Türkische Kreative: Von Erfolg und fehlenden Vorbildern

Drei Kreative in Wien: Regisseur Unmut Dag, New-Media-Expertin Meral Akin-Hecke und Start-up-Gründer Can Ertugrui (von links)
Drei Kreative in Wien: Regisseur Unmut Dag, New-Media-Expertin Meral Akin-Hecke und Start-up-Gründer Can Ertugrui (von links)Katharina Roßboth (Die Presse)
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Sie werden Regisseure, Unternehmer, New–Media-Experten, sind aber nach wie vor unterrepräsentiert. Drei Wiener Kreative erzählen, warum sich Gastarbeiterkinder manchmal schwertun, in der Kreativbranche Fuß zu fassen.

Es dauerte eine Weile. Während es in Österreich bereits in den 1990er-Jahren die ersten Gastarbeiterkinder zum Arzt, Anwalt und Betriebswirt brachten, konnten sie erst in den vergangenen zehn Jahren auch in kreativen Berufen Fuß fassen. Einige wenige feierten mit ihrer Arbeit sogar beachtliche, teilweise internationale Erfolge. Wie etwa der Wiener Regisseur Umut Dag, dessen erster Langspielfilm „Kuma – Zweitfrau“ 2012 bei der Berlinale uraufgeführt und in weiterer Folge in nicht weniger als 16 Länder verkauft wurde. In Spanien kam das Familiendrama sogar synchronisiert ins Kino – eine Seltenheit bei österreichischen Produktionen.

Auch sein zweiter, von den Kritikern bisher sehr gut aufgenommener Spielfilm „Risse im Beton“ hatte seine Weltpremiere im vergangenen Februar bei der Berlinale und kommt im September ins Kino. Der 31-Jährige, dessen Eltern Ende der 1970er-Jahre aus der mittelanatolischen Provinz Kirsehir eingewandert sind, war 2006 der erste kurdischstämmige Student aus Österreich, der an der Filmakademie Wien aufgenommen wurde und sein Handwerk bei Michael Haneke und Peter Patzak erlernte. Dass in Österreich junge Männer und Frauen mit Migrationshintergrund im kreativen bzw. künstlerischen Sektor unterrepräsentiert sind, hat seiner Meinung nach viel damit zu tun, dass es ihnen lange Zeit an Role Models fehlte. „Du brauchst jemanden, zu dem du aufschauen kannst und der dir ein paar Ratschläge gibt. Das können Eltern sein, Bekannte oder auch die Nachbarn“, sagt Dag. „Andernfalls sind Tätigkeiten als Filmemacher, Fotograf oder Maler schwer als Berufe zu fassen, mit denen man auch seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Und materielle Sicherheit spielt in Arbeiterfamilien nun einmal eine wichtige Rolle. Umso mehr, wenn diese Familien aus einem anderen Land kommen.“

Für seine Eltern sei es immer das Wichtigste gewesen, dass ihre Kinder zumindest einen Bürojob haben, damit sie nicht bei Wind und Wetter im Freien arbeiten müssen wie sie selbst. „Höhere Ansprüche hatten sie nicht. Meinem Vater beispielsweise hätte ich den größten Gefallen damit getan, dass ich Bauingenieur geworden wäre. Da er auf dem Bau arbeitete, sah er immer die Bauingenieure, wie sie einmal am Tag kurz in ihren Anzügen auf die Baustelle kamen, ein paar Pläne unterzeichneten und wieder wegfuhren. Das hat ihn immer sehr beeindruckt“, erzählt der Filmemacher. „Unter solchen Einflüssen wachsen die meisten Gastarbeiterkinder auf. Im Vordergrund steht immer ein Beruf, der prestigeträchtig ist und in dem man gut verdient. Und das sind nun einmal die klassischen Berufe wie Arzt und Anwalt, die man kennt und unter denen man sich etwas vorstellen kann.“

Ihn hielten solche Einflüsse dennoch nicht davon ab, eine künstlerische Karriere zu beginnen – während sein Bruder tatsächlich Bauingenieur wurde. „Wobei ich dieses Sicherheitsdenken sehr wohl in mir habe“, betont Dag. „Als ich mich entschied, Regisseur zu werden, dachte ich als Erstes nicht nur daran, wie ich einen Film drehen kann, sondern wollte mit diesem Beruf auch Geld verdienen. Daher nahm ich auch von Anfang an keine unbezahlten Jobs an, um einen Fuß in die Branche zu bekommen, wie das die meisten tun. Ich machte nur Arbeiten, die Geld einbrachten.“

Spieler live beobachten. In einer Branche, in der man sehr viel Geld verdienen kann, in der Realität und Traum aber auch oft sehr weit auseinanderklaffen, arbeitet Can Ertugrul. Er ist Marketingchef und Mitgründer des Start-ups Hitbox, einer Live-Streaming-Plattform für Videospiele. „Man kann sich das wie Fußballspiele im Fernsehen vorstellen“, erklärt Ertugrul. Nur, dass man bei Hitbox professionellen Videogames-Spielern online beim Spielen zusieht. „Da gibt es mittlerweile einen riesigen Markt mit Profispielern, die gebrandet und gesponsert sind.“

Aber auch beliebte Freizeitspieler (die oft ganz gute Entertainer seien) sind auf Hitbox zu finden. „Die interagieren dann während des Spiels mit dem Publikum. Der Spieler sieht etwa, was die Zuseher über einen Chat schreiben. Und es gibt auch ein Polling-System, in man abstimmen kann, zum Beispiel welches Spiel als Nächstes gespielt werden soll.“ Ein neuer Trend und einer, der auch global schon seine Anhänger findet. Can Ertugrul, Kind türkischer Einwanderer und in Wien geboren, ist damit trotzdem Mitglied einer kleinen Gruppe. Denn auch in der heimischen Start-up-Community ist der Anteil von Wienern mit türkischem Migrationshintergrund vergleichsweise gering. „Es gibt andere Branchen wie etwa Design, da sind es deutlich mehr“, sagt Ertugrul, der auch Gründungsmitglied von Austrian Startups ist – einem Interessenverein, dessen Ziel es ist, das „Ökosystem Start-up“ in Österreich sichtbarer zu machen.

Zahlen zum Anteil von türkischen Migranten im Start-up-Sektor gibt es freilich nicht, und auch die Gründe für die kleine Zahl an Start-up-Unternehmern kann man nur schätzen. Ertugrul fasst sie in zwei Kategorien zusammen: das fehlende unternehmerische Umfeld und die fehlenden Vorbilder.

Grundsätzlich kein Karrierepfad. Und das hat nicht nur etwas mit Migration zu tun. „Es ist für viele Österreicher grundsätzlich kein Karrierepfad, ein Technologie-Start-up zu gründen. Und Migranten sind dann vielleicht noch einmal ein Stückchen weiter weg davon“, sagt er. Auch werde viel zu wenig Talent gefördert oder sichtbar gemacht.

Ist man jedoch erst einmal in die Start-up-Szene eingedrungen, zählt diese zu den offensten, die es gibt. Vorurteile gegenüber Türken? Sicher nicht. „Da zählt viel mehr, was jemand draufhat und wie gut die Idee ist“, sagt Ertugrul. Bei Austrian Startups hätten fünf von sechs Mitgründern Migrationshintergrund. Die Offenheit der Branche hat auch ganz pragmatische Gründe: Ein Start-up in Österreich müsse sich von jeher international ausrichten – weil es innerhalb der kleinen Alpenrepublik nie die kritische Masse für ihr Zielpublikum erreichen könne. Jemanden ausschließen? Das könne sich die ganze Community nicht leisten. Die Internationalität wird auch woanders vorgelebt. „Im Silicon Valley sind auch mehr als 50 Prozent Nichtamerikaner“, sagt er.

Andere sollen teilhaben.
Dass vielleicht noch viel mehr junge Menschen mit Migrationshintergrund ein IT-Start-up gründen, daran könnte Meral Akin-Hecke einen Anteil haben. Die gebürtige Türkin, die seit 25 Jahren in Österreich lebt, ist das Aushängeschild, wenn es um das Thema mediale Kompetenz geht. Akin-Hecke hat 2007 die Plattform Digitalks gegründet, auf der Interessierten der Umgang mit Neuen Medien beigebracht wird. „Ich war damals zwei Jahre in Karenz und fing wieder zu arbeiten an. Da dachte ich, wenn ich das lernen muss, dann lass ich andere daran teilhaben“, erzählt Akin-Hecke, die Wirtschaftsinformatik an der TU studiert hat. Aus dem kleinen Projekt ist mittlerweile eine anerkannte Plattform geworden. Im vergangenen Jahr wurde Akin-Hecke auch zum Digital Champion Austria ernannt, eine Initiative von EU-Kommissarin Neelie Kroes. Sie soll so vielen Österreichern wie möglich den Weg ins Netz ebnen. Das gilt freilich auch für die türkische Community. Bei der freut sie sich, „dass sich vor allem die zweite und dritte Generation der Kinder mit türkischem Migrationshintergrund gut in den Neuen Medien bewegen“. Eine Tatsache, die sie auch weiter stärken möchte.

Twitter senkt die Barriere. Grundsätzlich, sagt sie, sei es für alle – auch für Migrantenkinder aus etwa bildungsferner Schicht – leichter geworden, in kreativen Berufen Fuß zu fassen. Und das hat auch etwas mit den Neuen Medien zu tun. Die würden nämlich Einstiegsbarrieren senken. „Heutzutage kann man sich gut über Twitter und Facebook vernetzen“, sagt Akin-Hecke. Man habe Zugang zu Netzwerken, die es vorher nicht gab. Sei es Film, Musik, Design oder Fotografie. „Wer etwas sagen will und zu sagen hat, der wird auch gehört“, sagt sie.

Wenn man sich ihren Lebenslauf so ansieht, dann hat sie es auch nicht anders gemacht. Vor dem Sommer wird sie nun ihre ersten großen Digital-Champion-Programme präsentieren. Eines davon wird eine digitale Landkarte Österreichs sein, in der alle möglichen Fortbildungkurse und -programme aufgezählt sind. Denn der Zugang zur digitalen Welt und damit auch zur Kreativbranche ist für alle gleich: Er wird nur über genügend Eigeninitiative, Aus- und Weiterbildung geschafft.

Kreative in Wien

Film: Umut Dag ist der erste kurdischstämmige Österreicher, der an der Filmakademie Wien aufgenommen wurde.

New Media:Meral Akin-Hecke bringt (auch als Digital Champion für die EU-Kommission) den Österreichern den Umgang mit dem Netz bei. www.digitalks.at

Start-up: Can Ertugrul hat mit Hitbox eine Live-Streaming-Plattform für Videospiele mitgegründet. Damit kann man Profi-Videospielern live beim Spielen zusehen. hitbox.tv

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2014)

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