Social Design: Eine bessere Welt auf Wien-Besuch

Social Design Eine bessere
Social Design Eine bessere(c) EPA (Nestor Bachmann)
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Ein Designrebell der 1970er-Jahre soll posthum in Wien für Diskussionsstoff sorgen: Victor J. Papanek. Doch zunächst erledigen das die Designer, die letzte Woche den nach ihm benannten Social Design Award erhielten.

Gut – wer in Wien routiniert seinen Alltag herunterspult, hat's wohl nicht bemerkt: Wien war letzte Woche die Hauptstadt einer besseren Welt. Die Dichte an sozial verantwortungsbewussten, ökologischen und nachhaltigen Designgedanken im Stadtgebiet war größer als sonst. Vor allem im barocken Heiligenkreuzerhof im ersten Bezirk, wo die Dependance der Universität für angewandte Kunst zur Welt-Filiale des „Social Designs“ wurde. Die dazugehörigen Köpfe und Gehirne hatte die Angewandte zusammengetrommelt. Für ein Symposium zur Eröffnung der „Victor J. Papanek Foundation“. Und vor allem zur Verleihung eines internationalen Awards, der an vier Projekte und die Menschen dahinter vergeben wurde, die versuchen, sich auf der Skala zwischen ökologischem Produktdesign und nachhaltigen Stadtvisionen im „Social Design“ einzureihen.

Die Gegensätze im Heiligenkreuzerhof waren nicht nur visuell: Der Kachelofen aus dem 18.Jahrhundert, zwei Meter weiter das Modell von Brooklyn in New York für das 22. Jahrhundert. Und inhaltlich durften sich Präfixe wie „anti-“ oder „sozial-“ fleißig mit den profilierten, glattpolierten Designbegriffen reiben. Ein Name war vor allem daran schuld: Victor J. Papanek. „Design for the Real World“ postulierte er schon 1971 in seinem gleichnamigen Buch. Als „Rebell“ wird er heute noch gerne apostrophiert. Kein Wunder also, dass er in Wien nur wenig Zeit verbrachte. „Wien ist kein guter Boden für Rebellen im Design oder in der Architektur“, sagt Gerald Bast, Rektor der Angewandten. Seit 1946 war Papanek ohnehin Amerikaner. Zurückgekommen in die Heimat ist zunächst Papaneks guter Ruf, dann seine Verlassenschaft, die als „Victor J. Papanek Foundation“ nun gehortet, gepflegt und bearbeitet wird. Und schließlich sein rebellischer Geist, seine Ideen für eine verantwortungsvolle, nachhaltige Gestaltung der sozialen Umwelt, die nun einziehen durften an der Angewandten.

„Social Design“ soll einen Fixplatz bekommen, meint Bast, die Foundation den Diskussionsstoff dafür liefern, aus dem Designer und Architekten soziale Veränderung produzieren sollen. „Ich glaube, dass die Foundation dazu ihren Beitrag leisten kann.“ Und den ersten Wandel könnte im besten Fall gleich Papaneks Heimatstadt abbekommen: „Karl Kraus hat Wien einmal bezeichnet als ,Versuchsstation des Weltuntergangs‘“, erzählt Bast, „vielleicht werden wir ja zur ,Versuchsstation der Weltverbesserung‘.“


Ausstellung der Ideen. Zunächst dürfen die nachhaltigen, ökologischen Designideen einmal temporär Raum einnehmen, jenen im Heiligenkreuzerhof, wo eine Ausstellung die vier Gewinnerprojekte sowie die 13 Finalisten des Wettbewerbs „Design for the Real World Redux“ zeigt. Die Angewandte hat den Wettbewerb vor knapp einem Jahr gemeinsam mit dem österreichischen Kulturforum in New York und dem Museum of Arts and Design in New York initiiert. „Ich bin sehr glücklich, wie das gelaufen ist“, erzählt Bast. Mehr als 100 Designer und Designbüros hätten eingereicht, von Indien über Südafrika bis Mexiko. Drei Gewinner des „Victor J. Papanek Social Design Award“ kommen schließlich aus den USA, ein Gewinner aus Norwegen (siehe unten). Und die Einreichungen kamen aus jedem erdenklichen Winkel des weiten Feldes „Social Design“. Darunter etwa auch der „iBamboo“-Speaker, ein ökologischer Resonanzraum für das iPhone. Oder auch der „Edible Spoon“, ein essbarer Löffel, den vor allem die Suppen-Kulturkreise mit ihrer Mahlzeit mitverzehren könnten. Bis hin zu einem ökologischen Stadtmodell, in dem der Stadtbezirk Brooklyn in New York plötzlich nur sich selbst genügt und braucht, um zu existieren und nachhaltig zu funktionieren. „Diese Breite habe ich mir gewünscht“, sagt Bast. Denn oftmals werde – vor allem im deutschsprachigen Raum – „Social Design“ vorwiegend als klassisches Produktdesign verstanden.


Breite Klammer.
„Ich bin der Verfechter eines breiten Begriffs von ,Social Design‘. Als Synonym für die Gestaltung gesellschaftlicher Räume und Prozesse“, fährt Bast fort. Und dabei gebe es für ihn unter den Gewinner-projekten durchaus rebellisches Potenzial, wie es sich wohl auch Papanek gewünscht hätte: Das Tablet OLPC XO-3 von Yves Béhar etwa, das das Machtgefüge einer Informationsgesellschaft nachhaltig verändern könnte. „Das ist ein Beispiel für die Demokratisierung von Information“, so Bast. Die Organisation „One Laptop per Child“ setzt dabei bereits auf die Generation nach dem Laptop: Ein günstiges, flexibles Tablet, das Kindern rund um den Globus das Lernen und den Zugang zu Wissen erleichtern soll.

Ein anderes Gewinnerteam, Terreform ONE, eine Non-Profit-Gruppe interdisziplinärer Designer aus New York, blickte 100 Jahre in die Zukunft. Im Stadtbezirk, in dem ihr Büro liegt, Brooklyn, wird 2110 alles anders sein, wenn es die Menschen und die Entscheider so wollen. Die Diskussionsgrundlage dafür haben Terreform ONE mir ihrem Modell „Urbaneering Brooklyn 2110“ auf den Tisch gelegt. „Wir wollten eine Plattform für den Diskurs gestalten, einfach das Potenzial visualisieren“, meint Architektin Melanie Fessel. Ein Brooklyn, das sich selbst genügt, liegt da im Heiligenkreuzerhof, knapp vor dem historischen Kachelofen. Wasser, Energie, Nahrung, alles was Brooklyn und seine Einwohner brauchen, kommt aus Brooklyn, erklärt die Mitgründerin von Terreform ONE, Maria Aiolova. „Das Einzige, was rein- und rausgeht, ist die Kultur.“ Die Grünflächen im Stadtgebiet sind keine Parks, sondern sind „produktiv“, erzeugen Nahrung, Energie, Biotreibstoff. Dazu rückt die Infrastruktur inhaltlich und räumlich ins Zentrum. „Die Infrastruktur ist die neue Kathedrale“, sagt Aiolova. Und deshalb steht im Zentrum Brooklyns im Jahr 2110 auch die Wasseraufbereitungsanlage.

Mit der Gegenwart beschäftigt sich hingegen eine andere Gewinnerin des Social Design Awards, die New Yorkerin Wendy E. Brawer. Ihre Website „Green Map System“ hat sich zum Ziel gesetzt, die Welt zu einem besseren, grüneren, nachhaltigeren Ort zu machen. Und zwar, indem man jene Orte leichter auffindbar macht, die bereits jetzt eine nachhaltige, ökologische und gesunde Lebensweise ermöglichen.

Seit 1995 gibt es Green Maps, seit rund zwei Jahren auch in Form einer mobilen Applikation (unter OpenGreenMap.org). Jeder kann selbst zum Kartographen werden und auf einem Plan seiner Stadt (basierend auf Google Maps) Orte eintragen, die nachhaltigen Lebensstil unterstützen. Mit verschiedensten Icons und Symbolen lassen sich die Plätze markieren, vom Wochenmarkt bis zum Ententeich. „Es geht darum, in einer Stadt zu leben, um die man sich gerne kümmert“, sagt Wendy E. Brawer. Mittlerweile sind bereits mehr als 18.000 Seiten mit 220 Plänen online abrufbar. 780 Green- Map-Projekte aus 60 Ländern gibt es, 560 davon in gedruckter Form, 220 Karten in interaktiver Version.


Heimische Weltretter. Aber nicht nur New Yorker und Norweger machen sich Gedanken über eine bessere Welt. Drei österreichische Projekte finden sich, wenn auch nicht unter den Siegern, so doch in der Ausstellung der Finalisten des Designwettbewerbs.

So etwa auch die „Gebrauchsanweisung für den Planeten Erde“ von der Wienerin Angie Rattay, die beweist, dass selbst Grafikdesign ein probates Mittel sein kann, Bewusstsein zu verändern. Der Beipackzettel, der sich eng an jenen von Medikamenten anlehnt, entstand als Abschlussarbeit an der Angewandten. Die beiden weiteren heimischen Projekte sind das Algenkraftwerk „Plant 3“ vom Wiener Designstudio Eoos sowie das transportable Wasserreinigungsgerät Aqualris von dem in Wien ansässigen Designduo Taliaysebastian. Die Gewinner- und Finalistenprojekte sind noch bis 27. Jänner 2012 im Heiligenkreuzerhof zu sehen.

Victor J. Papanek
Geboren wurde er 1927 in Wien, 1939 emigrierte er in die USA. Er war ein Freund von Frank Lloyd Wright und Anhänger von Buckminster Fuller. Er wandte sich in seiner Lehre und seinen Schriften gegen den Konsumwahn und gegen Design-universitäten, deren Absolventen nur den Interessen der Wirtschaft dienten. Ein berühmtes Beispiel für seine rebellische Anti-Design-Haltung und für Entwürfe, die sich auch an Bevölkerungsgruppen wendet, die das Produktdesign oft genug ausschließt, ist das „Tin Can Radio“, das 1966 lediglich neun Cent kostete. Gebaut aus einer Blechdose mit Transistor, Paraffin und Docht. Papanek traute Design eine immense Kraft zu, nämlich gesellschaftliche Prozesse auszulösen und zu verändern. „Design for the Real World“ heißt das Werk, an dem heute kaum ein Designstudent vorbeikommt und in dem er die verantwortungsvolle, sozial-transformatorische Aufgabe des Designers postuliert.

Sein Nachlass und sein gedankliches Vermächtnis sind in Wien gelandet, sie bilden die Basis für die „Victor J. Papanek Foundation“, die von Alison Clarke geleitet wird. Das Archiv besteht aus seiner Bibliothek, persönlichen Schriften, Manuskripten und Objekten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2011)

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