Maria Bill: "Ich habe gelernt, mit Ängsten umzugehen!"

Maria Bill habe gelernt
Maria Bill habe gelernt(c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
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Die Schweizerin Maria Bill fand Wien raunzig, später witzig. Sie spricht mit der "Presse" über ihre internationale Karriere als Sängerin – mit einer "Farewell-Tour" blickt sie nun zurück.

Neben Ihrem Engagement am Volkstheater geben Sie eine Fülle von Liederabenden – der eigentliche Schwerpunkt Ihrer Karriere?

Maria Bill: Die Chansonabende ergeben sich nach individuellen Anfragen, diese Konzerte sind bis zu zwei Jahre vorausgeplant. Die Musik hat schon oft meiner Freude das Leben gerettet. Man kann ins Singen so viel hineinlegen, ganz unsentimental. Am Volkstheater beginnen im Oktober die Proben zum „Weißen Rössl“, mit mir als Rösslwirtin Josepha, ich darf also wieder singen. Den Wunsch, mit meinen eigenen Liedern aus jungen Jahren noch einmal auf Tour zu gehen, erfülle ich mir mit der „Farewell-Tour“. Mit fünf jungen Musikern erarbeite ich das Programm aus den Lieder von damals, und dann hauen wir uns auf die Piste, einmal noch, deswegen Farewell!

Wenn Sie zu entscheiden hätten: entweder Jacques Brel oder Edith Piaf, deren Lieder Sie interpretierten. Wie fiele Ihre Wahl aus?

Das Stück über Edith Piaf wurde von Hans Gratzer an mich herangetragen, der in London die Uraufführung gesehen hatte. Ich muss gestehen, dass die Lieder von Brel mich mehr berühren. Ihn habe ich mir selber ausgesucht, ich fühle mich von ihm verstanden. „Je ne sais pas“, das rührt mich unglaublich, diese starken Bilder, seine Poesie. Als ich als junges Mädchen nach Paris ging, zu Jacques Lecoq, hatte ich Brels Platten mit im Gepäck.

Was haben Sie damals in Frankreich bei Ihrer Ausbildung erlebt?

Bei Lecoq habe ich sehr viel Wichtiges gelernt, zum Beispiel, dass man im Improvisationsunterricht auch einmal schlecht sein darf, um entdecken zu können, wie es besser geht. Auf der Schauspielschule in Zürich waren wir oft vor Improvisationsübungen völlig fantasielos vor lauter Angst zu versagen. Ich hatte nicht gelernt, mit Ängsten umzugehen, in Paris dann aber schon. Wir waren immer alle anwesend, wenn improvisiert wurde, täglich. Da verliert man Hemmungen und hat schließlich Spaß am Herumprobieren.

War die Angst auch ein Grund dafür, dass Sie aus Zürich, wo Sie bereits ein festes Engagement hatten, weggingen?

Ja. Ich war einfach noch nicht bereit und habe in diesen zwei Jahren eher entdeckt, was ich alles noch nicht kann, obwohl ich das Leben als junge Schauspielerin genoss. Es entstand eine Kluft, die ich nicht bemerkte, bis meine Kollegen mir nahelegten, das Ensemble zu verlassen. Sie rieten mir zur Provinz. Dort sollte ich erst die Scheiße kennenlernen. Ich musste gehen. Das war grauenhaft! Aber ihren Rat habe ich nicht befolgt. In meinem verheulten Elend traf ich Christoph Marthaler auf der Straße, er war damals noch nicht der berühmte Regisseur, sondern Schüler bei Lecoq. Als er sah, wie schlecht es mir ging, lud er mich auf einen G'spritzten ein. Und er riet mir, nach Paris zu gehen.

Wie war Ihr Lehrer dort?

Lecoq war eine starke Persönlichkeit, eher wortkarg, aber wenn er etwas sagte, traf er genau den Punkt. Er konnte auch sehr witzig sein. Und er war wahrhaftig, direkt und manchmal liebenswert übermütig wie ein Kind. Es war eine ziemlich harte Ausbildung, die mir Wichtiges mit auf die Bühne gab.

Wer hat Sie noch geprägt?

Da war Norbert Schwiendek, ein wunderbarer Schauspielerkollege in Zürich, der mir geholfen hat mit seinem Humor und seinen konkreten Tipps. In Paris war es Philippe Gaulier, Lehrer an der Lecoq-Schule. Dann die Arbeit mit Michael Schottenberg. Bei ihm sind Hemmungen, Ängste weggefallen, da konnte ich loslegen. Die Probenarbeit war nie verletzend oder verunsichernd. Selbst Schauspieler, erkennt er die ureigene Stärke des Schauspielers, „hört“ auf sein Bauchgefühl und ist treffsicher im Besetzen von Rollen.

Ihr gemeinsamer Sohn ist 24. Können Sie ihm raten, Schauspieler zu werden?

Ich kann ihm nicht davon abraten, dazu liebe ich diesen Beruf zu sehr. Ich habe viel Verständnis dafür, dass man auf der Bühne verzaubern und verführen will, mit einer guten Geschichte, die Menschen von Menschen erzählt.

Sie sind in einem Kinderdorf aufgewachsen, das Ihr Vater geleitet hat. Wie sehr hat Sie dieses Milieu geprägt?

Das Kinderdorf Pestalozzi wurde nach dem Zweiten Weltkrieg vom Schweizer Schriftsteller Walter Robert Corti gegründet. Seine Idee war, dass sich Kinder aus verschiedenen Ländern und Kulturen zu einer Nachbarschaft und zu gemeinsamem Tun finden können. Es war ein Paradies, dort im hügeligen Appenzell aufzuwachsen. Ich erlebte meine Kindheit zusammen mit Kindern aus zwölf Nationen, Kriegswaisen aus ganz Europa. Für mich war es normal, in dieser Vielfalt von Sprachen aufzuwachsen. Meine besten Freunde waren griechische Kinder. Darum ist Griechenland meine zweite Heimat geworden, neben Wien.

Wie kommt man von solch einer behüteten Umgebung zum Theater?

Das Kinderdorf hat von privaten Spenden gelebt. Einmal im Jahr gab es einen Tag der offenen Tür. Es wurde getanzt, gesungen und gespielt. Dabei hat eine Tanzlehrerin, eine ehemalige Primaballerina, die durch den Krieg Bruder, Vater und Verlobten verloren hatte, eine entscheidende Rolle gespielt. Sie selbst hatte das Bombardement von Dresden überlebt, hatte danach aber nicht mehr die Kraft, professionell zu tanzen. Sie hat mit uns fantastische Aufführungen erarbeitet. Die Proben, Vorführungen, das Publikum, der Applaus, all das hat mich fasziniert und glücklich gemacht, da liegen die Wurzeln meines Berufswunsches.

Wie kamen Sie dann nach Wien?

Nach Paris hatte ich ein Engagement in Zürich. In dieser Zeit habe ich die Truppe von Hans Gratzer im Tramdepot gesehen, mit „Elisabeth I“. Dieses Fetzen-Glitter-Theater hat mich so begeistert, dass ich unbedingt dabei sein wollte. Alles war so leicht, klar, lustvoll. Damals wollte ich erst mit einem Clown, der zuvor auch bei Lecoq gewesen war, durch die Lande ziehen, wie bei Zampano mit dem Lieferwagen. Ich konnte diesen Clownkollegen überzeugen, dass wir mit Gratzer mitziehen müssen. Und der hat uns tatsächlich nach Berlin mitgenommen. Dort inszenierte er das Stück „Don Gil von den grünen Hosen“. Im Ensemble war auch Michael Schottenberg. Es war Liebe auf den dritten Blick, dafür aber umso witziger und einnehmender. So kam ich mit Schottenberg ans Schauspielhaus in Wien und habe die wichtigsten Jahre meines Lebens hier verbracht.

Ist Wien wirklich die Theaterhauptstadt?

Unbedingt! Ich hatte übrigens keineswegs einen Kulturschock. Die Stadt kam mir anfangs eher grau, lodengrün und raunzig vor. Heute sehe ich Letzteres als unglaublich witzig. Die kulturelle Vielfalt, die Möglichkeiten, die Wien bietet, haben die Stadt bunt und aufregend lebendig gemacht. Und ich durfte mitspielen, am Schauspielhaus, in der Josefstadt, am Burgtheater und jetzt am Volkstheater, das „adelt“.

Wie weit war das Singen eine Versuchung, die das Schauspielen gefährdet? Sie haben Goldene Schallplatten gewonnen.

Das Singen kann das Spielen nicht gefährden, es kann es beflügeln, Emotionen verstärken. Ich möchte keines von beiden missen. Mit der ersten Langspielplatte gelang mir gleich eine „Goldene“. Diese LP, beziehungsweise CD, ist seit Jahren vergriffen. Jetzt wird sie endlich wieder neu gepresst und aufgelegt als „Anniversary Edition“, und zu diesem Anlass erlaube ich mir, noch einmal mit den Liedern von damals auf Tour zu gehen, um mich damit von dieser „jungen“ Zeit zu verabschieden.

Welche Wünsche haben Sie konkret?

Ich lebe zum ersten Mal seit 35 Jahren wieder alleine. Dem kann ich jetzt langsam sehr viel abgewinnen. Unser Sohn studiert an der „First Film Academy“ in Wien Schauspiel, hat eben sein erstes Engagement erhalten, ist dem Nest also entschlüpft und geht seiner eigenen Wege. Und ich bin offen und neugierig auf das, was auf mich zukommt. Konkret wünsche ich mir Gelassenheit und Gesundheit, um noch lange spielen und singen zu können.

Wie hat sich Österreich in den vielen Jahren, die Sie hier sind, verändert?

Kreisky erlebte ich als einen Menschen, der eine Vision hatte und Vertrauen wecken konnte, weltgewandt auf dem politischen Parkett agierte. All das spüre ich jetzt nicht. Probleme werden nicht gelöst, sondern weggestritten. Wenn das Leben für viele Menschen kaum mehr leistbar ist, wird es Zeit für einen neuen Plan.


1. . . ob es Musik gibt, die Ihnen als passionierte Radiohörerin auf die Nerven geht?
Ja. Musik, die nicht authentisch ist, geht mir auf die Nerven – anbiedernde, verfälschte Volksmusik oder Schlager zum Beispiel, die nur dem Kommerz dienen.

2. . . ob es etwas gibt in Wien, an das Sie sich noch immer nicht gewöhnt haben?
Dass ich noch immer nicht von einer kleinen Dachwohnung auf diese wunderschöne Stadt schauen kann (lacht). Was mich irritiert und woran ich mich nicht gewöhnen kann, ist, dass die Neugierde auf das Fremde, auf das „Andere“ fehlt.

3... ob Sie auf der Bühne nicht nur im Spiel, sondern schon einmal echt geweint haben?
Beim Chanson „Mon Dieu!“ von Edith Piaf ist mir das immer wieder passiert. Ich musste lernen, mit einem Kloß im Hals zu singen. Die Emotionen übertragen sich so stark. Aber weinen sollte eher der Zuschauer, nicht der Darsteller.

15. 11. 1948
Maria Bill wird in Trogen (CH) geboren.

1978
Sie kommt nach Wien, spielt in der Josefstadt, in der Burg und am Volkstheater, vor allem aber an Hans Gratzers Schauspielhaus, damals die Avantgarde-Bühne.

1982
„Piaf“ wird ein Hit, das Stück wird Jahrzehnte gespielt. Die Kainz-Medaille für Bill.

1983
„I mecht landen“ – ein Austropop-Klassiker.

2005
Bei Michael Schottenberg spielt Bill am Volkstheater große Rollen, z. B. in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“, „Cabaret“, „Eines langen Tages Reise in die Nacht“.

„I mecht landen“
10.9. Generalprobe für die Tour, Orpheum Wien. Termine: 5.10. Konzerthaus Wien, 11.10. Bad Ischl, 12.10. Judenburg, 13.10. Klagenfurt, 14.10. Wels, 17.10. Linz, 18.10. Ried, 19.10. Salzburg, 20.10. Hard in Vorarlberg.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2012)

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