Werkstoff Papier: Sitzen am Notizblock

Werkstoff Papier Sitzen Notizblock
Werkstoff Papier Sitzen Notizblock(c) Bilderbox
  • Drucken

Der Werkstoff Papier ist leicht verfügbar, ziemlich billig und angeblich auch geduldig. Designer finden aber, er kann viel mehr, als nur beschrieben werden.

Am Anfang stand die Idee, einen Sessel aus Papier zu produzieren. „Den habe ich gemeinsam mit einem Studienkollegen in 17Stunden angefertigt. Als er dann fertig war, haben wir uns daraufgesetzt, und er ist zusammengebrochen“, erzählt Christoph Rochna über seine Anfänge im Papier-Business.

Um das Problem zu umgehen, versuchte sich der gebürtige Deutsche an Papier-Sitzsäcken und ließ dafür ein eigenes Material, das zu 100Prozent biologisch abbaubar ist, entwickeln. „Danach war das Material zu schade, um es einfach nur für Sitzsäcke zu verwenden. Und so sind wir auf die Laptophüllen gekommen“, sagt er. Christoph Rochna ist der kreative Teil des österreichischen Start-ups Papernomad. Gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Mario Bauer, der für das Marketing zuständig ist, hat der 35-Jährige Papierschutzhüllen für Laptops, Handys und Computertablets entwickelt und sorgt damit seit einem halben Jahr weltweit für Furore. Von Europa über Asien bis hin nach Kanada werden die Papernomad-Produkte mittlerweile verkauft. Seit Kurzem sind sie auch bei Händlern erhältlich, die Apple-Produkte führen. Bis dahin ist es vielleicht nur mehr ein kleiner Schritt in die offiziellen Apple-Stores. Die beiden jungen Männer haben wohl eine Marktlücke entdeckt. Warum?

„Papier entspricht einfach dem modernen Zeitgeist. Es verkörpert den Umweltgedanken, ist biologisch abbaubar und nachhaltig“, erzählt Mario Bauer, wie er auf die Idee gekommen ist, sich einem Papierprodukt zu widmen. „Organische Materialien sind total im Kommen. Selbst in der Automobilbranche wird immer öfter darauf gesetzt“, fügt Rochna hinzu.

Tatsächlich dominiert Papier unseren Alltag, nur die wenigsten wagen sich aber daran, stabilere Produkte daraus zu fertigen. Solche, die auch die Eigenschaften von Produkten aus Plastik oder Holz haben, also Widerstandsfähigkeit, Wasser- und Reißfestigkeit. „Und wenn, dann sind viele Papierprodukte mit Plastik durchzogen. Wir wollten aber ein ausschließlich grünes Produkt“, sagt Bauer. Weswegen die beiden erst ein geeignetes Werkmaterial bei einem großen Papierhersteller entwickeln mussten. Seither gibt es das patentierte Papernomad-Papier: reißfest, wasserfest und zu hundert Prozent biologisch abbaubar. Auch das grüne Innenvlies, mit dem die Produkte gefüttert sind. Geschätzte Lebensdauer: Mehr als eineinhalb Jahre.

Spuren hinterlassen. Doch abgesehen vom grünen Gedanken ist es eine andere Eigenschaft, mit der die Papernomads ihre Kunden auf der ganzen Welt begeistern wollen: Mit der Idee, ihr Produkt nicht sauber zu halten, sondern von oben bis unten zu bekritzeln. Egal ob Kaffeefleck, Notizen aus der Konferenz oder die Telefonnummer eines neuen Bekannten – alles soll auf den braunen packpapierartigen Hüllen vermerkt werden. „Wir leben in so einer schnelllebigen Zeit, das Papier nimmt unsere Spuren auf. So können wir es nicht vergessen“, sagt Rochna.

Um Marketingideen sind die beiden nicht verlegen. Einmal schicken sie eine iPad-Hülle als eine Art Kettenbrief um die Welt, ein anderes Mal lassen sie sich aus ihrem Papier eine Hose nähen und gehen damit auf Promotiontour in Amerika. So erfolgreich, dass mittlerweile sogar Schauspieler William Shatner, ehemaliger Captain Kirk, oder die Sängerin Sheryl Crow zu ihren Anhängern zählen. Letztere hat die Hüllen gar nicht mehr aus der Hand geben wollen. Rochna wundert das gar nicht: „Das Angenehme am Papier ist die Haptik. Wir alle haben ein Smartphone, wo alles drinnen steht. Aber es ist nichts mehr angreifbar.“ Ebenfalls mit Papier, allerdings an anderer Front, befasst sich die gebürtige Ungarin Agnes Topolai. Sie hat just jene Idee umgesetzt, an der Christoph Rochna im ersten Anlauf gescheitert ist: Mit dem spanischen Industriedesigner und Architekten Sergio Suchomel hat sie faltbare Werbesessel aus Papier entwickelt.

Wegwerf-Sessel fürs Museum. „Ich hatte einfach die Nase voll von Dienstleistungen. Und Kunst ist schon immer mein Steckenpferd gewesen“, sagt die 52-jährige Ex-Privatbankerin. Auf der Suche nach neuen Ideen ist sie auf Kartonsessel gestoßen. „Mich hat die Idee fasziniert, etwas, das den Ruf hat, nur eine billige Verpackung zu sein, als Designobjekt zu verwenden“, erzählt sie.

Auch wenn Topolai bis heute mit dem Image zu kämpfen hat: „Im ersten Moment glauben die meisten natürlich, dass der Sessel unter ihnen zusammenbricht.“ Tut er aber nicht. Bis zu 120Kilo tragen die fast ein Kilo schweren Faltsessel, die mit zwei Handgriffen aufzustellen sind und die es auch in Kindergröße gibt. Verkaufen will Topolai ihre „Picksit“-Werbesessel auf Firmenveranstaltungen. „Sie sind individuell bedruckbar und damit eine große Werbefläche. Und wenn sie mit nach Hause genommen werden, bleibt der Werbewert länger erhalten“, sagt sie. Auch im Museum sieht sie für die Picksits, das Projekt ist von „aws impulse“ gefördert, ein Einsatzgebiet. „Zur Leihgabe am Eingang: Dann kann sich jeder dort niedersetzen, wo er mag.“ Sind die Sessel nach einiger Zeit dann doch ausgeleiert, können sie jederzeit weggeworfen werden. Oder sie werden – im Winter besonders praktisch – verheizt. Noch zieren sich beim Abwägen der innovativen Idee aber manche Kunden. Topolai nimmt es gelassen: „Jede neue Idee braucht ihre Zeit.“ Dass sie auch in Zukunft mit Karton arbeiten wird, steht für Topolai schon fest. Auch wenn es eine Glaubensfrage ist. „Entweder man mag das Material oder nicht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.