Stadtarchäologin: Römische Öfen und tote Soldaten Wiens

(c) Clemens Fabry
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Bevor in Wien gebaut wird, holen die Stadtarchäologen das Wichtigste aus 7000 Jahren Wiener Geschichte aus dem Boden. Karin Fischer Ausserer ist so etwas wie die Wächterin der Wiener Geschichte.

Immer wenn in Wien gegraben wird, wenn Projekte wie die Seestadt Aspern, der neue Hauptbahnhof oder ein Fläche in einem Bezirk neu verbaut wird, müssen Karin Fischer Ausserer und ihr Team „wie die Feuerwehr habt acht stehen“. Weil das Zeitfenster für ihre eigene Arbeit meist klein ist. Weil die wenigsten Vorgänge auf einer Baustelle planbar sind. Und weil es „die letzte Chance ist“, sagt sie. Denn hat der Bagger erst einmal seine Schaufeln in die Erde gerammt, ist alles, was sich darunter verborgen hat, für immer verloren.

Karin Fischer Ausserer ist die Chefin der Wiener Stadtarchäologie und damit so etwas wie die Wächterin der Wiener Geschichte. Rückblicke auf 7000 Jahre Leben auf Wiener Boden holen sie und ihre Kollegen regelmäßig unter der Erde hervor. Von Jungsteinzeit zur Bronzezeit, vom Mittelalter bis zum Zweiten Weltkrieg sind Fundstücke dabei. Ihre Arbeit beginnt immer dann, wenn der Boden in der Stadt „grob verändert wird“, so besagt es das Wiener Denkmalschutzgesetz.

„Es gibt Orte in Wien wie den dritten und den ersten Bezirk, da findet man eigentlich immer etwas“, sagt Fischer Ausserer in ihrem Südtiroler Dialekt, den sie bis heute nicht abgelegt hat. In Gebieten wie der Donaustadt sei es schon schwieriger.

Ihr Wissen über mögliche Fundorte haben die Archäologen durch das akribische Durchforsten von historischen Dokumenten in Bibliotheken und Archiven. So sind die Forscher auf die Idee gekommen, dass nahe des Hauptbahnhofs eine alte Römerstraße verlaufen könnte (die haben sie allerdings nicht gefunden). Und so kamen sie auch römischen Ziegelbrennöfen auf dem Gebiet der Geblergasse im 17.Bezirk auf die Spur. „Das ist schon eine Sensation, dass wir jetzt gleich zwei dieser Öfen gefunden haben“, sagt Fischer Ausserer und fuchtelt mit ihren Händen. Das tut sie immer, wenn ihr etwas richtig wichtig ist.

Zu ihren liebsten Fundorten zählt im Moment vor allem das Baugebiet der Seestadt Aspern. Nicht, weil ihr Team dort große Kunstwerke gefunden hätte. Sondern wegen der Geschichte, die dort erzählt werden kann. „Normalerweise sehen wir ja nur kleine Ausschnitte, weil die Baustellen nicht groß sind“, sagt Fischer Ausserer. Das Gebiet der Seestadt Aspern ist aber so groß wie der siebte und achte Bezirk zusammen. Und historisch wichtig: Hier erlebte Napoleon seine erste militärische Niederlage.

Die Spuren davon sind noch bis heute sichtbar. Die Knochen der gefallenen Franzosen liegen noch immer unter der Erde. „Ebenso die der gefallenen Pferde und Maultiere oder die Kugeln, mit denen sie getötet wurden.“ Ansonsten sind es zum Teil unscheinbare Dinge, die ausgegraben werden. Abgefallene Knöpfe, verlorene Hufeisen und tausende von Geschirrscherben. Nur diese Funde werden von den Archäologen dann auch mitgenommen. Der Rest, also die Mauern, Pfeiler oder Fundgruben, „die werden zerstört.“ Als Archäologin gefällt ihr das freilich nicht, „weil man eine Geschichte erst dann erzählen kann, wenn man Fund und Fundstelle vor sich hat“, sagt sie. Aber Wien sei nun einmal eine Stadt, in der viel gebaut wird. „Es ist die Tragik der Archäologie. Aber man wird mit diesem Wissen ausgebildet.“

Sie selbst hatte wohl auch lange genug Zeit, sich daran zu gewöhnen. Fischer Ausserer ist auf einem Bergbauernhof in Südtirol aufgewachsen und hat sich schon immer für alte Dinge interessiert. Sie studierte in Wien, 2003 übernahm sie die Leitung der Wiener Stadtarchäologie. Bis heute sagt die 49-Jährige, sei es das „Menschliche“, das sie an ihrer Arbeit interessiert. Wie haben die Bewohner auf dem Wiener Boden vor Jahrtausenden gelebt, wie haben sie sich entwickelt, wie haben sie ausgesehen. „Ich fühle mich mit diesen Menschen verbunden“, sagt sie. Außerdem gefällt es ihr, dass sie Beweise liefert für Dinge, die in alten Büchern und Erzählungen überliefert wurden. Denn der Boden, sagt sie, „der lügt nicht.“

Zur Person

Karin Fischer Ausserer ist die Leiterin der Wiener Stadtarchäologie. Ihr Team wird immer dann gerufen, wenn der Boden in Wien „grob verändert“ wird. Dazu zählt etwa das Gebiet, auf dem die Seestadt Aspern entstehen soll, aber auch der Hauptbahnhof. Dort haben die Archäologen übrigens eine alte Römerstraße vermutet. Sie lagen falsch. Der Weg, den sie dort gefunden haben, ist der „Simmeringer Weg“ aus dem 16. Jahrhundert. Eine Mini-Ausstellung ist dazu im Bahnorama zu sehen. Infos: www.bahnorama.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2013)

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