Raum zum Ausbrüten von Ideen

Raum Ausbrueten Ideen
Raum Ausbrueten Ideen(c) Zötl
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Für ihre Fürsprecher liegen die Vorteile der Zwischennutzung auf der Hand: Kreative und Künstler finden Platz zum Arbeiten, und das Profil von Grätzeln verändert sich.

Brutstätten: So werden in Amsterdam Orte bezeichnet, an denen kreative Ideen Form annehmen. Einen der wichtigsten hat Eva de Klerk mitbegründet. Sie war in den Neunzigerjahren in Besetzungen involviert, arbeitete später als Produzentin, Fundraiserin und Organisatorin. Heute nennt sie sich „Project-Booster“ und hält europaweit Vorträge; vor Kurzem erzählte sie auch in Wien während des Coded-Cultures-Festivals in Wien, wie sie eine heruntergekommene Schiffswerft in Amsterdam mit einer Gruppe von Künstlern, Aktivisten und Skatern in einen der kulturellen Hotspots der Stadt verwandelt hat. Vor mittlerweile 12 Jahren setzte sich das Kollektiv „Kinetisch Noord“ in einem Wettbewerb gegen Architekturbüros und kommerzielle Stadtentwickler durch; heute ist die ehemalige Schiffswerft NDSM ein „Center for underground culture“. Auf 20.000 Quadratmetern ist Platz für Ateliers, Performance- und Theaterräume sowie für einen Skate-Park.

Das Gebäude daneben ist an MTV vermietet: ein Gentrifizierungsvorbote, wie er im Buche steht, könnte man meinen. Dabei betragen die Mietpreise in den Ateliers von NDSM nach wie vor nur knapp drei Euro pro Quadratmeter, denn der Bezirk Amsterdam-Noord hat das Gebäude bis 2027 dem Künstlerkollektiv zur freien Gestaltung und Benützung übergeben. Das ist die Kurzfassung der Erfolgsgeschichte, die Eva de Klerk mit den Worten schließt: „Es ist unmöglich, aber nicht unmachbar.“ Ist aber auch für Wien denkbar, was de Klerk in Amsterdam vorgemacht hat?

Platz für Kreativität. Ein von Skeptikern vorgebrachtes Argument ist, dass Wien aus historischen Gründen relativ wenig industrielle Brachflächen hat. Dennoch gibt es leer stehende Areale wie das alte Gaswerk Leopoldau oder den „Erdberger Kellerberg“, der in den vergangenen Jahren schon unter dem Projektnamen „Eiskella“ erfolglos zwischen Stadt und verschiedenen Initiativen verhandelt wurde. Die Schlüsselübergabe in ehemals besetzten Häusern wie WUK, Arena und Amerlinghaus ist schon 30 Jahre her. Das war das letzte Mal, dass die Stadt einen Leerstand größerer Dimension übergeben hat.

Dabei bestünde, meinen manche, in Wien durchaus Bedarf. So versichert etwa Iver Ohm, Künstler und Kulturwissenschaftler: „Ich kann mir einen Atelierpreis, der bei acht bis zehn Euro pro Quadratmeter liegt, einfach nicht leisten. Die Arbeit von jungen Künstlern findet in dunklen Löchern statt, wo kein Licht ist.“ Und Willi Hejda, Vorstandsmitglied der IG Kultur Wien, warnt: „Der Handlungsbedarf ist massiv, auf jedes Projekt, das realisiert wird, kommen mindestens zwei weitere, die allein an der räumlichen Frage scheitern.“

Entwicklungen in Wien. Oliver Frey, Soziologe an der TU, der im Auftrag der IG Kultur eine Studie zum Thema Leerstand erstellt hat, beschreibt die Situation von kreativen und alternativen Raumsuchenden folgendermaßen: „Sie werden nicht genügend wahrgenommen und gefördert in dem Sinne, dass man erkennt, dass in alternativen Lebens-, Arbeits- und Kulturvorstellungen eine Chance für die gesamte Stadtgesellschaft liegt.“

Die Antwort der Stadt Wien auf den Bedarf der Kreativen nach mehr (Arbeits-)Raum ist die sogenannte Zwischennutzung ganzer Gebäude oder leer stehender Erdgeschoßzonen. „Wir arbeiten derzeit an einer Drehscheibe, bei der Personen ihr Raumangebot veröffentlichen und andere ihr Interesse daran bekunden“, sagt Jutta Kleedorfer, die Projektkoordinatorin für Zwischen- und Mehrfachnutzung. Zwischennutzungen hätten für alle beteiligten Akteure positive Aspekte, ist Kleedorfer überzeugt: Junge Kreative fänden temporär günstige Räume, um ihre Ideen zu verwirklichen. Die Stadt könne einerseits ihrem Interesse an der Stärkung des Kreativwirtschaftsstandortes entsprechen, andererseits würden schwächere Viertel durch den Einzug von Kreativen aufgewertet. Aus ihrer bisherigen Erfahrung seien die Hausverwaltungen diejenigen, die am wenigsten Motivation hätten, Zwischennutzungen zu ermöglichen. „Aber“, so Jutta Kleedorfer, „in den letzten fünf Jahren ist in diesem Bereich viel an Vertrauen dazugekommen in Wien.“ Die Gruppe Theatercombinat, die im ehemaligen Kartografischen Institut große Produktionen realisiert, oder das erfolgreiche Verwertungskonzept Zwischennutzung der Ankerbrothalle seien nur einige Beispiele dafür.

Nicht nur reales Kapital. Soziologe Oliver Frey warnt allerdings davor, sich aus Zwischennutzung vornehmlich ökonomische Wertsteigerung zu erwarten. „Das ist zu kurzsichtig. Denn die Leistungen, die in kreativen Milieus oder alternativen Kulturgruppen entstehen, sind andere Leistungen. Dort wird zum Beispiel aktive Arbeit gegen Rassismus und Sexismus geleistet. Die Politiker haben zu wenig Mut, auf Orte und Personen und Szenen zuzugehen, die den ökonomischen Mehrwert nicht bringen können (wollen).“

Oder, wie Eva de Klerk es beschreibt, wenn plötzlich die Kultur- und Kreativszene entdeckt wird: „Amsterdam will jetzt plötzlich überall Brutstätten: dynamische, extrovertierte und offene Brutstätten. Aber im Namen Brutstätte steckt eigentlich, dass es etwas Geschlossenes, Stilles ist, wo man beschützt und in Ruhe arbeiten kann. Und manchmal kommt dann ein goldenes Ei heraus.“

Diskurs

Leerstandskonferenz
Am 20. und 21. Oktober diskutieren Experten in Ottensheim über Leerstände im ländlichen Raum.
www.leerstandskonferenz.at

Urban Pioneers
Berlin, Hauptstadt der Zwischennutzung, ist auch Protagonist von „Urban Pioneers. Stadtentwicklung durch Zwischennutzung“ (Jovis).
www.jovis.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2011)

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