Ostern: Wozu wir Bräuche brauchen

Wozu Braeuche brauchen
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Die meisten Osterbräuche haben zwar einen liturgischen Hintergrund. Dass sich Osterschnalzen, Gonesrennen oder das klassische Osterei zu dem entwickelt haben, was sie heute sind, hat aber auch wirtschaftliche und soziale Gründe.

Gerhard Gassner hat keine Ahnung, warum. Er weiß nur, dass vor sechs oder sieben Jahren ein paar große Peitschen auf einem Dachboden gefunden worden sind. „Die Älteren haben sich dann an das Osterschnalzen erinnert“, sagt er. Also wurde dieser Brauch in der knapp 1000-Einwohner-Gemeinde Zillingtal im nördlichen Burgenland wiederbelebt. Am Ostersonntag versammeln sich pünktlich zu Mittag an die 15 Männer vor der Kirche – in Sonntagskleidung und mittlerweile mit eigenen Gilets, bestickt mit der Aufschrift „Osterschnalzen Zillingtal“.


Sammeln für das Dorf. Die bis zu sieben Meter langen Peitschen werden schon ein paar Tage vorher aus der Kiste geholt, damit sie geputzt werden und die Männer sich einüben können. Wenn es dann so weit ist, wird erst einmal Platz gemacht, dann holen die Osterschnalzer aus und schnalzen laut und wuchtig. „Wir gehen jede Gasse im Dorf ab, erst am Abend sind wir fertig“, sagt Gassner. Damit den peitschenden Männern nicht so schnell die Kraft ausgeht, werden sie von den Bewohnern mit einer Jause und natürlich mit Schnaps versorgt. „Manche gehen deshalb schon in den ersten Stunden ein.“ Das Lachen, das dann folgt, verrät, dass es ihm auch schon einmal so ergangen ist.

Bohrt man dann noch einmal nach und fragt, warum man das denn mache, zeigt er auf den Kirchturm. „Wir sammeln Geld und tun dann etwas im Dorf. Wir haben zum Beispiel die Kirchenglocken hergerichtet, ein Marterl und einen Kreuzweg errichtet und Kinderratschen gekauft. Wir machen die Arbeit, die sonst keiner macht.“ Mittlerweile haben sich auch zwei Cousins von ihm dazugesellt, Bernhard und Andreas Gassner. Der eine erinnert sich dunkel daran, woher dieser Brauch eigentlich stammt: von den Viehtreibern, die früher die Kühe auf die Weide getrieben haben. Das laute Schnalzen diente damals auch dazu, die Bewohner zu informieren. Und weil Ostern eben auch rund um den Frühlingsbeginn fällt, hat sich der Brauch als Osterbrauch etabliert. Aber auch Andreas Gassner findet es nicht so wichtig, wo das Osterschnalzen herkommt. Es wird gemacht, weil es immer schon so war – wenn auch mit Unterbrechungen.


Nicht hinterfragen. Damit markiert das Zillingtaler Osterschnalzen auch schon eines der wichtigsten Merkmale von Bräuchen. „Gerade die, die den Brauch fortführen, wissen am allerwenigsten, wo er herkommt. Er war immer schon da, das reicht“, sagt Reinhard Kriechbaum, Autor des Buches „Scheller, Schleicher, Maibaumkraxler“, das sich mit Frühlingsbräuchen befasst. Das bestätigt auch Brauchtumsforscherin Helga Maria Wolf: „Das ist es, was den Brauch charakterisiert: Man macht es, ohne es zu hinterfragen.“ Sich auf die Spuren der Bräuche zu begeben, bleibt dann also ihre Aufgabe. Bei einigen wurden sie und ihre Kollegen fündig.

Naheliegend ist es, gerade zu Ostern einen Großteil der Bräuche auf Religion und Kirche zurückzuführen. Das verdeutlichen schon die Symbole, wie etwa das Osterfeuer, das für das Licht Jesu steht. Aber nicht immer ist es die liturgische Bedeutung, die die Bräuche zu dem machen, was sie sind.

Ganz allgemein werden Bräuche von Menschen erfunden. Wenn sie dann auch noch zum Zeitgeist passen, werden sie angenommen. „Bräuche fallen weder vom Himmel, noch kommen sie aus der Volksseele, wie man das noch vor hundert Jahren geglaubt hat, es sind immer Personen oder Gruppen, die Initiativen setzen“, sagt Wolf. Wem keine neuen Bräuche einfallen, der entdeckt alte wieder. Wie derzeit etwa die Fastenkrippen oder die Heiligen Gräber, die zwar in Tirol und Salzburg – den brauchtumsintensivsten Bundesländern übrigens – schon lange existieren, seit rund zehn Jahren aber auch in Wien wieder praktiziert werden. Dabei wird der Altar mit Blumen und Kerzen, die vor eingefärbten Wasserbehältern stehen, geschmückt, was eine besonders mystische Stimmung erzeugt.

Kriechbaum hat in den letzen Jahren ein besonderes Interesse an Bräuchen und dem intensiven Praktizieren derselben beobachtet. Er spricht von einer „Tendenz zur geradezu kindlichen Verbildlichung“, das wird am Beispiel des Palmsonntags deutlich: „Das wird heute mit echten Eseln, auf die man Kinder setzt, gefeiert, selbst in der Stadt. Vor 20 Jahren wäre das undenkbar gewesen.“

Wirtschaftlicher Hintergrund. Geht man den gängigsten Osterbräuchen auf den Grund, wird deutlich, dass die meisten Bräuche auch einen wirtschaftlichen Hintergrund haben. Zum Beispiel das Osterei. Das gibt es nur deshalb, weil Eier in der Fastenzeit eigentlich nicht gegessen werden dürfen. „Daher waren sie im Übermaß vorhanden und wurden auch als Naturalabgabe, Zins oder Steuer der Grundherrschaft oder dem Pfarrer gegeben. Und natürlich auch an das Patenkind oder unter Verliebten verschenkt. Es gibt eine große Bandbreite zwischen freiwilligem Geschenk und verpflichtender Abgabe“, so Wolf. Gekocht und gefärbt wurden sie, damit sie länger haltbar und besser erkennbar sind. Und da Geschenke in der Regel luxuriöser werden, kam bald die Verzierung hinzu.

Die derzeit omnipräsente Osterdekoration, wie sie heute in jedem Einfamilienhaus steht, haben wir weniger der Kirche zu verdanken als deutschen Frauenzeitschriften aus den 1960er- Jahren. Natürlich hat der Palmzweig eine liturgische Bedeutung, das Arrangement als Osterbaum oder Osterstrauch allerdings nicht. Palmkatzerln und Forsythien in einer Vase, behängt mit bunt bemalten Ostereiern und anderen Dekorationen, sind also noch eine relativ junge Erfindung.

Aber zurück zum Kulinarischen. Selbst die Speiseweihe hat praktische Gründe. „Früher hieß es: Wenn man Speisen wegen der Fastenzeit so lange liegen lässt, ist es sinnvoll, sie segnen zu lassen, man weiß ja nie“, sagt Kriechbaum. Und: Wenn die ganze Familie das geweihte Osteressen gemeinsam zu sich nahm, sollte die Familie das ganze Jahr über zusammenbleiben – erhoffte man sich zumindest.

Dass es in der Stadt weniger Bräuche als auf dem Land gibt, stimmt übrigens nur bedingt. Immerhin verdanken wir den Städtern den Osterhasen. „Der ist ein Kind des 19.Jahrhunderts und der Zuckerbäcker“, sagt Wolf. Damals kam die Schokolade und mit ihr die Konditorei auf. Der bürgerlichen Gesellschaft, die gerade in den Städten ihre eigene Festkultur entwickelte, kam das gerade recht. „Einem Landkind hätte auch keiner erzählen können, dass Hasen Eier legen“, meint Wolf. Dass wir überhaupt Bräuche praktizieren, liegt nicht nur daran, dass sie uns helfen, den Rhythmus des Lebens zu regulieren. Auch soziale Kontrolle spielt dabei eine Rolle. Durch Bräuche kommen Menschen zusammen und haben dabei die Gelegenheit, ein bisschen ins Haus und Leben der anderen zu schauen. So lässt es sich schwieriger verbergen, wenn jemand seine Angehörigen schlecht behandelt.


Brautschau zu Ostern. Bräuche sind immer auch eine Gelegenheit zum Anbandeln. Nicht selten werden der Kirchgang und die Bräuche rundherum auch für die Braut- oder Bräutigamschau genutzt. Besonders einfach geht das etwa beim Gonesrennen, einer Art Fangenspiel, das im Salzburger Lungau am Ostermontag praktiziert wird. Dass damit nach dem großen Osteressen ein paar Kalorien verbrannt werden sollen, klingt heute zwar plausibel, besonders alt kann diese Begründung aber wohl nicht sein. Da klingt die andere Version schon um einiges naheliegender: Man kann sich beim gemeinsamen Laufen ganz ungeniert näherkommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2013)

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