Neue Stadtmodelle: Graz sucht die Dichte

Zusammenrücken müssen Mensch und Raum in den Städten, das verlangen Vernunft und Klimawandel. Die Architekten haben schon konkrete Vorstellungen, wie das funktionieren könnte.

Was viele Städte notdürftig zusammenhält, ist die Verwaltungseinheit. Oder auch die anachronistische Idee von Stadtgrenzen. Denn tatsächlich zerbröselt die Stadt in Fragmente. Baulich und räumlich sowieso. Aber auch in inhaltliche Teilchen, die zwar alle ganz ambitioniert für sich besser werden wollen, aber dabei doch versäumen, gemeinsam viel Größeres in der Stadtentwicklung zu bewirken. Deshalb versuchen Architekten und Stadtplaner die Teile auf der Skala zwischen Mobilität und Kommunikation zusammenzufügen, zu einer Neukonfiguration des Systems. Oder zumindest durch Nachverdichtung baulich zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzubasteln. Denn fest steht: Die Typologie Hochhaus allein, selbst mit vertikalem öffentlichem Raum oder Garten, wird die Stadt nicht retten. Viele Blicke richten sich von Graz aus auf die Gesamtsicht des Städtebaus von morgen. Etwa aus dem Institut für Gebäude und Energie der Technischen Universität. Der Institutsleiter Brian Cody hat schon des Öfteren das Prinzip „Form follows Energy“ bei Kongressen und Symposien durch den Beamer geschickt.

Mit dem Forschungsprojekt „Stadt der Zukunft“ feilt er gemeinsam mit seinen Studenten daran, wie man die Stadt energetisch und damit auch architektonisch ganz neu aufstellen könnte. Und das muss sein. Zumindest wenn die Gesellschaft eine nachhaltige Entwicklung ernsthaft will. „Das wiederum erfordert eine völlige Neustrukturierung der physischen Infrastruktur unserer Gesellschaft“, erklärt Cody. Und auch die „virtuelle Infrastruktur“ müsse völlig neu gedacht werden. Die „urbane Dichte“ spielt bei all jenen Überlegungen eine Schlüsselrolle. Wie diese optimalerweise aussieht, in energetischer Hinsicht, daran forscht er mit seinen Studenten gerade.

Neue Gebäudetypologien. Neben der räumlichen Verdichtung „müssen auch Strategien zur zeitlichen und digitalen Verdichtung entwickelt werden“, meint Cody. Wenn Städte das erstmal begriffen haben, könnten in Zukunft auch Häuser herumstehen, die man heute so noch nicht kennt, ästhetisch wie funktional. Denn die Gebäudetypologien werden dann radikal andere sein. „Um die Gesamtenergieeffizienz der Gesellschaft wesentlich zu erhöhen“, sagt Cody.

Als „Hyper-Buildings“ tingeln diese Ideen bereits durch die Vorträge auf den Symposien. Wenn sie schließlich einmal ihren Fixplatz haben in der Stadtstruktur, sollen sie nicht als Solitäre dem Gesamtsystem Stadt dienen, sondern als „Zellen eines komplexen Stadtmodells“. Ähnlich dicht wie Manhattan könnte die energetisch ideale Stadt dereinst sein, nur mit Gebäuden, die ganz andere Dinge beherrschen – nämlich sich selbst zu genügen. Keine Energie, kein Wasser von außen nach innen. Kein Müll von innen nach außen. Dafür Wohnen, Büros, Industrie, Landschwirtschaft, Parks und Energiegewinnung in einem vertikalen Verbund.

Nachverdichtung. Die unmittelbare Aufgabe heißt jedoch: Nachverdichtung in den Städten, vor allem dort, wo die Stadt in Fragmente zerbröselt. Die Ausstellung „Dense Cities“ im Forum Stadtpark in Graz zeigt noch bis 25. Februar, wie sich Lehrende und Studierende der TU Graz mit dieser Herausforderung in den letzten Jahren auseinandergesetzt haben.

Nicht höher werden, ist das erklärte Ziel der Bemühungen, sondern dichter, erklärt der Leiter des Instituts für Gebäudelehre an der TU Graz, Hans Gangoly, „eine ökonomische und ökologische Notwendigkeit in mitteleuropäischen Städten“. Die Ambitionen zur Nachverdichtung könnten in jedem Fall in ein „gänzlich anderes Bild der Stadt“ münden. Eines, in dem die oberen Geschoße durchmischt statt monofunktional sind. Mit Gemeinschaftseinrichtungen, die allen offenstehen, genauso wie das Dach, das Aufenthaltsqualitäten und -ebenen in die Stadt einziehen könnte. Die Positionen auf dem Stadtplan, die sich dafür eignen, sind die, an denen die Stadt bereits funktioniert, wo der Verkehr fließt, die Infrastruktur stimmt. „Graz ist außerhalb der Zone der Gründerzeithäuser fragmentarisch. Uns geht es darum, dort die Stadt zu reparieren“, sagt Markus Bogensberger, Assistent am Institut für Gebäudelehre. Die Reparatur wird fällig, weil die Stadt lange Zeit willfährig auf die Interessen der Investoren reagiert hat. Und sich noch dazu bei der Problembehandlung jeweils nur einem Teilchen des Ganzen gewidmet hat, meint Gangoly.


Die Stadt in der Pflicht. Aber auch die Gründerzeitblöcke hätten großes Potenzial zur Nachverdichtung. „Sie sind meist frei von Einbauten, dieser Raum könnte genutzt werden“, erklärt Bogensberger. Etwa als Grünraum, darunter hätte die Garage Platz und ganz oben neuer Wohnraum. Die Stadt ist in der Pflicht, geeignete Modelle anzubieten, meint Gangoly: „Sie muss dafür sorgen, dass die entsprechenden Wohnangebote geschaffen werden, die dem Bedarf entsprechen.“

Also Wohnraum, der auch für junge Familien mehr Anreiz bietet als das Einfamilienhaus, das ökonomisch und ökologisch längst ein Auslaufmodell ist, in der undefinierten Siedlungssuppe rund um Graz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2012)

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