Der unsichere Rebell Tom Schilling

Tom Schilling
Tom Schilling(c) Clemens Fabry
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Schauspieler Tom Schilling hält Österreicher für einen „interessanten Schlag Mensch“ und hat eine Schwäche für Außenseitertypen – nicht nur im Kino.

Oh Boy! Ein Ausruf von Verzweiflung oder Glück. Manchmal auch der Verwunderung. Diesmal als Titel eines Films, der in Deutschland von der Kritik gefeiert wurde und am 28. Dezember auch in Österreich ins Kino kommt. Die Hauptfigur Niko, gespielt von Tom Schilling, will einfach nicht erwachsen werden. Regisseur Jan Ole Gerster folgt in seinem Spielfilmdebüt keiner klassischen Plotdramaturgie, sondern erzählt von einem diffusen Lebensgefühl – und fängt dabei auch noch in eindringlicher Schwarz-Weiß-Ästhetik und zu melancholischer Jazzmusik die deutsche Hauptstadt ein.

„Ich liebe solche Außenseiterfiguren, die sich verweigern, sich etwas trauen, was andere nicht machen“, sagt Schilling. „In Nikos Fall ist es eine Negierung der Spaß- und Leistungsdruckgesellschaft. Insofern ist er ein Held für mich. Seine Haltung könnte genauso gut meine sein – auch wenn ich meinen Traumberuf schon gefunden habe.“ Denn ein „Drifter“ zu sein, eine isolierte Figur, die durch die Stadt läuft und an Einsamkeit leidet, sei ihm nicht fremd.

„Daher betrachte ich diese Rolle als die beste, persönlichste meiner bisherigen Karriere“, so der 30-Jährige. „Wenn ich in ,Oh Boy‘ nicht selbst mitgespielt und ihn als Zuschauer im Kino gesehen hätte, wäre er mein absoluter Lieblingsfilm.“ Und das habe nichts damit zu tun, dass er mit Regisseur Gerster seit vielen Jahren befreundet sei und es ihm ein Anliegen gewesen sei, ihn bei seinem Abschlussfilm an der Filmakademie zu unterstützen.

„Die Zusammenarbeit mit Jan Ole war großartig. Er mag zuvor keinen Langfilm gemacht haben, aber wenn jemand weiß, was er erzählen will und einen Sinn für Komik und Tragik hat, dann macht das gar keinen Unterschied, wie viele Filme jemand gedreht hat.“ Er habe jedenfalls nie das Gefühl gehabt, dass das ein Erstlingswerk ist – „da hatte ich bei anderen Regisseuren, die schon wesentlich mehr gemacht haben, eher den Eindruck“.

Schilling, der gern Hermann Hesse liest und Klavier spielt, wird 1982 in Berlin geboren und wächst in Berlin-Mitte auf, wo er mit zwölf Jahren auf dem Schulhof von Regisseur Thomas Heise angesprochen und für das Theaterstück „Im Schlagschatten des Mondes“ am Berliner Ensemble engagiert wird. In den Jahren danach tritt er dort auch in anderen Stücken auf. Mit 18 macht er sein Abitur.


Seinen ursprünglichen Plan, Malerei zu studieren, gibt er für die Schauspielerei auf und spielt kleinere TV-Rollen. Der Durchbruch im Kino gelingt ihm 2000 an der Seite von Robert Stadlober in dem Publikumserfolg „Crazy“. Mit Stadlober dreht er 2003 „Verschwende deine Jugend“ und 2006 „Schwarze Schafe“. Im selben Jahr wird er Vater eines Sohnes und bekommt ein Stipendium für die Lee-Strasberg-Schauspielschule in New York. „Die sechs Monate in New York waren sehr aufregend“, erinnert sich Schilling. „Ich bin ja eher ein reiseängstlicher Typ und halte mich lieber an Orten auf, die ich kenne. In einer neuen Umgebung bin ich unsicher und muss mich meinen Ängsten stellen.“

Welche das sind, will er nicht verraten. Nur so viel: „Wenn ich weiß, dass ich auch in einer fremden Stadt zurechtkomme, gibt mir das einen unglaublichen Kick. Ich fühle mich dann energetisch und euphorisch.“ Auch in New York habe er nach einiger Zeit diesen Kick gespürt, weswegen er die Zeit dort sehr genossen habe.

„Sich den eigenen Ängsten zu stellen und sie zu verarbeiten, ist euch Österreichern aber offenbar auch nicht fremd, oder?“, fragt Schilling mit einem Schmunzeln. „Wie sonst ist es zu klären, dass aus so einem kleinen Land so viele gute Filme kommen?“ Aber er sei kein Soziologe und wolle niemanden analysieren. „Da kann man sich ja gleich die Frage stellen, warum es in Österreich so viele merkwürdige Verbrechen gibt. Fest steht jedenfalls, ihr seid ein interessanter Schlag Mensch.“

Auf einen Blick

Charakterdarsteller. Tom Schilling wuchs in Berlin-Mitte auf und wurde mit zwölf Jahren auf dem Schulhof von Regisseur Thomas Heise für das Theaterstück „Im Schlagschatten des Mondes“ am Berliner Ensemble engagiert. Der Durchbruch im Kino gelang ihm 2000 an der Seite von Robert Stadlober mit dem Drama „Crazy“. Weitere Erfolgsfilme wie „Verschwende deine Jugend“ (2003) und „Schwarze Schafe“ (2006) folgten. Sein neuer Streifen „Oh Boy“ kommt am 28. Dezember ins Kino.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2012)

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