"Tut der Tod weh?": Wenn Kinder sterben müssen

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Jährlich sterben in Österreich rund 400 Kinder an unheilbaren Krankheiten. Eine Betreuung für sie gibt es ab der Diagnose - mit einem mobilen Kinderhospiz sollen die letzten Tage möglichst angenehm gestaltet werden.

Wie fühlt sich das an, das Sterben?“ Es war eine der ersten Fragen, die Andreas stellte, als ihm die Ärzte erklärten, dass der bösartige Tumor in seinem Körper nicht mehr verschwinden würde – und dass er bald sterben müsse. Natürlich war da viel Angst, viel Unsicherheit. Und viele Fragen, wie sie ein fast neunjähriger Bub eben stellt. Nur dass die Neugier, etwas zu erfahren, auf etwas Endgültiges ausgerichtet war. Darauf nämlich, was passieren würde, wenn Andreas nicht mehr am Leben ist. Und dass die Erwachsenen rund um ihn ihm auf manche Dinge einfach keine Antwort geben konnten. Ob der Tod wehtut? Was danach kommt?

Schon Erwachsenen sagen zu müssen, dass sie nicht mehr lange zu leben haben, ist für Ärzte eine Herausforderung. Die richtigen Worte zu finden, das Unausweichliche zu verkünden. Dass man irgendwann sterben muss, das hat jeder im Hinterkopf. Doch der Moment, in dem aus dem „irgendwann“ ein „bald“ wird, ist ein tiefer Einschnitt. Aus der Zukunft wird plötzlich nur mehr der Rest des Lebens. Ist der Patient noch ein Kind, ist all das noch viel schwieriger. Und doch gehört genau dieser Moment zur täglichen Arbeit von Kinderärzten. Allein in Wien und im Umland gibt es rund 700 bis 800 Mädchen und Buben, die an lebensbedrohenden und unheilbaren Krankheiten leiden. Jedes Jahr sterben etwa 120 Kinder daran. In ganz Österreich sind es insgesamt rund 400.


Schmerzen lindern. Lebensbedrohend und unheilbar. Eine Diagnose, bei der die konventionelle Medizin an eine Grenze stößt. Es geht nicht mehr darum, einen Patienten zu heilen, seine Lebenszeit zu verlängern. Es geht in der Palliativmedizin nur noch darum, ihm das verbleibende Leben möglichst angenehm zu gestalten. Schmerzen zu lindern. Die durch die Krankheit hervorgerufenen Beschwerden erträglicher zu machen. Nicht zuletzt auch, ihm bei sozialen und spirituellen Problemen beizustehen.

Reden ist in solchen Situationen enorm wichtig. Ob die Kinder nun von sich aus Fragen haben, oder ob man ihnen einfach nur anbietet, dass man für sie da ist, dass sie Fragen stellen können. Ehrlichkeit und Offenheit sind dabei von Anfang an wichtig. Andreas ging mit seiner Erkrankung zunächst sehr offen um. Natürlich hatte er Angst, doch nach außen zeigte er sich locker, sprach ganz offen über den Tod. „Weißt du, dass ich bald tot bin?“, fragte er so ziemlich jeden, der in seine Nähe kam. Er läutete sogar bei der Nachbarin an, um ihr zu sagen: „Hast du schon gehört, ich sterbe vor dir!“ Doch als er begann, die Krankheit zu spüren, als die Schmerzen einsetzten, da wich die Lockerheit der Angst, der Verzweiflung. Dem Gefühl, allein zu sein. „Wer passt denn dann auf mich auf?“ Aber auch dem Gefühl, die anderen alleinlassen zu müssen. „Und wer kümmert sich um meine Eltern?“


Hilfe für Angehörige. Die Eltern – auch sie müssen betreut werden. Denn die Erkrankung eines Kindes ist natürlich auch für die Angehörigen eine schwere Belastung. Und es ist nicht nur das Wissen, dass das eigene Kind leidet, dass es bald sterben muss, das die Eltern auf eine harte Probe stellt. Es sind auch ganz alltägliche Dinge, unter denen sie leiden. Dass sie ihr Kind daheim pflegen müssen, dass sie manchmal nachts kein Auge zutun können, weil es weint, schreit, Schmerzen hat – oder Angst. Dass sie es abgesehen davon kaum mehr schaffen, so etwas wie ein geregeltes Sozialleben zu führen. Oder vielleicht auch einmal selbst krank werden.

Damit das kranke Kind – und auch seine Familie – nicht alleingelassen wird, haben sich in den letzten Jahren einige Hilfsangebote etabliert. Eines davon ist jenes der mobilen Kinderhospize. Seit 2005 gibt es etwa das Kinderhospiz Netz, und im vergangenen März starteten Caritas, Caritas Socialis und die mobile Kinderkrankenpflege Moki Wien mit „Momo“ eine weitere derartige Einrichtung. Die Idee dahinter: Ärzte, Pfleger und ehrenamtliche Mitarbeiter betreuen die Kinder, Eltern und auch Geschwister daheim. Denn das eigene Zuhause ist für viele Betroffene der Ort, an dem sie sich am wohlsten fühlen – gerade dann, wenn sie vorher im Spital eine lange und anstrengende Zeit in der Therapie verbracht haben.

Hat ein Kind die Diagnose „unheilbar“ bekommen, wird es aus der regulären medizinischen Versorgung entlassen – und wird nur mehr palliativmedizinisch behandelt. Wie lange, das ist nicht immer klar. Bei einer Krebserkrankung lässt sich der Verlauf eher abschätzen, ist ein Zeithorizont greifbar. Es gibt aber auch Krankheiten, von denen klar ist, dass sie lebensbedrohend und unheilbar sind – doch das tatsächliche Lebensende kann noch in weiter Ferne liegen. Martina Kronberger-Vollnhofer, lange Zeit Kinderärztin am St. Anna Kinderspital und nun Leiterin von Momo, betreut derzeit etwa ein zehnjähriges Mädchen, das mit einer unheilbaren Muskelerkrankung zu Hause liegt. „Bei ihr geht es nicht darum, sie vorzubereiten, dass sie in ein paar Jahren sterben wird.“

Klar ist, dass das Kind kein hohes Alter erreichen wird, doch solange es geht, soll es ein Leben haben, das so normal ist, wie es nur geht. Wenn Kronberger-Vollnhofer von ihr spricht, erzählt sie von rosa lackierten Fingernägeln, von einer unglaublichen Begeisterung für Bücher, mit denen sich das Mädchen stundenlang allein beschäftigt – und von Lebenslust, ja, sogar von kleinen Fortschritten im alltäglichen Leben. Dass das Mädchen etwa gerade lernt, sich selbst die Flüssigkeit aus der Luftröhre abzusaugen. Und dass sie, wenn sich eine Schule für sie findet, im Herbst vielleicht sogar regulär den Unterricht besuchen wird können. Aber auch von der Mutter, die bei jedem Besuch einen unglaublichen Redebedarf hat – über Erziehung, über die Schule, aber auch über finanzielle Sorgen. Mit Letzteren müssen Eltern todkranker Kinder immer wieder kämpfen. Denn der Spagat, die Arbeit und die zeitintensive Pflege des Kindes unter einen Hut zu bekommen, ist kein einfacher.

Auch die mobile Kinderhospizbetreuung muss mit den Finanzen haushalten – man ist vor allem auf Spenden angewiesen, denn öffentliche Förderungen gibt es noch keine. Finanzierungsbedarf gibt es in jedem Fall – und das nicht nur bei der mobilen Palliativversorgung. Denn ein stationäres Kinderhospiz gibt es in Wien noch gar nicht. Wobei man sich ein solches nicht unbedingt als eine Einrichtung vorstellen darf, in die man Kinder zum Sterben bringt – vielmehr geht es darum, die pflegenden Eltern ein wenig zu entlasten, indem man die Kinder zwischendurch ein paar Tage hier unterbringt. Und wenn gewünscht auch die Angehörigen, die dann zumindest ein paar Mal ruhig schlafen können, während sich professionelle Pfleger um die Kinder kümmern. Oder auch Psychotherapie oder andere Angebote in Anspruch nehmen können, um ihnen die Situation zu erleichtern.


Wo will man sterben? Wo das Kind am Ende einmal wirklich stirbt oder sterben will, das ist unterschiedlich. Viele Kinder wünschen sich, dass sie in der vertrauten Umgebung daheim ihre letzten Stunden verbringen. Manche Eltern haben Angst, diesen Moment in den eigenen vier Wänden zu erleben, andere wollen genau das. Für Andreas war die Sache klar: Er wollte im Spital sterben. Zu Hause, hatte er erklärt, würde er sich dabei nicht wohlfühlen.

Zu Martina Kronberger-Vollnhofer, die ihn als Ärztin betreute, hatte er Vertrauen. Mit ihr redete er viel. Und sie konnte ihm auch die Angst vor dem Tod ein wenig nehmen – mit dem Vergleich, dass Sterben so etwas wie Einschlafen sei. Ein Vergleich, den man in der Palliativmedizin eigentlich nur ungern verwendet, weil Kinder dann Angst vor dem Schlafen bekommen können. Doch Andreas konnte mit diesem Bild etwas anfangen. Dass man sich im Grunde jeden Tag beim Einschlafen von seinem Körper entkoppelt. Und am nächsten Tag nicht mehr weiß, wie es war. Als Andreas einschlief, war er neun Jahre alt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2013)

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