Durchatmen, vorlesen: Mitfühlen lässt sich lernen

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Empathie ist eine soziale Emotion und damit sehr gut erlernbar. Tipps dafür gibt es jedenfalls genug.

Die schlechte Nachricht ist, dass Psychologen derzeit vor einer Krise der Empathie warnen. Die gute Nachricht ist, dass Empathie in erster Linie eine soziale Emotion und daher sehr gut erlernbar und trainierbar ist. Deshalb kann in bester Tradition auch diese Krise als Chance begriffen werden. Das zeigt auch der Ansatz der Autorengruppe rund um Jesper Juul: Knapp die Hälfte ihres Empathie-Buchs „Miteinander“ besteht aus praktischen Übungen für Erwachsene und Kinder.

Alle Experten starten bei dem Punkt, dass Eltern, die ihren Kindern mehr Gefühl für die Gefühle anderer geben wollen, zuerst einmal bei sich selbst ansetzen müssen. „Eine Möglichkeit, Empathie zu fördern, ist, den Menschen einen besseren Umgang mit sich selbst zu vermitteln“, sagt etwa der Psychologe und Neurowissenschaftler Claus Lamm.

Juul und Konsorten wählen für das Empathietraining einen leicht esoterischen Ansatz. Dieser wurde nicht unmaßgeblich von dem Schriftsteller Peter Høeg beeinflusst, selbst Tänzer und Körperarbeiter. Die Übungen für Kinder zielen vor allem darauf ab, kleine und junge Menschen aus ihrem überfrachteten Alltag herauszuholen und zur Ruhe kommen zu lassen. In Atemübungen und kurzen meditativen Ausflügen zu sich selbst sollen sie sich ihres Körpers, ihrer Atmung, ihres Herzens, ihrer Kreativität, ihres Bewusstseins und des Zusammenspiels dieser Grundkompetenzen bewusst werden.

Eine wichtige Rolle spielt bei Jesper Juul die Natur. Dort würden Empfindungen spontan aktiviert und der gesamte Sinnesapparat geschärft. Damit fällt es auch leichter, die eigenen Emotionen zu spüren.

Es gibt aber auch eine Reihe konkreterer Möglichkeiten, um die Empathiefähigkeit in Kindern zu aktivieren. Dazu zählt unter anderem das Rollenspiel. Dieses darf nicht mit der Phase des magischen Denkens verwechselt werden, in dem vor allem kleinere Kinder ihre Vorstellungskraft und ihre Fantasie ausbauen und schärfen. In eine andere Rolle zu schlüpfen kann aber auch helfen, auf spielerische Art den Umgang mit negativen Emotionen auszuprobieren: Angst, Gruseln oder Schrecken mit Netz sozusagen.

Sprachkompetenz und Empathie. Die Entwicklungspsychologin Silvia Wiedebusch (zitiert auf familie.de) schwört darüber hinaus auf möglichst viel Vorlesen: „Kinder, die Bücher vorgelesen bekommen, fühlen sich dabei automatisch in das Denken und die Gefühle anderer Menschen ein und hinterfragen deren Tun.“

Eltern sollten Kinder ab einem bestimmten Alter auch immer wieder ermuntern, ihre Interpretation zu geben, welche Auswirkungen die Handlungen der Charaktere auf andere Personen haben. Wer viel vorliest und mit den Kindern darüber spricht, schlägt außerdem gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Laut Wiedebusch ließ sich nämlich ein enger Zusammenhang zwischen Sprachkompetenz und Empathie feststellen.

In dieses Bild passt, dass Pädagogen und Psychologen von einem übermäßigen Medienkonsum nicht sonderlich begeistert sind. Das Problem damit sei, dass den Kindern ein fix und fertiges emotionales Menü vorgesetzt werde, das ihre empathischen Geschmacksnerven abstumpfe und wenig Raum für eigene Entwicklung lasse.

Wie weit die Vorbildwirkung der Eltern ausschlaggebend für die Herzensbildung ist, steht nicht ganz fest. Einerseits wird betont, wie prägend das Verhalten der Eltern anderen Personen gegenüber für das Verhalten der Kinder sei. Auf der anderen Seite haben Forschungen ergeben, dass besonders empathische Mütter nicht unbedingt besonders empathische Kinder haben müssen (siehe oben). Da wiegt die elterliche Fähigkeit, souverän mit den eigenen Emotionen umgehen zu können, schwerer.

Ähnlich schwierig steht es um Lob und Anerkennung. Natürlich soll man sein Kind unterstützen. Übertreibt man aber, bläht sich das Selbstbewusstsein des Kindes möglicherweise so weit auf, dass man am Schluss einen kleinen Narzissten zu Hause hat. Und Narzissmus ist bekanntlich genau das Gegenteil von Empathie.

Sozialer Kitt

Empathie bezeichnet die Fähigkeit, sich auf der Basis von Selbsterkenntnis in andere hineinzuversetzen und ihre Gefühle nachvollziehen zu können. Empathie ist weder gut noch schlecht, wird aber meistens positiv bewertet.

Als Sitz im Gehirn haben die Neurowissenschaften den insulären Cortex hinter der Schläfe identifiziert.

Empathie ist die Grundlage aller sozialen Beziehungen. Psychologen fürchten zwar, dass sie verkümmert, gleichzeitig gilt sie aber als gut trainierbare emotionale Fertigkeit.

Jesper Juul, Peter Hoeg, Jes Bertelson, Steen Hildebrandt, Helle Jensen, Michael Stubberup:
Miteinander – Wie Empathie Kinder stark macht

Beltz Verlag
159 Seiten
14,95 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2012)

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