Coudenhove-Kalergi: "Gebt's endlich eine Ruhe"

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CoudenhoveKalergi Gebts endlich eine(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Mit 81 veröffentlicht die Journalistin Barbara Coudenhove-Kalergi ihre Lebenserinnerungen "Zuhause ist überall". Die wollte sie zuerst eigentlich gar nicht schreiben. Ein "Presse"-Interview.

In Ihrem Buch erzählen Sie, wie mulmig Ihnen war, als Sie erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg nach Prag kamen. Wie ist das heute, wenn Sie dorthin zurückkehren?

Barbara Coudenhove-Kalergi: Es ist kein Zurückkehren mehr, sondern eher ein Besuch. Ich habe 1989, als es nach der Wende wieder möglich war, dort zu leben, einen Moment überlegt, ob ich mir dort eine Wohnung nehme und zwischen Wien und Prag pendeln soll. Aber eine richtige Rückkehr lässt sich nicht mehr wirklich machen, weil in der Zwischenzeit zu viel passiert ist.


Ihr Buch heißt „Zuhause ist überall“. Wirklich überall? Oder gibt es einen Ort, an dem Sie nicht leben könnten?


Ich bin schon sehr altmodisch europäisch orientiert. Wenn man mich morgen nach China versetzen würde, wäre ich nicht glücklich. Für mich sind die beiden wichtigen Städte nach wie vor Prag und Wien, und dann gibt es natürlich viele Orte, die man gern besucht. Aber je älter ich werde, desto sesshafter werde ich.


Wer oder was hat Sie animiert, Ihre Erinnerungen aufzuschreiben?


Ich wollte das eigentlich nicht, aber es hat sich dann fast von selbst geschrieben. Mitten im Leben erscheint es wie ein großes Durcheinander. Im Rückblick ergibt sich dann doch so etwas wie ein roter Faden oder Narrativ. Man lernt sein eigenes Leben erst richtig kennen.


Haben Sie die Erinnerungen, Ihre Kindheit, die Vertreibung aus Prag 1945, frei aus dem Gedächtnis schreiben können oder hatten Sie Gedächtnisstützen wie Tagebücher?


Bei der Kindheit habe ich mich auf meine Erinnerung verlassen, bei den späteren Ereignissen, die ich journalistisch miterlebt habe, habe ich natürlich Aufzeichnungen. Die Welt meiner Kindheit ist von der heutigen so verschieden, dass es den Jungen vorkommen muss wie das Mittelalter. Ich hatte in meiner Kindheit drei Staatsbürgerschaften und habe drei Nationalhymnen gelernt – auch das ist ein Charakteristikum meiner Generation. Die Ereignisse und Orte, die ich schildere – das jüdische Schtetl im Burgenland, die Welt der böhmischen Aristokraten in ihren Schlössern, die kommunistische Partei in Österreich – sind unwiederbringlich vorbei. Ich dachte, es wäre lustig, wenn sich jemand daran erinnert.


Die Erinnerungen sind trotz teilweise erschütternder Erlebnisse auffallend positiv geschildert. Sind Sie so positiv oder ist das das Bild, das Sie von sich zeigen wollten?

Es gab keinen Grund für ein Lamento. Und natürlich wird man im Alter milder, sieht keine Katastrophen mehr, so wie man das als Junger tut. Ich hatte ein erfülltes, spannendes Leben.


Gerade hat die Volksbefragung einen Generationenkonflikt deutlich gemacht. Die ältere Bevölkerung hat die Wehrpflicht einzementiert. Sehen Sie einen gravierenden Generationenkonflikt aufbrechen?

Ich habe für ein Berufsheer gestimmt, ich stand da also auf der Seite der Jungen. Die hätten allen Grund, den Alten gegenüber misstrauisch zu sein. Dafür ist der Konflikt eigentlich relativ harmlos, und die Jungen sind bisher noch ziemlich nett zur älteren Generation. Diese Konflikte haben sich mehr in der vorangegangenen Generation abgespielt, unter den sogenannten 68ern, die wissen wollten, was ihre Eltern in der Nazi-Zeit gemacht haben.


Die Nazi-Zeit war in Ihrer Familie eher tabu. Sie schreiben, niemand sagte „Wir sind dagegen“, aber auch nicht: „Wir sind dafür.“ Haben Sie je gegen diese Haltung rebelliert?


Ich hatte meinen Vater natürlich gern. Es war ihm auch nichts vorzuwerfen, weil er kein Nazi war. Er war aber auch kein deklarierter Widerstandsmensch, was mir lieber gewesen wäre. Wie so viele damals haben wir darüber einfach wenig gesprochen.


Auch Ihre Brüder haben das nie thematisiert?

Nein. Den großen Showdown hat es in unserer Familie nicht gegeben.


Überrascht es Sie, dass die Geschichte Ihrer japanischen Großmutter Mitsuko, die Ende des 19. Jahrhunderts mit Ihrem Großvater Heinrich Coudenhove-Kalergi nach Österreich kam, immer noch so fasziniert?

Ihre Geschichte ist für viele nicht ganz unbekannt. Vor allem in Japan wird ihr Leben ähnlich wie das von Kaiserin Sisi romantisiert. Es gibt ein japanisch-amerikanisches Musical, das sogar im Schönbrunner Schlosstheater aufgeführt wurde, TV-Serien, Comics. Dabei war ihr Leben gar nicht so rosig.


Haben Sie die #aufschrei-Debatte über Alltagssexismus, ausgelöst durch einen Text über FDP-Politiker Brüderle, mitverfolgt?

Natürlich. Diese Debatte war fällig. Es hat sicher mit den anonymeren Medien wie Facebook und Twitter zu tun, dass sich Frauen dort outen und damit etwas, dass es immer gegeben hat, plötzlich sichtbar machen.


Sie haben in Zeitungsredaktionen gearbeitet, lange Zeit Männerdomänen. Wie haben Sie sich gegen sexistische Übergriffe gewehrt?

Ich gehöre zu der Generation, die sich gedacht hat: So ist es. Wirklich bösartige oder schlimme Angriffe habe ich nicht erlebt, aber natürlich tausend kleine Bemerkungen und tausend kleine Anzüglichkeiten. Wir haben versucht, das wegzulachen oder sagten einfach: Jetzt gebt's endlich eine Ruhe.


Wie war das, 1956 in der Redaktion der „Presse“ zu beginnen und nach mehreren Stationen in der politisch völlig konträren „Arbeiter-Zeitung“ zu landen?

Nach der „Presse“ bin ich zum „Kurier“, dann zum „Neuen Österreich“, dann zur „AZ“ und schließlich zum ORF gegangen. Diese vielen Wechsel hatten natürlich mit einer wachsenden Politisierung zu tun. Ich habe als total unpolitisches Wesen angefangen. Und es gab natürlich verschiedene Kulturen in den Redaktionen. Insgesamt sind die Zeitungen heute bedeutend kritischer als damals. So etwas wie Aufdeckerjournalismus gab es kaum. Die Zeitungslandschaft war nach dem Krieg noch sehr beeinflusst von Nazi-Zeit und Ständestaat. Ein lebendiges demokratisches Pressewesen hat sich erst langsam entwickelt. Die Zeitungen von 1946 sind mit den heutigen nicht vergleichbar. Was damals in den Sechziger- und Siebzigerjahren allerdings viel einfacher war, war, einen Job zu bekommen.


Was hat Ihr politisches Interesse entfacht?

Noch während meines Studiums habe ich bei der Caritas gearbeitet. Da ist mir drastisch vor Augen geführt worden, dass es arme und reiche Leute gibt. Das war wahrscheinlich die Quelle meiner Politisierung.


Sie haben einmal über sich gesagt: „Ich bin in der Wirtschaft eine Linke, in der Politik eine Liberale und in der Kunst eine Konservative.“ Stimmt das noch?


Der Satz stammt nicht von mir, sondern von George Q. Cannon, einem amerikanischen Politiker – aber er gefällt mir immer noch. In der Wirtschaft bin ich links, weil ich unser System nicht gut finde. Dass es auf der einen Seite Leute gibt, die Millionen verdienen, und auf der anderen Menschen, die gar nichts haben. Da sind Reformen nötig. In der Politik bin ich liberal. Ich finde, dass jede Meinung gehört werden muss.


Heißt liberal also nur Meinungsvielfalt, oder unterstützen Sie auch Parteien, die sich liberal nennen?


Liberale Parteien haben in Österreich ja keine große Tradition, wie das Scheitern des Liberalen Forums zeigt. Ich erinnere mich an einen ehemaligen Kollegen, Claus Gatterer, der immer als liberaler Journalist bezeichnet wurde. Aber er hat gesagt: Eigentlich stimmt das nur bedingt. Er schätze liberale Katholiken, liberale Kommunisten, aber einfach nur Liberale seien ihm ein bisschen wenig. Dem kann ich zustimmen.


Und in der Kultur wirklich konservativ?

Ich kann nicht viel anfangen mit Theateraufführungen von Klassikern, in denen entweder alle nackt sind oder SS-Uniformen tragen. Da bin ich wahrscheinlich eher altmodisch.


Und wie modisch sind Sie bei neuen Medien?


Das Internet nutze ich natürlich, aber beim Chatten und Facebook-Freunde sammeln muss ich leider passen.


Nach Ihrem Weggang vom ORF engagierten Sie sich auch beim Protest „SOS ORF“. Wie sehen Sie Ihren früheren Arbeitgeber heute?

Ich hab mir das Fernsehen ziemlich abgewöhnt. Ich liebe das Radio und finde, Ö1 ist eine der besten Informationsquellen, die es gibt. Ich bewundere die vielen sehr guten Journalisten, die jämmerlich wenig verdienen und finde es wunderbar, dass sie trotzdem weitermachen, weil sie in anderen Berufen sicher mehr verdienen könnten. Das beweist, dass der Journalismus nicht so leicht umzubringen ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2013)

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