Die Lüge vom guten Vorsatz

Luege guten Vorsatz
Luege guten Vorsatz(c) AP (Axel Heimken)
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Alle Jahre wieder: Neujahrsvorsätze sind in erster Linie dazu da, um das Gewissen zu beruhigen. Dass wir sie nicht einhalten können, liegt an unserer sonderbaren Beziehung zur Zeit.

Jetzt sind sie wieder da: die Neujahrsvorsätze. Immer dann, wenn der bereits vollgekritzelte Kalender gegen ein neues, erschreckend nacktes Exemplar getauscht wird, beginnt das kollektive Nachdenken, darüber, was wir besser oder zumindest anders machen könnten.

Neujahrsvorsätze sind eigentlich besser als ihr Ruf: Sie bieten ein schönes Gesprächsthema. Man kann ein bisschen von sich selbst erzählen oder eben die anderen über ihre Stärken und Schwächen ausfragen. Noch besser als die soziale Funktion ist aber jene für die eigene Psyche: Neujahrsvorsätze beruhigen das Gewissen. Wer nicht gerade zufrieden auf das alte Jahr blickt, kann sich einfach vornehmen, im neuen Jahr alles besser zu machen. Allein der Gedanke daran gibt einem das Gefühl, zumindest den ersten Schritt geschafft zu haben. Und wenn es nur dabei bleibt, macht das ja auch nichts. Wer denkt denn etwa im März noch an Neujahrsvorsätze? Eben.

Italiener sind Vorsatzmeister. Wobei die Österreicher im Vergleich zu ihren Nachbarn ohnehin richtige Vorsatzmuffel sind. Der Arzneimittelhersteller Pfizer hat in der aktuellen „Centrum Energy Studie“ die Neujahrsvorsätze in 15 europäischen Ländern untersucht. Demnach haben 86 Prozent der Italiener gute Vorsätze für das neue Jahr. Bei den Portugiesen sind es immerhin 65 Prozent, bei den Griechen 62 Prozent. Bei den Österreichern haben nur magere 27 Prozent einen guten Vorsatz für 2011. Der europäische Durchschnitt liegt übrigens bei 43 Prozent.

Inhaltlich gibt es bei den untersuchten Ländern wenig Unterschiede. Die Klassiker „Gesünder leben“, „Mehr Sport“ und „Mit dem Rauchen aufhören“ werden nach wie vor von den meisten Menschen genannt. 70 Prozent aller Befragten möchten mehr Sport und Bewegung machen, 66Prozent wollen sich gesünder und ausgewogener ernähren. Die paar Österreicher, die einen guten Vorsatz haben, sind besonders ehrgeizig. 83 Prozent möchten ihr persönliches Wohlbefinden durch Bewegung steigern (europäisches Mittel: 70Prozent). 26Prozent planen, sich verstärkt dem Liebesleben zu widmen. Auch hier liegt der Wert über dem europäischen Schnitt (19 Prozent). 43 Prozent wollen mehr Zeit für sich selbst haben, 38 Prozent mehr Zeit mit Freunden und Familie verbringen.

Ob das dann alles eingehalten wird, ist wieder eine andere Geschichte. Laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Makam haben im Jahr 2010 vier von zehn Wienern ihre Vorsätze umgesetzt. Bei 60 Prozent blieb es also bei der guten Absicht.

Alibivorsätze. Cornel Binder-Krieglstein wundert das wenig. „Neujahrsvorsätze sind ja meist Alibivorsätze, die das Gewissen beruhigen. Wer wirklich etwas ändern will, macht das gleich“, meint der Psychologe und Psychotherapeut. Hinter so einem Vorsatz stehe zwar immer eine „interpersonelle Wahrnehmung eines Ungleichgewichts“, meist fehlen aber die Motivation und der Anlass, etwas zu ändern. Silvester kommt da gerade recht. Ein neuer Abschnitt beginnt, die meisten haben wegen der Feiertage Zeit nachzudenken, was durch die medialen Jahresrückblicke auch noch angekurbelt wird. Und es hat eben auch schon Tradition, darüber zu reden. Nebenbei bemerkt würde ebendiese Tradition wegfallen, würden wir plötzlich alle brav unsere Vorsätze einhalten.

Oft steckt hinter einem guten Vorsatz aber auch ein ganz anderer Wunsch nach Veränderung. „Aber es ist natürlich wesentlich leichter zu sagen, ich mach jetzt ein bisschen Sport, als zum Beispiel die kaputte Beziehung zum Vater wieder aufzubauen“, so Binder-Krieglstein. Wobei, so einfach ist das dann auch mit dem Sport nicht. „Oft handelt es sich um Verhaltensänderungen, die trivial aussehen. Dabei ist das das Schwierigste überhaupt.“

Zeitinkonsistenz. Der Grund dafür liegt in unserem seltsamen Verhältnis zur Zeit. Wirtschaftspsychologen nennen das „Zeitinkonsistenz“. Der Volkswirtschaftsprofessor und „FAZ“-Journalist Hanno Beck erklärt das gern anhand des folgenden Beispiels: Wenn man einer Gruppe von Menschen 100 Euro anbietet, die sie in zwölf Monaten bekommen, oder alternativ in 13Monaten 110Euro, entscheidet sich der Großteil für die längere Variante und mehr Geld. Heißt es aber entweder heute 100 Euro oder in einem Monat 110 Euro, entscheiden sich die meisten für die erste Variante. „Das ist zwar nicht wissenschaftlich bewiesen, es gibt aber viele Experimente, die das bestätigen“, so Beck. Er selbst habe bei seinen Studenten ähnliche Versuche mit ähnlichen Ergebnissen gemacht. Beck begründet dieses Verhalten damit, dass wir schlicht und einfach der kurzfristigen Versuchung unterliegen. Wer sich vorgenommen hat abzunehmen und dann vor dem gedeckten Tisch sitzt, wird meist schwach.

Ganz verloren sind die Neujahrsvorsätze aber nicht. Beck rät zur Strategie der kleinen Schritte inklusive Erfolgserlebnissen und Belohnungen. Wer sich dennoch schwertut, sollte zum Trick der Selbstbindung greifen. „Wenn Sie mit dem Rauchen aufhören wollen, geben Sie einem guten Freund Geld, nicht zu wenig. Und wenn Sie die erste Zigarette anzünden, dann überweist er es automatisch an eine Organisation, die Sie nicht ausstehen können. Also wenn Sie zum Beispiel SPÖ-Wähler sind, überweist er es an die ÖVP. Dann kommt zur finanziellen Belastung noch die seelische Pein.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.01.2011)

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