Crowdfunding: Große Masse, volle Kasse

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Wem eine Projektidee oder ein kreatives Start-up gefällt, kann mit einem frei gewählten Betrag dazu beitragen, dass aus dem Vorhaben Wirklichkeit wird. Beim Crowdfunding erwerben Geldgeber keine Eigentumsanteile.

Viele bewirken mehr als einer – das wissen wir nicht erst seit gestern. Und dass das Web 2.0 der Angelegenheit eine neue Dimension geben kann, spätestens seit Wikipedia oder den Ereignissen in Ägypten. Die Masse formiert sich und tauscht sich aus, lokal auf den Straßen und als global konfigurierte Crowd im Netz. Das Bewusstsein um die Macht der Masse schafft Stärke, Selbstbewusstsein. Und anderes? Wie sieht es aus mit Wissen? Mit Geld? Mit kreativen Impulsen? Oder, anders gefragt: Können die sich im Internet zusammenrottenden Vielen womöglich nicht nur Einfluss und Wissen generieren, sondern auch zu einer neuen und demokratischeren Form der Kapitalinvestition und -verteilung beitragen?

Die Crowd sourct und fundet.
Im Netzsprech bezeichnet man mit Crowdsourcing das Prinzip, das sich freie Wissensplattformen wie Wikipedia zunutze machen. Eine Vielzahl von Nutzern speist das Netzwerk mit seinem Wissen, umgekehrt sorgt die Menge für Kontrolle. Wenn viele Individuen an einer Idee oder einem Problem gleichzeitig arbeiten und sich in Echtzeit austauschen, dann tauchen neue Ansätze und neue Wege auf, so die Überlegung.

Le van Bo, Architekt aus Berlin, sieht ein generelles Umdenken. „Es gibt offensichtlich ein Bestreben, direkter Einfluss zu nehmen auf die Dinge, direkt seine Stimme abzugeben. Das ist ein Trend in der Politik, im Design und auch in Bezug auf Finanzen und Kapital.“ Ihn wundert es deshalb nicht, dass gerade jetzt ein Phänomen wie Crowdfunding auftaucht. Im Unterschied zu Crowdsourcing geht es nicht um die Ansammlung und Verwertung von Ideen und Wissen, sondern die „Bündelung von Risikokapital von vielen Mikroinvestoren, und zwar unter Nutzung von modernen Internettechnologien zur Umsetzung von Ideen. Im Zentrum steht das gemeinsame Bestreben, eine Idee durch eine Vielzahl kleiner finanzieller Beiträge zur Umsetzung zu bringen“, erklärt Reinhart Willfort. Er ist operativer Leiter der Innovation Service Network GmbH mit Sitz in Graz und hat zahlreiche Crowdfunding-Plattformen in den USA und Europa untersucht. Eine davon ist Startnext.de, eine relativ junge deutsche Seite, die Mitte Juni mit einem österreichischen Ableger auf Startnext.at online ging. Das Projekt wurde auf Einladung von creativ wirtschaft austria und der Kreativwirtschafts-Offensive „evolve“ des Wirtschaftsministeriums unlängst in Wien vorgestellt.

Bei Startnext können Start-up-Unternehmer ihre Projekte einer anonymen Crowd vorstellen, die Fördersumme definieren und als Gegenleistung sogenannte „Dankeschöns“ festlegen. Das heißt, jeder Förderer erwirbt mit seiner Investition keinen Eigentumsanteil am Projekt, sondern er erhält eine individuelle Prämie. Das kann eine signierte CD sein, der Besuch in einem Atelier, ein Gastauftritt in einem Hörspiel.

„Die Dankeschöns sind Dinge, die man im Laden nirgends kaufen kann. Und das unterscheidet unser Konzept auch von Spendenplattformen“, so Anna Theil von Startnext. Natürlich dürfen die Unterstützer auch Feedback geben, sich einmischen oder Wünsche äußern. Ob das Projekt darauf Rücksicht nimmt, ist jedem Kreativen freigestellt, laut Theil werde eine dem Finanzierungsprozess vorgeschaltete Startphase aber gerne genutzt. Im Herbst 2010 startete die Plattform, seitdem hat Startnext.de 31Projekte erfolgreich finanziert, und zwar mit einer Gesamtsumme von etwas über 100.000 Euro.

Eines davon sind Le van Bos Hartz-IV-Möbel: Der Berliner entwickelt Do-it-yourself-Baupläne, die sich jeder herunterladen und günstig eigene Möbel bauen kann. „Für mich ist Crowdfunding die demokratischste Kapitalbeschaffungsmaßnahme, die es gibt“, fasst van Bo zusammen. „Das passt natürlich zu Projekten, die etwas mit Masse zu tun haben. Wo nicht eine kleine Gruppe entscheidet, was passiert, sondern alle. Meine Baupläne sind ja auch nur so lange erfolgreich, wie sich die Masse dafür interessiert.“ Van Bo hat bei Startnext um 3000 Euro angesucht und von 64 Förderern am Ende insgesamt 5200 Euro erhalten, darunter eine Firma, die auf Plattenbauten spezialisiert ist. Ohne letztere, gibt van Bo zu, hätte er die angepeilte Summe nicht erreicht.

Ohne Beteiligung wird es schwer. „Wir arbeiten mit dem Alles-oder-Nichts-Prinzip. Das ist auch ein Schutz für den Kreativen, damit der nicht mit 10 Prozent des Budgets sein Projekt realisieren und trotzdem die Dankeschöns ausliefern muss. Wenn das angegebene Budget nicht innerhalb eines vorab festgelegten Zeitrahmens erreicht wird, geht das Geld zurück an die Unterstützer. Dafür können Projekte aber überfinanziert werden“, so Anna Theil. Wichtig ist ihr, dass die Plattform seit Kurzem gemeinnützig ist, statt wie bisher auf ein Provisionsmodell zu setzen. „Seit Juni können die Förderer selbst entscheiden, ob sie 100 Prozent ihres Investments an die Kreativen weiterreichen oder einen Teil an die Plattform abgeben.“

Genau über diese Fragen – die Höhe der Investitionen, den Einflussgrad der Unterstützer, die Finanzierung der Plattformen – macht Reinhart Willfort sich Gedanken. „Da gibt es wenige, die zum Beispiel für Gründer interessant sind, die mit ihrer Gründungsidee 30.000 Euro oder mehr als Kapitalschub für eine breitere Vermarktung oder Technologieentwicklung benötigen würden. Diese Beträge kann man aus heutiger Sicht nur aufstellen, wenn eine Beteiligung am Erfolg des Unternehmens oder Projekts in Aussicht gestellt wird.“ Also doch wieder zurück zum klassischen Investment?

Portale wie das britische Crowdcube.com tragen diesem Umstand Rechnung. Über ein Mikroinvestmentsystem werden die Geldgeber zu Shareholdern und werden bei Erfolg oder Verkauf der Firma entsprechend ausbezahlt. Beteiligungskapital nennt man das, oder auch: Crowdinvesting. Die Idee ist ähnlich: Massenweise kleine Summen ermöglichen Großes. Laut Willfort zählt die Mischung aus finanzieller und ideeller Unterstützung, ein von ihm betreutes Start-up will genau diesen Weg gehen. Neurovation.net verfolgt das Motto „Kreativer sein mit Anderen“, sprich Entwürfe mit der Community teilen und besprechen.

Einmischung erwünscht. Details möchte Willfort noch nicht verraten, aber auch hier soll eine Crowdfunding-Funktion zugeschaltet, dabei aber auf Kapital und Einfluss der Investoren gebaut werden. „Natürlich schätzt der typische Kreative die Unterstützung der Crowd“, so Willfort, „will sich aber seine Idee nicht durch Einfluss von anderen verwässern lassen. Auf der anderen Seite bleibt damit eine wichtige Wirkung von Investoren und Mitdenkern ungenützt, nämlich deren Beziehungsnetzwerke und komplementäre geistige Leistung.“ „Kapital“, das sieht auch Le van Bo so, „ist nicht nur Geld, das sind auch Kontakte und Opinionleader, Leute, die das Projekt weiterleiten, einen Like-Button anklicken und so ihre Kreise anzapfen.“

Die Mischung macht's. Auch bei der Förderung kommt es auf den richtigen Mix an. So betont man etwa bei Startnext.de, dass staatliche Fördereinrichtungen nicht aus der Pflicht genommen werden können. Architekt van Bo betont die Wahl der richtigen Förderung je nach Projekt. „Mir geht es nicht nur darum, irgendwie an Geld zu kommen, egal woher. Dann könnte ich ja auch meine Ersparnisse nehmen. Mir geht es darum, wo man sein Projekt in der Gesellschaft verorten muss. Und wie man es kommunizieren muss.“ Institutionelle Förderanträge sind mitunter nicht ganz unaufwendig und haben so ihre Tücken. Andererseits hat auch das Bewerben eines Projekts auf einer Crowdfunding-Plattform eigene Anforderungen. Eine eingängige Videobotschaft, meint Anna Theil, sei unabdingbar: Besonders wichtig sei, sich persönlich zu präsentieren, so früh wie möglich nach außen zu gehen.

Crowded!

Startnext.at
Österreich-Ableger der deutschen Plattform.

Neurovation.net
Online-Ideenspeicher, der vielleicht bald um eine Crowdfunding-Dimension erweitert wird.

Crowdcube.com
Hier erwibt die Crowd auch Eigentumsanteile.

Crowdfunding-Nachschau
Die Keynote von
Anna Theil über Crowdfunding ist online auf
Creativwirtschaft.at zu finden.

Gute Chancen hat, wer schon über diverse Social-Media-Kanäle vernetzt ist, das Genie im stillen Kämmerlein tut sich schwer. „Man muss da ganz anders denken. Es reicht nicht mehr aus, eine Jury oder ein Gremium zu überzeugen, du musst Hunderte von Menschen erreichen. Das ist eine ganz andere Form der Selbstdarstellung, man ist in dem Moment nicht mehr das Kreativgenie, das sich auf seinem Renommee ausruhen kann. Das kann man sich bei Crowdfunding nicht leisten“, so van Bo. Er glaubt an die Kraft der Masse und des Kapitals. Dass man beides mit anderen Augen betrachten kann und neue Verbindungen sehen muss, ist für beide Seiten von Bedeutung, für die gebende und die nehmende. Für Investoren und Kreative.

Wenn es gelingt, dann werden wie bei van Bo, „Menschen die ich gar nicht kenne zu Botschaftern meines Projekts, das ist wie ein Schneeballsystem. Und das ist Kapital.“ Und ein im besten Sinne demokratisches.

>> Startnext.at

>> Neurovation.net

>> Crowdcube.com

>> Creativwirtschaft.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2011)

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