Design für die Nase: Die Sellerie im Sekundenkleber

Design fuer Nase Sellerie
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Gerüche dienen dem Marketing, der Vermeidung von Gefahren, der Erinnerung. Und könnten in Zukunft noch mehr an den alltäglichen Dingen haften.

Nasen haben das beste Gedächtnis, sagt man. Auch 40 Jahre später weiß man noch, wie Omas Stiegenhaus roch. Die Bodylotion verströmt Duft, das Parfum sowieso. Und auch das Waschmittel. Doch in Zukunft könnte auch die Waschmaschine selbst etwas mehr ausstrahlen als bloß Weiß. Olfaktorisch nämlich, denn der Geruch erobert das Produktdesign. Das Marketing nützt ihn ohnehin schon. Zwei erfahrene Nasen waren letzte Woche an der Universität für angewandte Kunst in Wien zu Gast. Frank Pessel aus der Abteilung „Fragrance Marketing“ beim Hersteller Henkel und Jan Dietrich, Produktdesigner, der sich auf Multisensorik, also alle Sinne ansprechendes Produktdesign, spezialisiert hat, hatten zum Seminar „Invisible Design – Duft“ geladen.

Auch wenn man es nur riechen kann, sprechen möchte man trotzdem darüber. Vor allem auch im Marketing. Da müssen die Übersetzer her, die die sprachlichen in olfaktorische Codes und wieder zurück übertragen. Frank Pessel begegnen Düfte jeden Tag. Sprachlich in Form von Basen. Oder auch als Trends, die er beobachtet, oder Konzepte, die er schreibt. Bei Henkel ist Pessel dafür zuständig, „die Ideen des Marktes in die Sprache der Parfumeure zu übersetzen. Und Parfums wiederum, die kreiert worden sind, als olfaktorische Vision für die Markenmanager zu formulieren.“ Der multinationale Konzern Henkel leistet sich am Standort Krefeld ein eigenes Haus, in dem ausschließlich Parfumöl entwickelt wird. Dort werden nicht nur Düfte für Waschmittel und Bodylotions erfunden, auch das gesamte Klebstoffsortiment wird mit einer speziellen Duftnote versehen. Der „Pritt-Klebestift“ trägt etwa einen Hauch von Sellerie in seinem Bouquet. „Damit ihn Kinder nicht essen. Denn meistens mögen Kinder Selleriegeruch nicht so gern“, erklärt Pessel.

In den Räumen des Duftseminars hängt noch der Geruch von getaner Arbeit, in diesem Fall riecht sie nach einer Mischung aus Zuckerwatte und Waschmittel. Auf einem Tisch ausgebreitet liegt ein großes Plakat, ein Atlas der Geruchswelt quasi, der die verschiedenen Geruchsfamilien zeigt und wie sie in Beziehung miteinander stehen. Das Spektrum reicht von „oriental“ über „grün“ bis hin zu „modrig“ oder „essbar“. Schon bereiste Geruchsorte markieren Marmeladegläser, in denen Studenten Gerüche gesammelt haben. Darunter sind Schokolade-, oder Lavendelgeruch, aber auch „Bioladengeruch“ oder die Sorte „Geruch vom Innenhof der Universität“. „Ein Student hat den gesamten Weg von sich zu Hause bis hierher olfaktorisch dokumentiert“, erklärt Jan Dietrich. Bis zum Ende des Workshops sollten die Studierenden Konzepte entwickeln, in denen sie Geruch als zusätzliches Gestaltungselement in ihre Produkt-, Grafik-, Landschafts- oder Raumdesignkonzepte einfließen lassen.

Ein Student etwa will einen Stuhl entwerfen, der zum Lümmeln, wie es Kinder gern tun, einladen soll. Um die Kindheitserinnerungen zu stimulieren, soll dem Stuhl der Geruch von Bleistiftminen anhaften. „Alle im Workshop stimmten darin überein, dass Bleistiftgeruch sie an die eigene Kindheit erinnert, als sie selbst gern auf Bleistiften herumgekaut haben“, freut sich Pessel über die gewonnene Erkenntnis.

Produkt mit Eigengeruch. Will man Spielereien wie den Bleistiftgeruch auch in der kommerziellen Realität umsetzen, braucht es nicht selten technisch komplizierte, teure Lösungen. Darum wurden Düfte bislang hauptsächlich dort eingesetzt, wo man sich eine Absatzsteigerung erwartet: In Geschäften versprüht man wohldosierte Nuancen von Sonnencremegeruch im Sommer, Zimtgeruch im Winter. Das soll die Kunden länger im Geschäft halten, und je mehr Zeit sie verweilen, desto eher kaufen sie auch etwas.

Jan Dietrich glaubt, dass in Zukunft auch Produkte, die normalerweise keinen Eigengeruch haben, verstärkt unter dem Aspekt des Geruches entwickelt werden. Bei Haushaltsgeräten wie Kaffeemaschinen versucht er das bereits. „Wenn man technisch so weit ist, dass man Dinge frei von unangenehmen Gerüchen erzeugen kann, zum Beispiel Plastikgeruch, könnte man sich überlegen, ob man sie zusätzlich mit einem ,erwünschten‘ Geruch versehen kann“, erzählt Dietrich. Bei Kaffeemaschinen könnte das naheliegenderweise der Duft frischen Kaffees sein. Und das noch bevor man das Gerät zum ersten Mal benützt.

Bislang, so sind sich Pessel und Dietrich einig, seien eher Ingenieure für den Geruch an Produkten und in Geschäften verantwortlich gewesen. Es fehle oft der konzeptionelle Zugang. Darum wären sie froh, wenn sich mehr Designer mit Geruch auseinandersetzen würden. Zudem sei es auch sinnvoll, Düfte dramaturgisch einzusetzen, ist Dietrich überzeugt. „Bei Raumkonzepten muss ich mir überlegen: Wie soll es wo riechen? Ist es einladender, wenn ich neben dem Hotelempfang gleich die Cafeteria plane, sodass es dort nach Kaffee riecht, oder stelle ich gleich neben der Rezeption einen riesigen Aschenbecher hin?“

Im Event- und Unterhaltungsbereich müsse freilich oft nachgeholfen werden. Der Modergeruch im Gruselkabinett „Hamburg Dungeon“ ist nicht natürlichen Ursprungs, sondern kommt aus kleinen Glasflaschen mit den Etiketten „Moder“ oder „Cholera“, alle extra kreiert als „Düfte der Angst“.

Geruchsdesign spielt aber auch im Sicherheitsbereich eine Rolle. Erdgas, an sich geruchslos, wird etwa ein „Warnduft“ beigemischt, damit ein Austreten von Gas zu erkennen ist. In Hamburg werden Broschüren verteilt, in denen eine Geruchsprobe des Hamburger Gases erschnüffelt werden kann – als Training für den Notfall.

Einen Ekelgeruch integrierte das Fraunhofer-Institut in das Design eines Fahrradhelmes. Bei einem Sturz zerbricht die eingebaute Kapsel, der austretende Geruch soll davon abhalten, den Helm nochmals aufzusetzen. Denn ein zweites Mal schützen Helme nicht.

Zwei Nasen

Frank Pessel
arbeitet im „Fragrance Marketing“ von Henkel. Dort versucht er, die Sprache der Düfte in Marketingdeutsch zu übersetzen. Und umgekehrt.

Jan Dietrich
ist Teil der Agentur Maupi in Wien und Hamburg. Früher war er Orgelbauer, heute beschäftigt er sich mit Produktdesign und Gerüchen, die ihm dienen könnten.
www.maupi.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2012)

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