Strategien für ein sauberes Legato

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Katharina Loidl ist Klavierlehrerin und Schamanin. Wenn ihre Schüler nervös werden, verhilft sie ihnen mit ätherischen Ölen und Meditationstechniken zur Konzentration.

Es schwinden jedes Kummers Falten, so lang des Liedes Zauber walten“, schrieb Schiller in seinem Gedicht „Die Macht des Gesanges“. Dass Musik das Gemüt ihrer Erzeugers nicht nur aufhellt, sondern es auch ordentlich beunruhigen kann, weiß Katharina Loidl. Sie ist Klavierlehrerin und Schamanin, meistens getrennt, manchmal auch gleichzeitig.

Im 20. Bezirk, in der Nähe des Augartens, betreibt sie eine kleine Klavierschule und bietet Privatunterricht vor allem für Erwachsene, die noch nie Klavier gespielt haben und jetzt damit beginnen möchten. „Ich bin draufgekommen, dass die Leute extrem unter Leistungsdruck stehen“, erzählt Loidl. „Sie kommen rein und sind noch ganz ruhig. Dann sitzen sie am Klavier und der Druck steigt. Man spürt richtig, wie sich alles verkrampft.“

Es geht um nichts, das wissen ihre Schüler. Sie kommen freiwillig her, es gibt keine Bühne, keine Scheinwerfer und – von der Klavierlehrerin abgesehen – kein Publikum. Dennoch werden viele nervös, sobald sie die Finger auf die Tasten legen, sagt Loidl. „Wenn ich ihnen sage: Spiel das jetzt nach, dann merkt man richtig, wie ihnen die Hitze aufsteigt. Bei Frauen ist es noch viel schlimmer als bei Männern. Oder die Männer können es besser überspielen.“

Loidl will ihren Schülern in solchen Situationen helfen. Die 38-jährige Linzerin hat Sozialwirtschaft studiert und war dann lange in Marketingberufen tätig. In den vergangenen zehn Jahren machte sie nebenbei diverse Ausbildungen in Naturheilverfahren, in Holland ließ sie sich zur Schamanin ausbilden. Schließlich kündigte sie ihren Job, um hauptberuflich als Schamanin Menschen bei der Bewältigung „emotionaler Dramen“ zu helfen. Sie arbeitet nach der Vesseling-Methode, versucht die Blockaden ihrer Klienten in Einzelbehandlungen zu lösen: Da lässt sie ihre Klienten ein Thema, das sie bedrückt, in einen Stein pusten, rasselt zur Entspannung und „verbindet“ sich dann mit den Klienten. „Man kann das, was der Klient durchlebt, eins zu eins miterleben. Die Schmerzen, die Bilder werden sichtbar für mich. Dadurch kann ich es dokumentieren.“


„Nur Kugerln auf einer Linie.“ Vor zwei Jahren begann Loidl, Freunden und Bekannten Klavierunterricht zu geben. Sie selbst war als Kind nach der „alten Schule“ unterrichtet worden, freies Spielen und Improvisation war damals nicht angesagt. In ihrer eigenen Klavierschule macht sie alles anders: Sie beginnt früh, mit ihren Schülern zu improvisieren, spielt neben „Ave Maria“ auf Wunsch auch Popsongs von Daft Punk und verkauft ihren Schülern schwierig anmutende Herausforderungen wie das Notenlesen als Kinderspiel: „Das sind eigentlich nur Kugerln auf einer Linie.“ Die meisten Schüler könnten nach der ersten Stunde schon eine ganz einfache Etüde für beide Hände vom Blatt spielen. „Das ist für die meisten Leute ein Wahnsinnserfolgserlebnis“, sagt Loidl. Und trotzdem würden einige Schüler nervös, sobald sie auf dem Klavierhocker Platz genommen und das Notenheft aufgeschlagen haben. Andere würden direkt vom Büro kommen und im Stress jedes Stück runterrattern. „Es gibt immer wieder Leute, da weiß ich spätestens ab der zweiten Stunde, dass wir eine kleine Achtsamkeitsübung machen müssen. Es soll ja ein Klavierunterricht zum Entspannen sein.“

Loidl begann daher, den Unterricht mit Elementen ihrer schamanischen Arbeit zu verbinden – ganz sachte, um die Skeptiker unter ihren Schülern nicht zu verschrecken. Gegen die Nervosität bietet sie ihren Schülern Riechöle an, am liebsten eine Mischung aus Neroli (eine Essenz aus Orangenblüten), Fichte, Ylang-Ylang und Mandelöl. Manchmal baut sie eine „Meditation mit offenen Augen“ in den Unterricht ein: Da drehen sich Schüler und Lehrer auf ihren Stühlen vom Klavier weg, fixieren einen Punkt an der Wand und „frieren ihre Körper ein“. Blinzeln und Schlucken sind die einzigen erlaubten Bewegungen. Dann, nach einigen Minuten, wird der Körper langsam wieder „aktiviert“.

Nicht alle Schüler sind offen für solche Rituale, vor allem Männer könnten mit Riechölen und Meditation häufig wenig anfangen. Ihnen gibt Loidl Haltungstipps: Beine fest auf den Boden, Schultern hängen lassen, nur nicht verkrampfen.
Doping für Profimusiker.Dabei sind Loidls Schüler nicht die einzigen, denen in einer Vorspielsituation Hände, Knie oder sonstige Gliedmaßen versagen. Lampenfieber betrifft auch Profis. Der berühmte Cellist Pablo Casals etwa wurde es zeit seines Lebens nicht los. „Ich kenne keinen Künstler, der so von Angst geplagt wäre wie ich“, sagte er einmal. Auch der Tenor Enrico Caruso litt unter Auftrittsangst, er soll stets ein Fläschchen mit beruhigender Orangenessenz dabeigehabt haben. Die Popsängerin Adele gestand dem Musikmagazin „Rolling Stone“, dass sie sich vor Auftritten regelmäßig übergab.

Je nachdem, welche Studie man zurate zieht, leiden zwischen 30 und 96 Prozent aller Orchestermusiker an Bühnenangst. Die Strategien, um damit klarzukommen, reichen von Auftrittstraining über Hypnose und Kinesiologie bis hin zu Medikamenten. Vor allem im Bereich der klassischen Musik sind Beta-Blocker verbreitet: Sie hemmen die Wirkung von Adrenalin und Noradrenalin und werden auch bei Bluthochdruck eingesetzt. Doping für Profimusiker, quasi.

Für die Schüler von Katharina Loidl dürfte das keine Option sein. Ihre Klavierstunden sollen Spaß machen, und wenn der Finger einmal von der Tastatur rutscht, dann setzt man ihn eben wieder drauf. Geht ja um nichts.

steckbrief

Katharina Loidl ist Schamanin und betreibt eine Klavierschule am Augarten. Wenn sie merkt, dass ihre Schüler nervös werden oder unter Leistungsdruck stehen, wendet sie Energiearbeit an: Riechöle, Meditation und Konzentrationsübungen.

Loidl unterrichtet vor allem erwachsene Anfänger, aber auch Kinder. Am 24. und 25. September bietet sie Schnupperstunden (40 Minuten) für 25 Euro an. Mehr Infos auf easypiano.at.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2014)

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