Baukultur: Kein schönes Land in dieser Zeit

Kein schoenes Land dieser
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Die Landschaft zersiedelt, der Ortskern verschandelt. Auf dem Land dominieren oft Unwissen und Bürgermeister samt Freunden die Baukultur. Doch einige Architekten und Kreative arbeiten mit Engagement dagegen an.

Stadt und Land, das war ja früher so etwas wie ein Gegensatzpaar. Inzwischen verschwimmen die Grenzen, man weiß nicht, wo das eine aufhört, das andere beginnt. Trotzdem funktionieren dort, wo die Gemeinden kleiner werden, die Dinge etwas anders. Vor allem auch in der Planung der Räume und der Objekte, die man in sie hineinstellt. Hier verdichten sich Inkompetenzen, unvorteilhafte Verwaltungsorganisation, Traditionen und Kurzsichtigkeit zu manchen baulichen und raumplanerischen Katastrophen. Deshalb versuchen schon seit Längerem Architekten, aber auch andere Kreative mit ihren Projekten und Initiativen, Bewusstsein für Baukultur und nachhaltige Ästhetik auf dem Land zu schüren.


Bilderwelt. Edith Maul-Röder hatte als Kind keinen kleinen Tante-Emma-Laden. Sie wuchs selbst in einem auf. Ihre Eltern führten in Attersee in Oberösterreich eine Gemischtwarenhandlung, eine Krämerei, wie man so schön sagt. Noch heute erinnert sich die Fotografin gern an das rege Treiben, als der Ort noch Magnet für den Massentourismus war. An die Kunden, die mit ihren übervollen Einkaufskörben im Ort flanierten. An die Kassa, die laut und oft klingelte. Allein: Heute ist davon wenig übrig. Die meisten Läden sind zu, die Menschen sind weg, der Ortskern ist so gut wie tot. Genau genommen trotzt nur noch ein Geschäft wacker den übermächtigen Supermärkten im Nachbarort.

„Die Menschen haben sich zurückgenommen. Das Einzige, was heute entlang der Einkaufsstraße floriert, ist der Autoverkehr“, sagt Maul-Röder nicht ohne Emotionen. Denn es ist nicht nur das Ortsbild, das sein Gesicht, sondern auch die Regionalkultur, die ihre Seele verliert. Also hat Maul-Röder lange überlegt, wie sie wieder Leben in die leer stehenden Portale bringen kann. Bis sie eine Idee hatte: Sie klebte kurzerhand Folien mit fiktiven Nutzungsvorschlägen auf die Häuser, eine Rolltreppe etwa an eine Fassade eines ehemaligen Kaufhauses – eine Anspielung auf das städtische Pendant, die gleichzeitig den Blick auf den Kirchberg freigibt. Einen Tunnel, der den Ortskern mit dem Kirchenplatz verbindet. Oder eine Spirale, die an das Lockengebäck der ehemaligen Bäckerei erinnert. „Die öffentliche Galerie soll zum Nachdenken anregen – und so etwas wie eine Aufbruchsstimmung in den Ort bringen“, wünscht sich die Fotografin. Zumindest fürs Erste dürfte das geglückt sein: „Man sieht wieder Leute auf der Straße. Und sogar die Autos bremsen.“


Ortsbild. Leere Geschäftslokale sind aber nur das eine Problem. Fehlende Planungs- und Baukultur kennt noch ganz andere Mangelerscheinungen. Und sie produziert manchmal der Bürgermeister fast im Alleingang. Dieser spielt nämlich eine gewichtige Rolle in Sachen Ortsbild, indem er Bauverfahren und Flächenwidmung verabschieden muss, er ist die Letztinstanz bei der Baukultur. Er segnet ab, er wischt vom Tisch. Und natürlich ist er kein ganz unwichtiger Bauherr, allein für kommunale Bauten wie das Abfallzentrum, die Volksschule, den Kindergarten. Vor allem in kleineren Gemeinden, in denen von der Müllabrechnung bis zum Bauverfahren alles durch die Hände des „Ortsvorstandes“ geht, „kann sich dann schon etwas einschleichen“, meint Architekt Bernhard Steger von Mohr Steger Architektur.

Will heißen: Da wird dann schon einmal das Feld vom Cousin als Bauland umgewidmet, der dann die Erschließung vom Schwager machen lässt, der wiederum einen kennt, der mit Bagger anrückt, und dann wär' da noch der Spezi von der Bank, der dafür einen günstigeren Kredit aufstellt. Wirklich verwunderlich sei das nicht, meint Steger, „denn der Bürgermeister möchte gewährleisten, dass seine persönlichen Naheverhältnisse bestehen bleiben. Er möchte ja schließlich wieder gewählt werden.“ Außerdem spült die Umwidmung von landwirtschaftlicher Fläche auf Baugrund viel Geld in die Gemeindekassa – bis zu mehreren hundert Euro pro Quadratmeter. Die Grünlandwiese hingegen ist bloß 20 bis 30 Euro wert. „Der finanzielle Anreiz birgt die Gefahr, dass auch in Bereichen gewidmet wird, die nicht ausschließlich der Allgemeinheit dienen“, so Steger. Und außerdem gerät durch die Umwidmung die Gemeinde aus den Fugen, aus einer Einheit wird ein zerstückelter Fleckerlteppich. Steger: „Vom Flugzeug aus sieht man, dass in Bayern die Gemeinden kompakte Größen sind. Doch kaum kommt man über die Grenze, ist alles zerfleddert.“


Baukultur ist Gesprächskultur. Nicht zuletzt deshalb hat Steger die Plattform „Architekturpolitik und Baukultur“ gegründet. Ziel ist es, die Qualität der Baukultur nach oben zu schrauben. Ein Beispiel, wie das funktionieren könnte, ist das Vorarlberger Vorderland: Hier haben sich 13 Gemeinden zusammengeschlossen, die sich nun die Bauverwaltung teilen – und verstärkt auf Qualität bauen. Aber auch die sogenannten „Gestaltungsbeiräte“, ein Expertengremium in Sachen Baukultur, können dem Bürgermeister unter die Arme greifen. Etwa auch bei der Argumentation unter die Arme zu greifen, wenn einmal nicht der ortsansässige Baumeister zum Zug kommt.

Doch bevor es um konkrete Vorhaben geht, sollten erstmal die Basics geklärt sein. Das Wichtigste, so Steger, ist, dass „Baukultur Gesprächskultur ist“. Dass es nicht nur um einzelne Ergebnisse geht, sondern auch um den Umgang miteinander. Und dass man sich schon auch fragen muss, was man wirklich braucht – Stichwort Bedarfserhebung. Den größten Brocken allerdings sieht er gar nicht bei etwaigen „Schandflecken“, sondern vielmehr im Raum zwischen den Gebäuden. Beim Stadtplatz, bei der Ortseinfahrt oder dem Landschaftsraum allgemein. „Denn wenn man baut, bauen wir nicht nur ein Gebäude, sondern prägen auch den Raum dazwischen.“ Oft schreien ja Häuser mitten in der Landschaft in knallbunten Farben, das prägt die Umgebung. Bauen sei mehr als eine Privatangelegenheit. „Es ist zu 99,9 Prozent öffentlich“, sagt er. „Darum muss ein Haus auch so behandelt werden.“ Und darum auch Stegers Notiz an den Bürgermeister: „Mischt euch ein. Das ist eure Aufgabe.“


Raus aus dem Gemeindestüberl. Einmischen sollte man sich auch bei der Errichtung von Fertigteilhäusern, meint Steger: „Denn die größte Katastrophe passiert mit Bauten, die einfach auf das Grundstück gepappt werden.“ Ohne jeglichen Bezug zu ihrem Umfeld. „Dann kommt der Bagger und schüttet eine Anhebung auf, wenn die Fläche nicht eben ist.“ Dann throne das Fertigteilhaus wie ein falsches Schloss auf einem falschen Hügel. Das sei fatal für die Baukultur. Die Häuser müssten aus dem Ort heraus entstehen. Wo ein Hang ist, sollte man etwa das Gefälle akzeptieren. Das bringe durchaus Vorteile: Man kann unterschiedliche Ebenen bauen und letztlich viel mehr nutzbare Fläche rausholen, als wenn man aufschüttet. Gerade hier empfiehlt Steger den Blick in die Vergangenheit: „Früher haben die Leute noch nicht alles technisch lösen können – und dabei sind einfach behutsamere Lösungen rausgekommen.“


Kultur zum Vorzeigen. Doch auch in der Gegenwart kann man sich etwas abschauen. „Es gibt durchaus Bürgermeister, die jenseits von Kirchturmdenken und überdimensionierten Prestigeprojekten gute Strategien verfolgen“, meint Thomas Moser vom Verein Landluft. Und fügt auch gleich hinzu, wie das gehen kann: Man müsse im Vorfeld über Sinn und Zweck von Neubauten nachdenken. Auch die Bürger sollte man in die Entscheidungen miteinbeziehen. Genauso wie Experten zurate ziehen. Wie die Architektengruppe Nonconform etwa. Sie kommt bei Bedarf mit dem mobilen Planungsbüro namens „Vor Ort. Ideenwerkstatt“ in die Gemeinden. Nicht um Pläne vorzusetzen, sondern um zu diskutieren, mit Fachleuten genauso wie mit den Beteiligten, was wohin passen könnte und warum. Mühsam und langwierig sei dieser Beteiligungsprozess in keinem Fall, meint Moser: „Im Gegenteil. Gerade dadurch spart man Zeit und Kommunikation, weil danach keine Konflikte entstehen.“ Und obendrein kommen innovative Lösungen dabei heraus: ein roter Teppich etwa, der in Zeillern in Niederösterreich die Baujuwelen miteinander verbindet. Oder eine temporäre Sommerbühne auf dem Hauptplatz von Haag.

Land in Sicht

»Perspektiven Attersee«
Im Kunstprojekt wird der öffentliche Raum zur Fotogalerie: Edith Maul-Röder zeigt ihre Fotografien zum Thema „Die Architektur des Weges als Verfremdung und Metapher für Vergangenheit und Zukunft“, großflächig an den Fassaden der Häuser. Noch bis zum 26. Oktober, in Attersee, Oberösterreich.

Landluft – Verein und Ausstellung
Der Verein „LandLuft“ engagiert sich seit 1999 für Baukultur in ländlichen Räumen (www.landluft.at). Ab 14. Juli ist die Wanderausstellung, die Projekte und Gemeinden zeigt, die mit dem „Landluft-Baukultur-Gemeindepreis“ ausgezeichnet wurden, in Haag (ebenfalls prämiert) zu sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2011)

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