Reiter Raabe: „Ich bin viel zu emotional“

(c) Christine Pichler
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In der Konzeptkunst ist alles erlaubt – außer Malerei. Andreas Reiter Raabe verbindet kühn die Gegenpole.

(c) Beigestellt
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Ein graugrünes Eisentor irgendwo in der Wiener Vorstadt, das sich zu einer Einfahrt hin öffnet, dahinter eine dieser typischen Wiener Hinterhofwerkstätten. Hier hat sich Andreas Reiter Raabe sein Atelier eingerichtet. Ein puristischer rechteckiger Grundriss, hohe Wände voller Regale und mittendrin etliche Arbeitstische, auf denen sich dutzendweise bunte Farbdosen stapeln, Bilder zum Trocknen aufgelegt sind und jede Menge Notizzettel, Bücher und Zeitschriften herumliegen, dazu eine zum Dunklen hin gebrochene Lichtsituation. Ein Dark Cube sozusagen, dem alle Merkmale einer Künstlerwerkstätte eingeschrieben sind und der damit quasi eine antagonistische Beziehung aufbaut zum legendären White Cube, dem weißen Würfel des Ausstellungsraums also, wo die finale Präsentation stattfindet.

Industrie- statt Ölfarbe. Nicht dass es Andreas Reiter Raabe auf diesen Antagonismus angelegt hätte. Aber die Verwebung, Vernetzung und Auseinandersetzung mit dem Geschehen ebenso wie der Geschichte der zeitgenössischen Kunst ist in seiner Arbeit allgegenwärtig und wird spürbar als Motor einer Malerei, die mit ihrer permanenten Selbstbefragung durchaus das Prädikat konzeptuell verträgt. So spielt etwa in den Bildern der Pinsel – klassisches Werkzeug der Maler als Verlängerung seiner Hand – eine völlig untergeordnete Rolle, in keinem einzigen seiner Bilder finden sich Spuren davon. Reiter Raabe verwendet keine Öl-, sondern Industriefarben. Die Bildergebnisse entstehen dadurch, dass beispielsweise Farbe auf eine auf dem Tisch liegende Leinwand geleert wird und von da aus auf das am Boden liegende Bild tropft, sodass sich darauf die Spuren dieses Vorgangs verfestigen. In einer anderen Werkgruppe rinnt Farbe von den Kanten des Bildes hin zur Bildmitte, von jeder der vier Seiten aus. Oder es werden verfestigte Farbflecken so aufgeklebt, dass sie sich scheibenförmig überlappen. In einer von Reiter Raabes frühesten Werkgruppen entstanden die Bilder überhaupt nur durch die objekthafte Verbindung mehrerer weißer Keilrahmen. Wie ein Pendent dazu verhält sich eine seiner neuesten Arbeiten, eine 80 Meter lange Skulptur aus schier endlos multiplizierten monochrom bemalten Transportröhren, wie Reiter Raabe sie zum Verschicken seiner teilweise wandhohen Leinwände verwendet.

Viele Gespräche mit Künstlern, Interviews. Die Arbeiten sind Resultate eines kommentarhaften, bisweilen nachgerade dokumentarischen Umgangs mit dem Thema Malerei – und eines permanenten Kreislaufs von Fragen. Damit sind sie nicht zuletzt auch Ergebnis eines Dialogs, den er sowohl mit sich selbst führt wie auch mit anderen – Letzteres sowohl als Unterrichtender, u.a. in London an der Royal Accademy und am Sydney College of the Arts, wie auch auch in Form zahlreicher Interviews mit Künstlerkolleginnen und -kollegen. „Ich lese sehr viel über andere Künstler und liebe Bücher, vor allem Künstlerbücher. Sie sind für mich eine der demokratischsten Formen von Kunst, weil man sie einfach und ohne großen Aufwand kaufen kann. Aus dieser Lektüre entstehen für mich immer wieder neue Fragen, auf die ich Antworten suche.“ Einer der ersten, für den sich Reiter Raabe auf diese Weise zu interessieren begann, war der amerikanische Konzeptkünstler Ed Ruscha. „Ich habe ihn einfach angerufen und gefragt, ob er mir für ein Gespräch zur Verfügung steht.“ Mittlerweile gibt es an die vierzig Gespräche, bezeichnenderweise vor allem mit Vertretern der Konzept- und der postkonzeptuellen Kunst, darunter Ed Ruscha, Louise Lawler, John Baldessari, Daniel Buren, Dan Graham, Tacita Dean, Andreas Gursky u. v. a. m. Als Theoretiker oder Künstlerkritiker, geschweige denn deren Konkurrent, sieht er sich deswegen dennoch nicht. „Diese Interviews sind für mich ein selbstverständlicher Teil meiner Kunst. Das ist so, wie wenn man Kunst anschauen will, dann geht man in eine Galerie oder ein Museum. Wenn man einen Film ansehen will, geht man ins Kino. Und wenn man über Kunst reden will und es halbwegs kann, dann, denke ich, soll man es auch tun. Man erfährt vieles, was man sonst einfach nicht nachlesen kann.“ Dass er trotz seines Interesses für Konzeptkunst selbst an der Malerei festhält, ist da weniger Widerspruch, als vielmehr kreativer Impuls: „Die Konzeptkunst ist für meine Malerei ein Vorbild, aber ich bin viel zu emotionell. Ich sehe es als Herausforderung, dass in der Konzeptkunst alles erlaubt war – mit Ausnahme der Malerei. Ich stelle Fragen. Sie fallen mir oft beim Malen ein, während die Farbe trocknet: Warum malt man heute noch? Warum kann man überhaupt noch Kunst betreiben?“ Reiter Raabes Kunst ist somit Resultat eines permanenten Prozesses der Selbstbefragung. Er ist kein Zweifler, aber ein Skeptiker. „Kunst wird heute nur über den Erfolg gehandelt, aber das allein interessiert mich nicht. Ich sehe das Ganze vielmehr übergreifend.“ Deshalb agiert er ab und zu auch als Kurator. Gerade bereitet er die Eröffnung eines kleinen Off-Spaces vor.  Auch das will er lieber als eine Form des Kunstmachens verstanden wissen, nicht als ein Mitmischen im Betriebssystem Kunst. „Ich habe kein Machtinteresse“, sagt er, „ich bin nur von der Kunst besessen.“

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