„Wir lernen das Abstandnehmen vom Gewirr“

Harry Gatterer
Harry Gatterer(c) Zukunftsinstitut
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Wie entwickelt sich die Kommunikation bis zum Jahr 2050? Harry Gatterer, Trendforscher und Geschäftsführer des Zukunftsinstituts, sieht die Zukunft in der Cloud – und im Revival des persönlichen Gesprächs.

Die Presse: Wird es die Briefmarke im Jahr 2050 noch geben?

Harry Gatterer: Ja. Aber in der Form, wie es heute auch noch Telefonzellen gibt und andere Kommunikationsgegenstände, die an früher erinnern. Der Briefverkehr lässt ja kontinuierlich nach. Die Marke wird nicht gänzlich verschwinden, aber nicht mehr die Bedeutung einer Briefmarke von heute haben.

In welche Richtung geht diese Digitalisierung der Kommunikation? Werden wir 2050 Plattformen und Dienste wie WhatsApp und Facebook weiter nutzen?

Wir sind gerade in einer Umbruchphase, in der digitale Strukturen unseren Alltag massiv verändern. Diese Veränderungsgeschwindigkeit wird nicht bis in das Jahr 2050 anhalten. Was man heute seriös sagen kann, ist, dass wir unterschiedliche Kommunikationskanäle nutzen werden, und uns dabei mehr in netzwerkartigen Strukturen bewegen, wie schon teilweise heute. Die Kommunikation bleibt fluid und spontan. Der User wird nur nicht mehr 15 Kanäle gleichzeitig nutzen. Egal ob E-Mail oder Whats-App-Nachricht: Alles kommt in gleicher Form, in einer Benutzeroberfläche an. Im Hintergrund werden diese vielen Kanäle aber bestehen bleiben, weil eine Fusion zu einem einzigen Superkanal technisch schwer möglich ist.

Viele sind geplagt vom Zwang der ständigen Erreichbarkeit. Geht dieser Druck zurück?

Wir nehmen eine andere Form von Update vor: nämlich ein mentales Update im Umgang mit dieser hohen Komplexität in der Kommunikation. Wir lernen, Abstand von dem Kommunikationsgewirr zu nehmen. Dieses ständige Im-Stream-Sein führt zu einer Entfremdung mit der Welt, wie sie ist. Ich bin überzeugt, dass das mit der Phase des Umbruchs zu tun hat. Mit dem sehr schnellen Switch von den analogen, einfacheren Kanälen der Kommunikation hin zu diesem Gewühl an Kommunikation.

Kommen wir mit der Geschwindigkeit der Kommunikation also selbst nicht mehr mit?

Was wir gerade erleben, ist vergleichbar mit der Einführung des Buchdrucks. Als das Buch in maschinell verbreiterter Variante die Welt erreichte, waren die Menschen völlig überfordert, weil sie kaum mehr einschätzen konnten, was wahr ist und was nicht. Plötzlich konnte jeder eine Meinung haben und sie äußern. So ähnlich ist es jetzt. Wir haben eine Überforderung durch diese Vielzahl an Kanälen. Was wir jetzt als Gegentrend erleben, sind Begriffe wie Achtsamkeit, Entschleunigung. Der Rückzug in das Einfache.

Bleibt das Handy unser zentrales Kommunikationsmittel? Oder kommen andere Devices, wie die Google-Brille?

Jede Alternativform – die sogenannten Wearables wie die mit dem Internet verbundenen Brillen, Jacken, Uhren – hat erst dann Sinn, wenn ich den Gegenstand wechseln kann und trotzdem alles bei mir habe. Wenn wir uns in der absoluten Cloud bewegen, was im Jahr 2050 durchaus realistisch ist, dann kann sich die Mechanik der Kommunikation vom Gegenstand lösen. Dann haben wir aber nicht ein Superhandy, sondern viele Devices, die wir nutzen – je nach Situation, in der wir gerade sind.

Geschäftliches und Privates vermischen sich durch die vielen Kommunikationskanäle immer mehr. Ist eine Trennung überhaupt noch möglich?

Wenn man sieht, dass Facebook den Unternehmen ein Tool zur internen Kommunikation zur Verfügung stellt, dann merkt man schon eine Vermengung von formeller und informeller Kommunikation, die wir nicht mehr revidieren können. Wir lernen aber, damit umzugehen. Selbst verantwortlich zu sein und zu sagen: „Jetzt schaffe ich mir den Freiraum.“ Im Moment ist das in den meisten Unternehmen noch nicht vorstellbar. Vor allem in Österreich sind wir in einer extrem leistungsorientierten Gesellschaft, in der es heißt: „Wenn ich erreichbar bin, bin ich gut.“ Das ist eigentlich überholt. Vor allem angesichts dessen, wie komplex unsere Kommunikation und unser Alltag geworden sind.

Wir verschicken immer mehr Bilder und Videos, verwenden Emojis. Welchen Einfluss hat das auf die Entwicklung unserer Sprache?

Durch die Form der Emojis, des bewegten Bildes, wird in unserem Gehirn eine dynamischere Struktur der Kommunikation erzeugt. Das heißt, dass die Sprache sich tatsächlich verändern wird. Die Sprache wird stärker auf das Verb setzen, stärker auf die Dynamik, das Bewegliche. Im Gegensatz zum Hauptwort, das Statik ausdrückt.

Erwartet uns eine Gegenbewegung zur schnellen Kommunikation? Ein Revival des Gesprächs von Angesicht zu Angesicht?

Davon bin ich überzeugt. Die persönliche Begegnung, das Sich-Spüren, wird deutlich an Wertigkeit zunehmen. Man entscheidet sich ganz bewusst für das physische Treffen, auch wenn es vielleicht anders gegangen wäre. Es braucht eine Veränderung im Denken. Als Gesellschaft werden wir das neu lernen und neu entdecken.

ZUR PERSON

Harry Gatterer ist österreichischer Trendforscher und Geschäftsführer des internationalen Zukunftsinstituts. Nach ersten Berufserfahrungen als junger Unternehmer kam er zur Trendforschung. Als Vortragender spricht der ehemalige Vorsitzende der Jungen Wirtschaft vor allem zu seinen Schwerpunktfeldern Arbeit und Arbeitsplätze, Wohnen, Gesundheit, digitale Kommunikation in der Zukunft. Das Zukunftsinstitut beschäftigt sich mit der Vermittlung von Megatrends, mit großen, richtungsgebenden Entwicklungen also.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2016)

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