Martin Suter: "So viele Menschen haben keine Zukunft!"

Martin Suter viele Menschen
Martin Suter viele Menschen(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der Schweizer Bestsellerautor Martin Suter bedauert die gestresste Managerzunft. Er erzählt im Gespräch mit der "Presse" von seinem Wechsel von der Werbebranche zur Schriftstellerei, vom Flop mit seinem ersten Roman.

Aus Ihrer Kolumne „Nachrichten aus der Business Class“ für die Schweizer „Weltwoche“ und das Magazin des „Tagesanzeigers“ wurde eine Buchreihe. Die Manager, die Sie hier beschreiben, auch karikieren, wirken weniger mächtig als das Bild, das man von diesem Beruf hat. Ihre Manager schielen fortwährend nach den nächst höheren Hierarchie-Ebenen, können nicht auf Urlaub gehen und haben Angst abzustürzen. Wo liegt die Wahrheit?

Martin Suter: Die Wahrheit ist, dass auch die richtigen Manager arme Schweine sind, weil sie sich ständig in diesem Stall bewegen müssen. Die Manager, die ich beschrieben habe, sind vielleicht auch nicht die Topleute, sondern ein bisschen darunter, dort, wo man noch Aufstiegsmöglichkeiten hat. Das erhöht den Stress. Manager können heute auch nicht mehr ungestraft ihre Karriereziele verfolgen. Sie werden entlassen und manchmal nicht einmal mit einem Golden Handshake.

Umso üppiger sind die Boni. Allerdings haben Manager heute auch ihre Jobs nicht mehr jahrzehntelang wie früher.

Die Manager haben dadurch auch keine persönlichen Beziehungen mehr zu den Leuten. Das erleichtert ihnen die Entlassungen. Wenn der Sanierungsjob erledigt ist, ist es egal, ob der Manager Erfolg hatte oder gescheitert ist, er findet meistens anderswo einen Restrukturierungsjob. Zum Unterschied von den normalen Angestellten. Diese stehen womöglich für lange Zeit oder gar für immer auf der Straße.

Sie kennen die Wirtschaft gut. Sie waren in einer großen Werbeagentur, der GGK, in leitender Position beschäftigt. Wie gelang Ihnen der Wechsel zur Schriftstellerei?

Ich war bei der GGK, aber auch Freelancer. Ich habe dann mit einem Partner eine Agentur gegründet, die später mit anderen fusioniert wurde. Dieser neuen riesigen Agentur ging es nicht sehr gut. Ich hätte noch einmal zur Bank gehen müssen, einen Kredit aufnehmen, wieder in die Firma investieren. Ich wollte immer unbedingt Schriftsteller werden, seit ich 16 Jahre alt war. Ich habe mir damals 1991 gesagt: Jetzt musst du dich entscheiden. Wenn du jetzt den Schritt nicht machst, machst du ihn nie. Die Kolumnen haben mir geholfen. Ich hatte ein regelmäßiges Einkommen und konnte meinen ersten Roman schreiben – der aber prompt misslang. Ich schrieb einen neuen, der gelang.

Der Roman ist nicht erschienen? Warum?

Weil ich es einfach nicht konnte. Ich habe dem Verlag ein Manuskript von fast 300 Seiten geschickt und ein Treatment für weitere 300 Seiten, das habe ich zurückbekommen. Es gibt schöne Stellen in diesem Buch, aber es ist eben kein kompakter Roman.

Jetzt sind Sie längst ein etablierter Bestsellerautor. Freuen Sie sich noch, oder geht Ihnen die Betriebsamkeit auf die Nerven?

Die meiste Zeit lebe ich ja zurückgezogen. Es ist daher ganz lustig, ab und zu den Rummel zu haben und Mittelpunkt der Party zu sein.

Sie leben in der Schweiz, in Guatemala und Ibiza. Wo sind Sie am liebsten?

Ich bin immer dort glücklich, wo ich gerade bin. Alles andere wäre ja blöd. Da hätte ich ständig Heimweh nach irgendwo anders.

Ihr neuestes Buch „Die Zeit, die Zeit“ ist ein Experiment mit eben dieser. Der Roman ist kein solcher automatischer Page Turner wie andere Suter-Bücher.

Ich finde, „Die Zeit, die Zeit“ ist eines meiner besten Bücher. Es ist Science-Fiction, nicht immer ganz leicht nachzuvollziehen, aber ich glaube, nicht so schwer zu lesen.

Eine Idee des Buches ist, die Zeit zurückzudrehen, um geliebte Menschen wieder zu sehen oder vor Katastrophen zu retten. Ist für Sie das Vergehen der Zeit bedrohlich?

Nicht bedrohlicher als für andere Leute. Der Gedanke, sterblich zu sein, ist natürlich bedrohlich, speziell, wenn das Ende näherrückt.

Sind Sie religiös?

Ich wäre es gern. Aber ich kriege das irgendwie nicht zustande.

Zwei Verfilmungen Ihrer Bücher kommen ins Fernsehen: der Krimi „Der Teufel von Mailand“ und die Gesellschafts- und Kunstbetriebssatire „Der letzte Weynfeldt“. Welches Bild haben Sie vom Kunstbetrieb?

Kunst ist etwas sehr Gemachtes. Es ist der Kunstbetrieb, der ein Bild als Kunstwerk definiert. Das ist manchmal fragwürdig. Es ist eine Branche wie andere auch. Man sollte sie nicht verklären, was auch für die Literatur gilt. Überall sind Leute zugange, die irgendwie leben müssen. Übrigens ist „Der letzte Weynfeldt“ keine Zürcher Satire. Die Schweizer Upperclass unterscheidet sich nur in Details von der Upperclass anderer Länder. Ich schreibe Bücher, die in der Realität angesiedelt sind. Wenn man das tut, kommt das schnell einmal kritisch rüber, weil die Realität ja permanent in einem kritischen Zustand ist – seit es sie gibt.

Was macht die Überlegenheit des Schweizer Modells aus, falls diese noch existiert?

Die Schweizer bewundern eher die Überlegenheit des österreichischen Modells. Den Österreichern geht es blendend, seit sie in der EU sind. Dies ist ein prosperierendes Land, das sieht man schon am Flughafen. Hut ab! Ich war 1972 in Wien, weil ich für die hiesige GGK gearbeitet habe. Da wurden die Gehsteige um zehn Uhr hochgeklappt. Damals wäre ich gern ausgegangen, aber es gab ja nur das Moulin Rouge und das Hawelka.

Im „Teufel von Mailand“ steht eine Frau der besseren Gesellschaft, Sonia, im Mittelpunkt, die vor ihrem gewalttätigen Mann in ein Wellnesshotel in den Bergen flüchtet, wo sie als Physiotherapeutin arbeitet. Woran liegt es, dass Schriftsteller sich so gut in Frauen einfühlen können – von Goethe über Kleist bis... Martin Suter?

Das Leben eines durchschnittlichen Mannes ist so erfüllt von der Frage, was denken und wie fühlen Frauen. Das ist ein Lebensthema, die meisten kennen ja auch viele Frauen. Es wäre befremdlich, würde ein Schriftsteller völlig ratlos vor diesem Phänomen stehen.

Im richtigen Leben hat man eher den Eindruck, dass das Verständnis zwischen den Geschlechtern mäßig ist. Männer verstehen selten Frauen – und umgekehrt.

Kann sein. Es ist aber auch ein Schimpfwort, wenn man ein Frauenversteher ist.

Sind Sie ein Frauenversteher?

Ja. Ich versuche es. „Der Teufel von Mailand“ ist der einzige Roman von mir, in dem die Hauptfigur eine Frau ist. Manche Rezensenten haben geschrieben, dass das ein frauenfeindliches Buch ist. Es wurde sogar gefragt, wie ich mich überhaupt unterstehen kann, eine Frau als Hauptfigur zu nehmen. Das habe ich nicht nachvollziehen können. Ich bin seit über 35 Jahren mit der gleichen Frau verheiratet. Da wäre es komisch, wenn ich nicht ein paar Dinge über Frauen wüsste.

Was ist für Sie wichtig beim Schreiben? Computer, Internet?

Ich habe immer mit dem Computer geschrieben. Ich bin Linkshänder, das Schreiben mit der Hand ist mühsam für mich gewesen. Das Internet finde ich unglaublich praktisch. Ich hätte nie gedacht, dass wir so etwas einmal erleben werden, nicht zu meinen Lebzeiten. Ich kann auf meinem Handy ein Bildgespräch mit meiner Frau und meiner Tochter führen. Ich kann in Ibiza, Guatemala, überall, wo ich bin, Bücher schreiben. Ich google fast jedes Wort, vor allem Namen, ich verwende nicht gern Namen, die es gibt.

Sind Sie, was die Zukunft der Welt betrifft, optimistisch oder pessimistisch?

Ich bin nicht so optimistisch. Wenn man in Spanien lebt, sieht man auf dem Markt, wenn man einkaufen geht, gleich daneben die Schlangen, die so lang sind, als würde ein Blockbuster gespielt oder ein neues iPhone verkauft. Das sind aber die Leute, die keinen Job haben und beim Arbeitsamt anstehen. Ich möchte jetzt nicht behaupten, dass ich schlaflose Nächte habe, aber es gibt große Probleme. In Guatemala ist die politische Lage überhaupt aussichtslos. Es wird jedes Jahr unsicherer. Wir sind dieses Jahr gar nicht hingefahren.

Es gibt viel organisierte Kriminalität.

Es gibt organisierte und unorganisierte Kriminalität, und zwar überall. Das liegt daran, dass viele Menschen keine Zukunft haben. Es gibt auf der Welt immer mehr Leute, die nichts zu verlieren haben, und diese sind eine Gefahr für jene, die etwas zu verlieren haben.

Wovon handelt Ihr nächstes Buch?

Ich schreibe am nächsten „Allmen“-Krimi. Der Titel ist „Allmen und die Dahlien“. Es geht um ein verschwundenes bzw. gestohlenes Gemälde von Henri Fantin-Latour. Wenn das Buch gelingt, wird es im Juni 2013 herauskommen.

1...was die Voraussetzungen sind, um eine gute Ehe zu führen?
Liebe schadet schon einmal nicht als Voraussetzung. Dann ist eine Mischung aus Respekt, Interesse füreinander und Großzügigkeit vonnöten. Ich meine aber nicht die Großzügigkeit moderner Ehen. Treue ist wichtig. Die anderen Experimente funktionieren nicht so richtig.

2...ob es etwas gibt, was Sie veranlassen könnte, einen Pakt mit dem Teufel zu schließen?
Ich habe mir das noch nie überlegt, aber wahrscheinlich schon. Wenn ich dadurch das Leben eines geliebten Menschen retten könnte, würde ich nicht zögern.

3...ob es etwas gibt, bei dem Sie sagen können: Das ist mein größter Wunsch?
Dass ich vor den Menschen sterbe, die ich liebe – und das noch lange nicht.

Steckbrief

1948
Suter wird am 29. 2. in Zürich geboren.

1974
Er wird Creative Director der renommierten Werbeagentur GGK.

1991
Suter wird Autor. 1992–2004 erscheinen seine Kolumnen „Nachrichten aus der Business Class“.

1997
Durchbruch mit „Small World“.

2012/13
„Der Teufel von Mailand“ und „Der letzte Weynfeldt“ kommen ins TV.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2012)

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