Carmen Brucic: "Man hat mich kriminell genannt"

Carmen Brucic mich kriminell
Carmen Brucic mich kriminell(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Carmen Brucic eröffnet den umstrittenen Sängerknaben-Saal mit einem Kongress über Mut. Mit "Experten" wie Georg Zanger und einer Feuerwehrfrau.

Zugegeben, das Wort Kongress im landläufigen Sinn ist etwas irreführend: Tatsächlich passiert Mitte Dezember im „MuTh“, dem neuen Konzertsaal der Wiener Sängerknaben, viel mehr, wenn man dort an zwei Abenden zum „Kongress über Mut“ lädt. Ein Film über den (mutigen) Bürgerprotest gegen das Haus ist etwa dabei. Und vor allem gibt es die Möglichkeit, sich in einem persönlichen Zweiergespräch von 99 „Mutexperten“ inspirieren zu lassen: Darunter finden sich Ute Bock oder eine von Wiens insgesamt drei Feuerwehrfrauen, „Miss Candy“ Holger Thor, eine tunesische Internetaktivistin und ein Opfer eines Flugzeugabsturzes.

Oder auch der Wirtschaftsanwalt Georg Zanger, der sich gegen Rechtsextreme stellt und die Familie von Markus Omofuma vertreten hat, und der mitunter so verfolgt wird, dass er den eigenen Vorgarten kontrolliert. „Ich habe“, sagt er, „schon sehr viel Angst gehabt. Aber irgendwann gewöhnt man sich daran und merkt, wie stark man ist.“

Es ist wohl auch als mutiger Schritt für das umstrittene Haus zu werten, mit einem solchen Projekt an die Öffentlichkeit zu treten. Man will zeigen, „dass man in alle Richtungen offen ist“. Dahinter steht die Tiroler Künstlerin Carmen Brucic, und wenn man sie fragt, wann in ihrem Leben sie den meisten Mut gebraucht hat, dann sagt sie: bei diesem Projekt, das in Wien für so viele Emotionen gesorgt hat (siehe unten). Man nannte sie eine „Sängerknaben-Mitläuferin“ und „kriminell“, Kollegen griffen sie an. Wie könne man nur für so ein Haus arbeiten? Sie müsse wissen, auf welcher Seite sie stehe. „Ich hatte die Hosen bis oben hin voll“, sagt Brucic. „Kurzfristig hatte ich das Gefühl, ich riskiere sehr viel. Da arbeitet man sich 20 Jahre lang hoch und wird dann so angegriffen.“

Dabei sei sie auf keiner Seite gestanden: „Meine Aufgabe ist, all das künstlerisch zu verarbeiten – auch wenn ich innerlich dagegen bin, dass in der Stadt weitere Grünflächen verbaut werden.“ Gemeinsam mit ihrem Team trat sie die Flucht nach vorn an. „Dabei bin ich draufgekommen, was künstlerische Freiheit wirklich bedeutet. Als Künstlerin habe ich gemerkt, dass es jetzt wirklich vorbei ist mit: Habt mich alle lieb!“ Umso stolzer ist sie, dass einige aus der Protestbewegung jetzt bei ihrem Projekt dabei sind.Aufgewachsen ist Brucic in Gnadenwald, einem Bergdorf mit 400 Einwohnern, „wo die Leute sehr wenig miteinander reden, wo es wie im Mittelalter zugeht.“ So entstand ihre Sehnsucht „nach der Welt da draußen“, nach Menschen und Gesprächen, großen Zusammenkünften, wie sie sie heute organisiert. „1995 bin ich dann aus dem Wald rausgekommen“ – nach Wien an die Angewandte. Ihre Diplomarbeit widmete sie der „liebeskranken Gesellschaft“. „Ich war selbst sehr liebeskrank – bin es ab und zu immer noch. Doch wer traurig und schwach ist, hat in unserer Gesellschafts nichts zu suchen.“


Daraus wurden sieben Jahre Arbeit zum Thema, die sie schließlich auf eine Talkshow-Bank mit Christoph Schlingensief brachte. Vier Jahre arbeitete sie für ihn, gemeinsam brachten sie die „Liebeskranke Gesellschaft“ auf die Bühne – so kam Brucic zum Theater. Und zur Fotografie: Schlingensief schenkte ihr eine Kamera. Bis heute ist die Kamera ihre letzte Rettung in verzweifelten Situationen. 2010 zog sie nach zwei Todesfällen „wie im Rausch“ in ihrer heutigen „Basis“ Gnadenwald in die winterliche Landschaft. Ihre Bilder von Bäumen, Nachthimmel und Schnee spielen nun im „MuTh“, für das Bäume weichen mussten, eine wichtige Rolle. Brucic staunt, wie sich alles fügt. Was sie von Schlingensief gelernt habe? Auch klar: „Mutig zu sein.“

Auf einen Blick

Carmen Brucic wurde 1972 in Tirol geboren. Sie studierte an der Angewandten und der Akademie für bildende Künste, beschäftigt sich mit Theater und Fotografie und arbeitete u.a. mit Christoph Schlingensief. Für das MuTh entwickelte sie einen „Kongress über Mut“, bei dem Kunstformen, Menschen und Meinungen aufeinandertreffen sollen. 99 „Experten“ erzählen von ihren Muterfahrungen. 14. und 15. 12., 19 Uhr. www.kongress-ueber-mut.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2012)

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