Dem Leben einfach Dankeschön sagen

Ali Eralp kam aus der Türkei nach Österreich – jetzt will er der Gesellschaft etwas zurückgeben.

Hans Krankl ist schuld daran, dass Ali Eralp überhaupt nach Österreich kam. „Ich hatte damals sowohl die Aufnahmsprüfung für die französische als auch für die österreichische Schule in Istanbul geschafft und musste mich entscheiden. Das war 1978, als Österreich in Cordoba gerade Deutschland 3:2 besiegt hatte. Ich war sehr sportbegeistert und sicher, Österreich wird der nächste Fußball-Weltmeister. Und damit war für mich alles klar.“

Auch wenn es mit Österreichs Fußball dann doch nicht so weit her war, hat der heute 45-jährige Ali Eralp seine Entscheidung nie bereut. Er hat in Österreich studiert und beruflich seinen Weg gemacht, bis an die Spitze des österreichischen Finanzberatungsunternehmens Finum Private Finance. Er ist glücklich verheiratet, hat zwei Kinder. Eigentlich könnte er zufrieden seufzen und sich zurücklehnen. Doch das ist ihm zu wenig. „Ich habe eine Vision“, sagt er, „die Vision, etwas von meinem Glück zurückzugeben.“

»Lebensretter 360«. Wie das gehen soll, weiß Eralp auch schon: Die Initiative „Lebensretter 360“ (von 360 Grad) soll im Jänner starten. Innerhalb eines Jahres will er Menschen finden, die direkt oder indirekt Leben retten. Das Feld ist ein weites und umfasst alle Themen, die Ali Eralp am Herzen liegen: Unfallvermeidung bei Kindern oder der Kampf gegen Burn-out: „Die Leute werden nicht krank, weil sie zu viel arbeiten, sondern weil sie nicht wissen, wie sie mit ihrer Zeit umgehen sollen. Hier könnten Betriebsräte helfen“, sagt er. Die Gesundenuntersuchung will er promoten und jungen Leuten beibringen, wie sie mit ihrem Geld haushalten: „Jeder fünfte Schuldner ist zwischen 20 und 25 Jahre alt.“ Finanziert wird die Aktion zumindest zum Teil von seiner Firma. „Die Schlagworte, die heute für jedes Unternehmen gelten sollten, sind ,sozial‘ und ,rentabel‘“, sagt der Finanzexperte.

Ali Eralp weiß aus eigener Erfahrung, dass im Leben nicht immer alles nach Plan läuft. Der Spross einer einst sehr wohlhabenden türkischen Unternehmerfamilie erlebte am eigenen Leib, wie es sich anfühlt, zu verlieren. „Als Kind wurde ich noch mit einer Kutsche in die Schule gefahren, danach kamen schwierige Tage für das Unternehmen. Das Gute war, dass wir als Familie enger zusammenrückten.“

Der Junge schaffte es dennoch, das österreichische St.Georgs-Kolleg in Istanbul zu absolvieren, verdiente aber ab dem Alter von 15 sein eigenes Geld, als Profi-Basketballer. Um vier Uhr stand er auf, lernte bis sechs, war bis 14.30 Uhr in der Schule, anschließend sechsmal die Woche beim Training, um 20 Uhr zu Hause. Auf diese Weise lernte Ali Eralp, was er heute noch als seine größte Fähigkeit bezeichnet: Disziplin.

Der ambitionierte Bursch musste aber auch erkennen, dass ein Organismus nicht unbegrenzt belastbar ist. Er bekam eine schwere Gelbsucht und musste den Sport aufgeben. Da er gut Deutsch sprach, entschied er sich 1988, in Österreich zu studieren. Der Bezug zum Land war nicht nur durch die Schule gegeben. Bereits 1986 war Eralp schon einmal nach Österreich gekommen: um beim Bau einer Schule in Wiener Neustadt zu helfen. In nur drei Wochen war das Gebäude fertig.
Viel Zeit lassen konnte sich Ali Eralp auch mit seinem Studium nicht: Die Betriebswirtschaft hatte er in neun Semestern fertig. Um sich zu finanzieren, verteilte er schon mal bei minus zehn Grad Zettel auf der Straße. Danach stand er vor der Frage, wie es weitergehen sollte: „Ich weiß selten, was ich will“, sagt Eralp. „Ich weiß aber immer, was ich nicht will. Und ich wollte kein langweiliges Leben.“


Botschafter für die Integration. Der Wunsch ging in Erfüllung, er wurde erfolgreicher Investmentmanager, glücklicher Familienvater – und ein Vorzeigemodell für die türkische Gemeinschaft. Als einer der Integrationsbotschafter von Staatssekretär Sebastian Kurz wurde ihm die Doppelgesichtigkeit der österreichischen Gesellschaft bewusst: „Ich ging als Integrationsbotschafter zu den Schotten. Und ich ging in eine Schule, wo in der Klasse kein einziger Österreicher saß.“

Diese Erfahrung hinterließ Spuren. Zum einen brachte sie Eralp dazu, sich mit seinem Status intensiv auseinanderzusetzen. „Ich bin ein Grenzgänger. Ein Türke, der aber sehr gerne in Österreich lebt.“ Zum anderen machte sie ihm klar, dass er etwas tun wollte. Und musste: „Nicht nur einzelne Menschen können Probleme haben, sondern auch ganze Gesellschaften.“

Natürlich könnte Ali Eralp einfach spenden. Doch das reicht ihm nicht. Er möchte etwas verbessern, etwas bewirken – „nicht nur, um eine weiße Weste zu haben“. Obwohl ein wenig Eigennutz auch dabei ist: „Jede Wirkung, die man durch eine gute Tat erzielt, hilft einem, sich selbst zu entfalten.“ Vor allem aber will Eralp ganz einfach eines: „Dem Leben Dankeschön sagen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2012)

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