Stoffentwickler: Gut gestrickt und klar erzählt

Stoffentwickler gestrickt klar erzaehlt
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Stoffentwickler sind Geburtshelfer für Filmprojekte, coachen Drehbuchautoren und wachen darüber, wie Ideen allmählich zu richtig guten Scripts und Storys reifen.

Eine Spiralbindung, die Schrift womöglich Courier, 12 Punkt groß. Und überall mit Kuli die Anmerkungen des Regisseurs. So ungefähr sieht ein Drehbuch in der Fantasie der Filmkonsumenten aus, bevor die Kamera zum ersten Mal läuft. Doch bis der Regisseur überhaupt kritzeln darf, müssen oft Menschen den Stoff, aus dem die Filme sind, und die Autoren, die sie erfinden, an der Hand nehmen. Und zu einem reifen Resultat führen.

Stoffentwicklung ist eine der Aufgaben, denen sich „Witcraft Scenario“ widmet. Die Produktionsfirma vereint die Rollen des Produzenten, Dramaturgen und Drehbuchberaters und hat schon mit der Entwicklung der Filme „Die Vaterlosen“ oder „Gangster Girls“ von sich reden gemacht. Als Drehbuchberater versuchen sie, Autoren an unzähligen Fallen, die bei der Genese der Geschichte lauern, vorbeizusteuern. Denn selbst die saubere Beschreibung technischer Abläufe und der Szenerie ist gar nicht so einfach. Und auch Dialoge wirken oft hölzern und alles andere als authentisch, wenn man sie Figuren in den Mund schreibt. Wenn bereits einzelne Fragmente im Drehbuch unstimmig sind, hat auch der Kern der Geschichte kaum eine Chance, sein Publikum zu erreichen.

Ursula Wolschlager von Witcraft erzählt, was zu ihren Aufgaben gehört: „Ein Genreprojekt überprüfen wir natürlich auf die Einhaltung der Genreregeln, bei einem sehr klassischen Projekt achten wir demnach auf die klassische dramatische Struktur, bei Ensemblefilmen ist es wahnsinnig wichtig, den emotionalen Kern des Ganzen zu beleuchten.“ Derzeit unterstützt Wolschlager die Schauspielerin Nina Proll bei der Entwicklung einer Komödie. Ihr Kollege Robert Buchschwenter, der auf eine langjährige Dramaturgentätigkeit zurückblicken kann (etwa bei „Ein Augenblick Freiheit“ von Arash T. Riahi oder „Ternitz Tennessee“ von Manfred Rebhandl), bringt noch ein Beispiel für die Arbeit eines „Stoffentwicklers“: „Wenn ich in einem Drehbuch sehe, dass der letzte Akt nicht funktioniert, passiert das meistens, weil bereits im ersten Drittel des Films eine Figur nicht richtig motiviert ist, weil ein Handlungspunkt gesetzt wird, der viel zu früh kommt.“ So etwas könne man nirgends nachlesen, es gehe „um viel Wissen und Strukturen, die man nicht gelernt, sondern verinnerlicht hat“, so Buchschwenter.


Arbeitsschritte. Auch Ines Häufler ist Stoffentwicklerin, hauptsächlich als Drehbuchberaterin beim Fernsehen, obwohl sie in letzter Zeit immer mehr Kinoanfragen bekommt, wie sie erzählt. Sie begleitet etwa die Entwicklung von Drehbüchern für deutschsprachige TV-Movies oder Serien – im Auftrag von Produktionsfirmen. Auf ihrer Visitenkarte steht „Script-Consulterin“ und ihre Arbeit beginnt meist erst dann, wenn die Fernsehsender Interesse signalisieren, das Projekt auch wirklich zu finanzieren. Zu diesem Zeitpunkt hat der Drehbuchautor meist ein Exposé von ungefähr fünf Seiten abgeliefert. Häufler analysiert es, bevor es erstmals an den Sender geht. Die Fernsehredaktion gibt Feedback, nun ist Häufler wieder an der Reihe, gemeinsam mit Produzent und Autor Änderungen zu sammeln und zu besprechen. Nachdem die nächste Fassung auf dem Tisch liegt, beginnt das Spiel wieder von vorn. Bis irgendwann der Drehbeginn ansteht.

„Wenn ich ein Drehbuch lese, sehe ich in meinem Kopf bereits alles ganz genau vor mir“, erzählt Häufler. Wenn das nicht funktioniert, liegt meistens schon ein Problem vor. Das heißt, wenn eine Szene so beschrieben ist, dass sie diese nicht visualisieren kann. „Über so etwas muss man dann dringend reden, weil ja oft die Finanzierung davon abhängt, dass die Leute, die das lesen, ein ganz klares Bild im Kopf haben.“ Was sie ein wenig ärgert, ist, dass Fernsehen „so despektierlich behandelt“ werde, weil es sich ja „nur“ um Unterhaltung handle. „Mein Credo ist, dass die Figuren in einem Fernsehdrehbuch dasselbe Recht haben, von mir ernst genommen zu werden wie in einem Kinodrehbuch. Ich arbeite auch in allen Genres und allen Bereichen, was Fernsehen betrifft. Weil eine Geschichte eine Geschichte ist und eine Figur eine Figur ist “, so Häufler.

Figuren, deren innerste Wünsche und Peinigungen sind das Lieblingsthema aller Drehbuchberater. Vor allem Anfänger, erzählt Häufler, würden ihren Figuren nicht zutrauen, eine Geschichte zu tragen und darum das ganze Drehbuch mit Handlung zustopfen, sodass die Figuren schlussendlich nur mehr Ausführende dieser Handlungen ohne jegliche Dimensionen seien. Ursula Wolschlager kann ein Lied davon singen. „Wenn ich von einer Neurologin lese, die nur rational, abgeklärt und kühl ist, denke ich mir schon: ,Wie langweilig.‘ Es kommt dann oft vor, dass ich zum Autor sage: ,Kennst du jemanden, der annähernd so ist? Wo fährt die Figur auf Urlaub hin, was macht sie sonst so? Welche gegensätzlichen Eigenschaften hat die Figur?‘“ Überlegungen wie diese würden zwar nicht ins Drehbuch einfließen, aber den Hintergrund für glaubwürdige Figuren bilden.


Mit den Mitteln der Psychotherapie. Ein in Deutschland mittlerweile sehr beliebtes Hilfsmittel bei der Stoffentwicklung ist die „Drehbuchaufstellung“, eine Form der „systemischen Aufstellungen“, die ihre Wurzeln in der Psychotherapie haben. Hier wird davon ausgegangen, dass Systeme im Raum mit Personen als Stellvertreter für die Systemteile dargestellt und sogar verändert werden können. Sei es eine Familie, eine Firma oder eben die Geschichte eines Drehbuchs. Leute, die an Drehbuchaufstellungen teilgenommen haben, berichten dabei von verrückten Begebenheiten wie Figuren, die, erst einmal im Raum aufgestellt, ihr Eigenleben entwickeln und sich mitunter sogar weigern, dem Strang der Handlung zu folgen. Im Normalfall spielt sich die Entwicklung von Figuren, Beziehungen und Konflikten aber in langen Gesprächen zwischen Drehbuchautor und Drehbuchberater ab, die sich ähnlich gestalten wie Therapiesitzungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2012)

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