Der Neid der Eltern auf die Kinderlosen

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Für Eltern ist es ein Tabu, zu fragen, ob es ohne Kinder nicht leichter wäre. Und doch bricht gelegentlich eine Neiddebatte zwischen Eltern und Kinderlosen aus - vor allem, wenn es um die Pensionen geht.

Manchmal ödet es an, eine Familie zu haben. Und man fragt sich, ob die Entscheidung dafür richtig war.“ Es sind harte Worte, die Michèle Binswanger in einem Blog formuliert. So hart, dass sie vorher noch eine Warnung an ihre Leser in die Einleitung schreibt: „Das Thema könnte ihre emotionale Stabilität gefährden.“ Tatsächlich hat die Schweizer Autorin und Journalistin mit ihrem Beitrag, der im März 2010 auf dem „Mamablog“ des Schweizer Tagesanzeigers erschien, an einem Tabu gerüttelt – sie stellt infrage, ob das Leben ohne Kinder nicht eigentlich viel angenehmer wäre. Dass sie sich, während sie mit ihren Kindern im Zoo vor dem Affenkäfig steht, insgeheim an einen völlig anderen Ort wünscht, dass sie sich gerade lieber über die Kreationen unterhalten würde, die auf einer Modenschau gezeigt werden, als über Schimpansen.

Die Reaktionen fielen heftig aus. „Die einen haben gejubelt, dass sich das endlich einmal jemand zu sagen traut“, erzählt Binswanger im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. „Die anderen haben gefragt, warum ich dann überhaupt Kinder habe.“ Die Provokation war jedenfalls gelungen – und das war durchaus so gewollt. „Im Mamablog ging es darum, unbequeme Wahrheiten und gesellschaftspolitische Implikationen zu beleuchten. Und aus dem Mütteralltag darüber zu sprechen, was man sonst nicht sagt.“

Tatsächlich ist die Frage, ob man es ohne Familie nicht besser hätte, ob man sich als Elternteil nicht gelegentlich die Freiheit und Flexibilität der kinderlosen Zeit wieder zurückwünscht, ein gesellschaftliches Tabu. Natürlich, schränkt Binswanger noch in ihrem Blog ein, sei „der Neid auf die Kinderlosen ziemlich kindisch“. Und sie kenne auch niemanden, der missen würde, was die eigenen Kinder ihm geben – sie selbst natürlich eingeschlossen. Und doch, es gibt diese kurzen Momente, in denen Eltern ein wenig sehnsüchtig in Richtung derer blicken, die keine Kinder haben.

Dann etwa, wenn sie bei einem Treffen nicht ständig unruhig auf die Uhr schauen müssen, um ja nicht zu spät zu kommen, wenn die Tochter oder der Sohn vom Kindergarten abgeholt werden muss. Wenn sie sich spontan Zeit nehmen können, um etwas zu tun, auf das sie gerade Lust haben. Oder auch, wenn sie auf Facebook Bilder ihrer ausgedehnten Urlaubsreisen quer durch alle Welt posten, die man oft selbst so nicht mehr machen kann.


„Sparquote ist gleich null.“
Vor allem letzterer Punkt ist es, bei dem die persönliche Betroffenheit auch eine gesellschaftspolitische Bedeutung bekommt – die ökonomische Lage der Eltern. Denn Fakt ist, dass Elternschaft bei all ihren schönen Momenten auch eine enorme finanzielle Belastung darstellt. „Vor zwei Jahren habe ich mir am Ende des Monats noch etwas auf die Seite legen können“, erzählt Christian Kasper. „Aber mit einem Kind ist die Sparquote gleich null.“ Seit Sohn Jan auf der Welt ist, muss der 37-jährige Wiener mit seiner Frau viel genauer auf das Budget achten. Der Kindergarten kostet Geld, das Gewand, aus dem der kleine Jan bald herauswachsen wird, muss besorgt werden, dazu das Essen – und weil das Paar in der Arbeit etwas kürzertritt, um mehr Zeit für den gemeinsamen Sohn zu haben, leidet natürlich auch die Einkommensseite. Zwar gibt es eine Reihe von Förderungen für die Familie durch den Staat, doch die Mehrausgaben können nicht annähernd durch sie gedeckt werden.

„Es gab trotzdem noch nie eine Situation, in der ich mir gedacht habe, dass ich lieber kein Kind haben will“, sagt Kasper. Natürlich seien ausgedehnte Reisen in die USA oder andere größere Ausgaben nicht mehr, oder nur mit höherem Aufwand, möglich. Aber einerseits änderten sich die Begehrlichkeiten, sobald man ein Kind hat – „dafür werde ich jeden Tag von meinem Sohn begrüßt, wenn ich heimkomme.“ Und andererseits, meint der 37-Jährige, „tue ich mir schwer, über Kinder nur mit monetären Argumenten zu diskutieren.“

Was in der persönlichen Erfahrung von Eltern offenbar nur eine Nebenrolle spielt, ist auf der gesellschaftlichen Ebene aber sehr wohl ein Thema. Vor allem, wenn es um die Finanzierbarkeit des Sozialsystems geht, bricht der Verteilungskampf zwischen Eltern und Kinderlosen immer wieder hervor. Zuletzt etwa, als im März eine Studie der Universität Bochum erschien, in der Kinderlosigkeit als „Trittbrettfahrerverhalten“ bezeichnet wird – schließlich sparten sich Kinderlose die Aufwendungen für Erziehung und Ausbildung, gleichzeitig könnten sie mehr arbeiten und dadurch höhere Pensionsansprüche erwerben. Als Lösung schlugen die Ökonomen vor, die Zahl der Kinder in die Einberechnung der Pensionsansprüche einfließen zu lassen.


Kinderlose vs. Eltern. Es ist nicht das erste Mal, dass diese Diskussion aufflammt. Wird im Zusammenhang mit der Finanzierbarkeit des Pensionssystems meist der Generationenkonflikt bemüht, verlagert sich der Konflikt zwischendurch immer wieder auf die Ebene Kinderlose gegen Eltern. So zirkulierte schon 2005 in der Industriellenvereinigung die Idee, die Pension für Kinderlose auf die Hälfte zu kürzen – der damalige Generalsekretär Markus Beyrer hielt diesen Vorschlag zumindest für „überlegenswert“. Die FPÖ ging 2008 noch einen Schritt weiter – der damalige Nationalratsabgeordnete Karlheinz Klement schlug vor, Kinderlose aus dem Pensionssystem auszuschließen, weil sie den Generationenvertrag nicht erfüllten. Vonseiten der Bevölkerung gab es für derartige Vorhaben nur mäßige Begeisterung. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts „market“ sprach sich 2006 eine Mehrheit von 72 Prozent gegen Pensionskürzungen für Kinderlose aus, immerhin 20 Prozent waren dafür.

Fakt ist, dass die Zahl der Kinder in Österreich zurückgeht. Lag die Zahl der Lebendgeborenen etwa in den 1960er-Jahren noch bei rund 130.000 pro Jahr, so sank sie – mit einigen Ausreißern – kontinuierlich und lag im Jahr 2011 nur mehr bei knapp unter 80.000. Anders gerechnet: Kamen im Jahr 1962 auf 1000 Einwohner 18,7 Geburten, so liegt dieser Wert 2011, also knapp 50 Jahre später, bei nur mehr 9,3. Aus den Daten der Statistik Austria lässt sich auch ablesen, dass die Zahl der Paare ohne Kinder im Steigen begriffen ist – so ist die Zahl der Ehepaare ohne Kinder von 606.000 im Jahr 1985 auf 741.000 im Jahr 2012 angewachsen. Zwar lässt sich diese Entwicklung vor allem durch die Zunahme älterer Ehepaare erklären, deren Kinder den gemeinsamen Haushalt bereits verlassen haben. Doch bezieht man nur jene Haushalte in die Berechnung ein, in denen die Frau jünger als 40 Jahre ist, die Wahrscheinlichkeit also hoch ist, dass eventuell vorhandene Kinder noch nicht ausgezogen sind, es für Nachwuchs aber eher schon zu spät ist, zeigt der Trend ebenfalls nach unten. Gab es etwa 1992 (ältere Daten in dieser Tiefe liegen nicht vor) noch rund 154.800 Paare in einem gemeinsamen Haushalt ohne Kinder, so liegt ihre Zahl im Jahr 2012 schon bei 186.200. Dass diese Entwicklung in Hinblick auf die Pensionen zum Problem werden kann, liegt auf der Hand.

Das österreichische Pensionssystem ist umlagenfinanziert, das heißt, dass die Erwerbstätigen die Leistungen für die heutigen Pensionisten zahlen. Wenn in Österreich in den kommenden Jahren die Generation der geburtenstarken Jahrgänge nach dem Zweiten Weltkrieg in Pension geht, wird das System massiv auf die Probe gestellt. In der Bevölkerungsprognose der Statistik Austria geht man für das Jahr 2025 von rund 1,9 Millionen Menschen über 65 Jahren aus – 2011 waren es nur rund 1,48 Millionen. Die Zahl der Menschen zwischen 20 und 65 Jahren, also im erwerbstätigen Alter, bleibt dagegen mit rund 5,2 Millionen weitgehend gleich.


Ungestört von Babygeschrei. Wie verführerisch lockt da das Argument, all jene stärker zur Kasse zu bitten, die mit ihrer Kinderlosigkeit mit zu dieser Entwicklung beigetragen haben. Die sich ungestört von Babygeschrei und Kindererziehung dem Geldverdienen und dem Ausgeben des erworbenen Einkommens für allerlei schöne Dinge gewidmet haben. Genau in diese Stoßrichtung geht, wenn auch nicht immer mit derartiger Polemik, die immer wieder aufkeimende Diskussion; es wird versucht, ein Neidgefälle zwischen Eltern und Kinderlosen als politisches Instrument zu nutzen. Vergessen wird dabei oft, dass die Gründung einer Familie eine höchst persönliche Entscheidung einzelner Menschen ist – und nicht bloß ein selbstloser Beitrag zur Erfüllung des Generationenvertrags. Dementsprechend warnen auch Experten wie der Sozialrechtler Wolfgang Mazal (siehe Interview unten) davor, Eltern und Kinderlose gegeneinander auszuspielen. Sinnvoller sei ein positiver Zugang, dass etwa Eltern ermöglicht wird, ihren Beruf mit der Familie besser in Einklang zu bringen. Und man dürfe nicht den Fehler machen, Kinder immer nur aus dem ökonomischen Blickwinkel zu betrachten. Denn genau damit schüre man nur Neiddebatten, die die Gesellschaft nicht weiterbringen.


Wochenende ohne Kind.
Bleibt man auf der persönlichen Ebene, sind solche Augenblicke des Neids ohnehin meist schnell wieder vorbei. „Manchmal ein Wochenende ohne Kind zu verbringen, wäre schon okay“, sagt Christian Kasper. Und natürlich gebe es diese Momente, in denen man gern mit Freunden – auch kinderlosen – unterwegs ist oder einfach einmal allein sein möchte. „Aber ein Kind hindert einen ja nicht, dass man sich dafür Zeit nimmt.“ Vieles sei einfach nur eine Frage der Einteilung, der Koordination mit Partner oder Familie. Und dann ergibt sich auch die Gelegenheit, mit alten Freunden auf ein Bier zu gehen.

„Es geht nicht mehr jeden Tag, das ist klar“, sagt Kasper. „Aber ehrlich gesagt, ich muss das auch nicht mehr unbedingt jeden Tag haben.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.04.2013)

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