Eine Naturgewalt des Wienerlieds

Kurt Girk
Kurt Girk Die Presse
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Kurt Girk ist ein Ottakringer Lokal-Hero und ein lebender Kulturschatz. Ein Treffen mit dem Sänger an seiner Wirkungsstätte, dem Heurigen. v

Sein Heimweh nach Ottakring setzt schon ein, wenn er die Bezirksgrenzen mit der Straßenbahn hinter sich lässt. Nicht auszudenken, was passiert wäre, hätte er in den Fünfzigerjahren das lukrative Angebot angenommen, ein Jahr lang im New Yorker Hotel Waldorf-Astoria zu singen. „Das war ein Fehler“, sagt er heute. „Ich hab nicht angenommen, weil ich hier eh genug Geld verdient habe. 200 Dollar Abendgage hätte ich bekommen, was damals sehr viel Geld war. Irving Berlin und Cole Porter waren Stammgäste in diesem Haus, ich aber bin der Eisen- und Schrott-Girk in Ottakring geblieben.“

Die Musik war für den leidenschaftlichen Sänger immer mehr Hobby als schnöder Broterwerb. Bei Ernst Steinecker, dem ehemaligen Diener des großen Sängers Richard Tauber, lernte er den schönen Beruf des Sakkoschneiders. Mehr Geld war in der Nachkriegszeit allerdings mit Altmetall zu verdienen. Also kaufte sich Girk ein Ross und klapperte mit dem Wagen den Bezirk ab. „Als Tandler hab ich gern gearbeitet. Die Schrottzeit war eine goldene Zeit. Jedes zweite Haus war zertrümmert.“

Es ist kein Widerspruch, dass gerade in Zeiten der materiellen Armut die Lebenslust besonders hell aufflackert. Auch wenn Girk in seinen Liedern gern die „gute alte Zeit“ hochleben lässt, weiß er doch, dass es diese so nie gegeben hat. „Die damalige Zeit war nur für wenige gut, die Masse hat gelitten. Ein Schmalzbrot und ein Tee waren damals ein gutes Nachtmahl. Größenwahnsinnig konnte man da nicht werden.“


Girk wurde trotzdem ein richtiger Anakreontiker der Wiener Schule: Wein, Weib und Gesang, die klassischen Themen der anakreontischen Dichtung, das war seine Ausrichtung. Als Bub hat er Johannes Heesters nachgesungen, später lauschte er den Sendungen der Ravag, des damaligen Rundfunkmonopolisten. Girks Idol war Ernst Arnold. „Der war ein richtiger Straßenfeger. Nicht nur als Interpret, sondern auch mit seinen selbst komponierten Liedern. Die sing ich alle heute noch.“

Girk hat mit seiner Kunst einiges zur Renaissance des Wienerlieds beigetragen. Akademische Ausbildung hat er als sogenannter Natursänger keine benötigt. „Er ist eine Naturgewalt“, konzediert ihm auch Attwenger-Mastermind Hans Falkner, der Girks wunderbares Opus „Küssen! Singen! Trinken!“ produziert hat. Was fasziniert einen gebürtigen Linzer so am Wienerlied des Kurt Girk? „Das Wienerlied hat eigentlich Linzer Ursprünge. Es kam mit dem Floß nach Wien, wo es seine höchste Prachtentfaltung erlebt. Der Kurt Girk ist einer der Letzten seiner Zunft: absolut authentisch und herrlich ungeschliffen.“

Ende der Vierzigerjahre debütierte Girk beim Weingartner in der Ottakringer Straße. „Das war ein windschiefes Haus. Um vier Uhr nachmittags wurde aufgesperrt, um 4.15h hast du keinen Platz mehr bekommen. Dort hat für gewöhnlich der Herr Karl gesungen, einer, der wohl auch in der Oper hätte auftreten können. Der hat mir einiges beigebracht, was selten war, weil die Sänger normalerweise aufeinander eifersüchtig waren. Er hat mir bereitwillig die Lieder aufgeschrieben, die mir gefallen haben. Am nächsten Tag, wenn ich auf der Gassen mit dem Ross gefahren bin, hab ich's dann studiert, und am Abend haben wir es schon gemeinsam gesungen.“

Bald hatte er sein eigenes Repertoire, mit dem er zum Star der nichttouristischen Heurigenlokale wird. Er singt nicht nur, er erzählt auch tolle Geschichten aus versunkenen Zeiten. Das Leben kennt er aus unterschiedlichsten Perspektiven. Mit dem Wiener Bürgermeister ist er per Du, wie mit jedem, den er trifft. Ein „Sie“ lässt er nicht gelten. Hierarchie kennt er nur aus seiner Zeit im Gefängnis, über die er – der selbstverständlich unschuldig war – ebenfalls nur in Anekdoten spricht. In der Anstalt Graz-Karlau hatte Girk sogar ausgesteckt. Durch die Gitter seiner Zelle ragte eine Besenstange mit einem grünen Buschen.

Als Mann von unbeugsamer Lebenslust nahm er heuer auch den Goldenen Rathausmann mit der gebührenden Nonchalance entgegen. So eine Auszeichnung ist schön, aber viel wichtiger sind ihm die Zuhörer. „Ich liebe mein Publikum“, wispert er mit glänzenden Augen. „Die lassen mich singen, was ich will, und fragen nicht dauernd nach Sachen. Meine Leut' kennen sich halt aus mit den Liedern.“

Zur Person

Kurt Girk (80) wurde 1932 in Wien geboren und gilt als der „Frank Sinatra von Ottakring“ und einer der letzten echten Wienerlied-Sänger. Er ist gelernter Schneider, arbeitete als Alteisenhändler; ab 1950 trat er mit Sautreiber und Sänger Heini Griuc in Wirtshäusern auf. Album: „Küssen! Singen! Trinken!“ (Fischrecords).

Nächste Auftritte: 3. Jänner 2013, Heuriger zum Gspritztn, Heigerleinstraße 1, 1160 Wien, 7. Jänner, Kulturcafe Max, Mariengasse 1, 1170 Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2012)

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