Meryl Streep: „Sex ist ja kein fremder Planet“

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Die Oscar-Preisträgerin Meryl Streep über ihr jahrzehntelanges Eheglück, Gespräche über Sex und neue Erkenntnisse, die ihr die Arbeit an ihrem neuen Film »Wie beim ersten Mal« beschert hat.

Die silbergrauen Haare täuschen. Und auch das Geburtsdatum. Denn Meryl Streep hat die Ausstrahlung eines jungen Mädchens. Einen hellen, heiteren, lebendigen Blick, der das Gegenüber fokussiert. Die Dämmerstimmung in der Suite des Four Season Hotels in Los Angeles ist da gleich vergessen. Nur die scharfe Intelligenz und die prononcierte Aussprache passen zu einer welterfahrenen 63-Jährigen.

In „Wie beim ersten Mal“ sprechen Sie ganz offen über Sex. Fällt Ihnen das schwer?

Meryl Streep: Ich habe mich nicht unwohl gefühlt. Das ist doch ein vertrautes Thema, das zu unserem Leben gehört. Es war ja nicht so, als hätte ich einen fremden Planeten erkundet. Ich glaube eher, es ist jüngeren Leuten peinlich, älteren bei solchen Gesprächen zuzuhören. Wobei wir zwei Dinge nicht verwechseln sollten: Viele Leute, die offen über Sex plaudern, sind nicht imstande, über Intimität, über ihr Bedürfnis nach Zweisamkeit und Liebe zu sprechen.

Im Film stecken Sie in der Routine einer langen Ehe fest, aus der alle Leidenschaft verschwunden ist. Kennen Sie dieses Gefühl?

Natürlich. Du kannst in einer Beziehung eingesperrt sein, in der du für den anderen wie tot bist – und der andere für dich. Das ist wie ein Sarg. Es ist nicht ungewöhnlich und nicht lustig. Du musst dich aus so etwas rauskämpfen.

Und Sie kennen das aus eigener Erfahrung?

Ja – denn ich bin Schauspielerin. Ich lote alle möglichen Erfahrungen aus, das ist mein Job. Allerdings sind das die Erfahrungen anderer Leute. Mir ist es zum Glück nicht so ergangen, aber ich kenne Paare, denen es so geht.

Aber Sie und Ihr Mann Don Gummer feierten jüngst Ihren 34. Hochzeitstag. Was ist eigentlich der Plan für eine gute Ehe?

Die kurze Antwort ist: Wir passen einfach sehr gut zueinander. Wir haben gemeinsame Interessen – zum Beispiel Politik, wir lesen viel, aber wir akzeptieren auch, wenn der andere nicht das Gleiche mag. Trotzdem gibt es keine fixen Strategien. Ein Schlüssel ist, dass du dich auf den anderen einstellst. Es ist nicht einfach, mit einer Schauspielerin verheiratet zu sein (lacht). Phasenweise bin ich sehr auf meine Arbeit fixiert. Wäre mein Mann nicht selbst Künstler, hätte er damit wohl Schwierigkeiten. So muss ich ihm nicht erklären, wenn ich mit den Nerven fertig bin. Aber ich verspüre den Drang, etwas Kreatives zu schaffen. Das kennt er selbst, deshalb ist er verständnisvoll. Ich weiß nicht, was ich ohne ihn machen würde.

Das heißt, er stellt sich ganz auf Ihre Bedürfnisse ein. Und wie ist es mit Ihnen?

Da gilt das Gleiche. Ich bin bereit, mich mal zu verbiegen und auch mal Ruhe zu geben. Eine Beziehung besteht zu einem guten Teil aus Verhandlungen. Nur so schaffst du ein Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen. Und ich habe zurückgesteckt, immer wieder Pausen zwischen den Filmen gemacht.

Hat Ihnen die Arbeit an diesem Film noch neue Erkenntnisse beschert?

Sie hat mich in bestimmten Einsichten bestärkt. Wir alle neigen zur Selbstgerechtigkeit – in jeder Art von Beziehung. Denn wir glauben, dass wir wissen, was die andere Person denkt und wie sie reagiert. Wir machen Annahmen, und das ist nicht immer eine gute Idee. Abgesehen davon dachte ich: Mein Gott, niemand macht einen Film darüber, was sich Leute meines Alters wünschen – Beachtung zu finden, dass man ihre intimen Bedürfnisse versteht. Im Kino ist das ein unerforschtes Land.

Aber jetzt gibt es ja Filme wie „Wie beim ersten Mal“. Und Sie stehen an der Speerspitze dieser Veränderung.

Ich weiß, ich kann es selbst kaum glauben. Ich hatte erwartet, dass ich mit 40 in den Ruhestand gehen müsste. Die Filmbranche hat sich weiterentwickelt: Es gibt mehr Frauen im Management, mehr Autorinnen und Regisseurinnen. Aber es ist nicht so, dass ich 50 tolle Drehbücher pro Jahr bekomme. Und die Filme werden weiter in erster Linie für Männer gemacht. Wenn ein Paar ins Kino gehen will, treffen zwar Frauen die Entscheidung, aber sie richten sich nach dem Geschmack der Männer.

Ist das wirklich so?

Doch, ich habe drei Töchter. Manchmal sehen sie sich einen Action-Blockbuster im Kino an. Ich frage: „Interessiert euch der wirklich?“ Alle sagen: „Nein, aber er will ihn sehen.“ Wir haben also noch ein Stück Weg vor uns. Aber ich bin sicher: Die Welt wird besser für uns alle, für Männer und Frauen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2012)

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