Lorenz Seidler: Ein Esel erklärt die Kunst

Lorenz Seidler Esel erklaert
Lorenz Seidler Esel erklaert(c) Clemens Fabry
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Das Gesicht zum Newsletter: Der Kunstblogger Lorenz Seidler alias "eSeL" eröffnet eine Dependance im Museumsquartier und will den Kunstdiskurs im Internet etablieren.

Es sind nur ein paar verwirrte Sekunden. Aber Lorenz Seidler mag diese kleine Pause, die nach seiner Standardvorstellung verlässlich entsteht: „Hallo, ich bin der Esel“, sagt er – und schaut dem anderen dann beim Grübeln zu. Gerade in der oft unterkühlten Kunstszene sei der Satz noch immer „ein super Eisbrecher“, versichert er. Und man muss es ihm glauben. Immerhin ist Seidler als Kunstblogger und -vermittler seit zwölf Jahren auf den Vernissagen und Festivals der Stadt unterwegs.

Erfunden hat der heute 36-Jährige das tierische Alter Ego als Kunstgeschichte- und Philosophiestudent, um sich erst via Kolumne, dann via Radio dem Thema Kunst unbefangenen zu nähern, um zu hinterfragen, zu spielen. Erst viel später, sagt er, habe er erkannt, dass „Esel“ auch dem Klang der Initialen von Seidler Lorenz entspricht. Seitdem heißt Esel korrekterweise „eSeL“. Als solchen kennen ihn inzwischen 10.000Menschen zumindest per Mail: Denn in so vielen elektronischen Briefkästen landet sein wöchentlicher Newsletter über das Wiener Kunstgeschehen – das „eSeL-Mehl“.

Die Gesichter zum Newsletter – neben „Esel“ Seidler werken dort u.a. „Erdhörnchen“ Mirela Jasic oder Steffi „Radieschen“ Mohorn – hingegen sind den meisten bislang verborgen geblieben. Das jedoch könnte sich nun ändern: Denn das „eSeL“-Universum, das auf Facebook, Twitter, flickr oder iPhone wächst und gedeiht, bekommt eine physische Außenstelle. Im siebenten Bezirk, im Museumsquartier, entsteht dieser Tage „eSeLs Rezeption“. Es ist ein Hybrid aus Shop, Büro, Medienkunstauslage und einer Informationsstelle für die unübersichtlichen Aktivitäten im quartier21 des MQ. Konkret wird Seidler dort einziehen, wo Jasmin Ladenhaufen mit ihrer „boutique gegenalltag“ beheimatet war. Die Modeexpertin und Miterfinderin des „Modepalasts“ ist kürzlich ausgezogen.

Nicht der einzige Abschied aus der MQ-Moderiege: Auch „styleaut“, die Filiale des gleichnamigen Onlineshops, ist Ende Jänner nach nur eineinhalb Jahren verschwunden – der Grund: Es mangelte an Kundenfrequenz. Insofern markiert der Einzug von „eSeLs Rezeption“ auch eine Wende, die sich im quartier21 schon länger abgezeichnet hat: Hat man vor einem Jahr noch gemeint, man könne eine (auch kommerzielle) Modemeile auf der einen und Netzkultur auf der anderen Seite des langen q21-Trakts gleichberechtigt verbinden, scheint man sich nun für digitale Kultur als Schwerpunkt entschieden zu haben. Und Seidler, der Kulturblogger, passt da perfekt ins Bild.

Immerhin ist sein Anspruch, beides zu verbinden – Kunst und Internet. „Ich will den geschützten Bereich Kunst behutsam für neue Medien öffnen“, sagt Seidler. Behutsam deshalb, weil er einen Balanceakt schaffen will – einen Kunstdiskurs, der keine falsche Scheu und Expertendünkel kennt, aber über das Niveau von „Gefällt-mir“-Buttons auf Facebook hinausgeht.

Kunst-Facebook. Damit die Debatte im virtuellen Raum auch in die Gänge kommt, rüstet die „eSeL“-Website (bisher Kunstkalender, Blog) mit dem Umzug ins MQ auch im Netz auf: „eSeL 2.0“ soll „ein Facebook für Kunst und Kultur“ werden, umreißt Seidler selbstbewusst das Ziel. In der Betaversion zum Testen läuft die Website zum Mitmachen bereits: Die „eSeL“-Plattform wird dabei künftig zur Drehscheibe, damit Besucher Termine wie Kommentare zu oder Fotos von diversen Schauen austauschen können. Via Suchfunktion wird sich zudem verfolgen lassen, was gerade im Web zu dieser oder jener Vernissage „gerauscht“ wird, wie Seidler es nennt. Parallel soll der Kunstdiskurs im Netz für später dokumentiert werden: Blog- und Twitter-Rezensionen werden geordnet nach Ausstellungen archiviert. Finanziert wird der Service über Förderungen (z.B. von „departure“), künftig soll Werbung eine größere Rolle spielen. Auch Seidlers eigene Kunstprojekte tragen zum Budget bei, wobei es ihm schwerfällt, sich einzuordnen, was das Zusammenspiel von Ökonomie und Kunst betrifft: Weder sei er ein „Künstler-Künstler“, noch Teil der Creative Industries – „dazu bin ich zu sehr im Reputationssystem der Kunst verankert“. Wenn er sich definieren soll, dann so: „Ich bin eine ästhetische Lebensform.“

Wien, Graz, Linz. Mit Sicherheit ist er jedenfalls eine umtriebige. Im Sommer arbeitet er bei der Fortsetzung des Linzer Kulturprojekts „Bellevue“ mit, im November kuratiert er die Ausstellung „Kunst & Kapital“ im Künstlerhaus, daneben betreibt er die Off-Galerie Gazebo und für 2012 bastelt er an der Weiterentwicklung des „ARTmART“-Konzepts, das er vor einigen Jahren aus Griechenland importiert hat: Auf einem experimentellen Markt wurden Kunstwerke zum Einheitspreis verkauft. Das Projekt, sagt Seidler, habe aber an Biss verloren, weil die Künstler begonnen hätten, speziell für den „ARTmART“ zu produzieren. Aber auch für die „eSeL“-Plattform gibt es bereits neue Pläne. Nach Wien will man auch Graz und Linz abdecken. Konkrete internationale Pläne gibt es noch nicht. Vielleicht, weil Sprachbarrieren auch Schmähhürden sind – und Eselsbrücken dann nicht mehr funktionieren.

Virtuell: http://blog.esel.at, http://twitter.com/eselat, http://facebook.com/esel, http://blog.esel.at/eselapp.

ImMQ: in der Electric Avenue, im quartier 21.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2011)

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