? Weder macht er einen Film zu einem guten, noch macht er ihn feministisch. Es geht um Repräsentation, aber auf eine geschmacklose Weise. Zwei Frauen könnten sich auch erschießen. Die Diskussion muss also weiterführen als der Test. Es geht nicht einfach darum, Frauen im Film zu haben, sondern wir brauchen eine kritische Masse von Geschichten über Frauen in Filmen, Büchern, im Fernsehen, im Leben.

Wie sieht die Zukunft Hollywoods aus?

Letztes Jahr bei der Oscar-Verleihung fühlte ich mich schlecht, als würden ich und alle Frauen nichts bedeuten. Und dieses Jahr kommt Cate Blanchett, opfert ihre Redezeit und spricht über Genderfragen. In diesem Moment gab es einen Impuls. Jetzt muss sich herausstellen, wie dieser Impuls vor den Medien es hinter die Filmszene schafft.

Tricky Women in Wien

Die US-Bloggerin Melissa Silverstein ist seit Mittwoch auf Einladung des Tricky-Women-Festivals in Wien in der Stadt. Sie sitzt dort in der Jury.

Das Tricky-Women-Festival ist ein international bekanntes Wiener Animationsfestival, bei dem ausschließlich Trickfilmarbeiten von Frauen gezeigt werden. Abgesehen davon finden während des Festivals, das noch bis heute, Sonntag, dauert, auch Diskussionsveranstaltungen mit internationalen Regisseurinnen statt.

Beim diesjährigen Trickfilmwettbewerb sind 36 Filme gegeneinander angetreten. Die Sieger werden heute, Sonntag, um 20 Uhr prämiert.

Links: www.trickywomen.at und
blogs.indiewire.com/womenandhollywood

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.