360 Grad Österreich: Von Pilzen und Italienern

Wald
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Nett, wenn man im Wald einen Pilz findet. Italiener begnügen sich damit in Kärnten nicht: Manche sammeln gleich 135 Kilogramm.

Wenn man durch St. Johann im Pongau auf der B311 nach Süden fährt, bei der BP-Tankstelle rechts abbiegt und dann gleich links auf der Alpendorfstraße immer geradeaus fährt, steht man bald vor Österreichs geheimstem Ort: der Einsatzzentrale Basisraum, dem Regierungsbunker, in den sich unsere Regierung im Krisenfall zurückzieht.

Was ein Geheimnis bewahren wirklich heißt, erlebt man, wenn man im Kärntner Mölltal nach dem besten Platz fragt, um Steinpilze zu finden. Vielleicht würden die Einheimischen unter Androhung von Folter oder dem Besuch eines Konzerts von Hansi Hinterseer plaudern, sicher ist das allerdings nicht.

Man braucht aber nicht unbedingt jahreslanges Insiderwissen und auch keine stundenlangen Spaziergänge durch finstere, feuchte Wälder. Man kann die besten Pilzplätze auch anhand von Autokennzeichen finden. Dort, wo besonders viele Autos mit italienischem Kennzeichen stehen, wachsen üblicherweise die meisten Pilze.

An diesem Tag ist das in einer abgelegenen Seitenstraße in Flattach. Sechs Pkw stehen hier, vornehmlich Alfas, deren Besitzer sich irgendwo tief in den Fichtenwäldern herumtreiben. „Wenn man schnell ist, findet man da, wo die Italiener sind, viele Pilze“, erklärt Josef Gangl. „Wenn man zu spät dran ist, dann ist der Wald schon leer geräumt.“

Gangl kennt das seit vielen Jahren. Der 68-Jährige ist bei der Bergwacht in Villach und einer jener, die dafür sorgen, dass die Kärntner Wälder nicht „ausgeraubt“ werden. Nach Verordnung des Landes darf jede Person pro Tag zwei Kilogramm Pilze sammeln. Wer mehr mitnimmt, gilt als Pilzdieb und muss Strafe bezahlen: bis zu 7200 Euro. Und die Pilze sind auch weg.

Man könnte solche Verordnungen als kleinlich oder lächerlich verspotten, bis man einmal erlebt hat, mit welcher Beute Menschen aus dem Wald kommen. Gangl hätte sich eigentlich einen extra Goldstreifen auf seinem Bergwachtabzeichen verdient, weil er mit Kollegen vergangenes Jahr den größten Pilzfang gemacht hat: Drei Ausländer hatten ihren Renault mit Herrenpilzen vollgeräumt, „bis oben hin, der ganze Kofferraum und der ganze Platz auf dem Rücksitz neben der Frau“, erinnert sich Gangl. Insgesamt 135 Kilogramm. 129 Kilogramm wurden beschlagnahmt und jeder musste 365 Euro als Sicherheitsleistung hinterlegen. Die wollte das Trio mit einem gefälschten 50-Euro-Schein bezahlen und handelte sich damit gleich auch noch einen Besuch der Polizei ein. Immerhin, die Bergwacht hatte ein wenig Mitgefühl: „Sechs Kilo Pilze haben wir ihnen gelassen“ – zwei pro Person.


300 Euro pro Kilogramm Pilze. Damit sind sich vielleicht sogar die Strafen ausgegangen. Nicht auf dem Wiener Naschmarkt, wo man für ein Kilogramm Steinpilze zwischen 20 und 40 Euro bezahlt. Allerdings in Neapel oder noch weiter südlich. Wer dort Steinpilze oder Eierschwammerln kaufen will, bezahlt pro Kilogramm zwischen 100 und 300 Euro. Da lohnt sich ein kleiner Ausflug nach Kärnten schon. „Einer hat uns einmal erzählt“, berichtet Gangl von einer Kontrolle, „dass er sich mit den Pilzen ein neues Auto erbrockt hat.“

Deshalb ist das Suchen für viele nicht einfach nur ein nettes Hobby oder der Nebeneffekt eines Waldspaziergangs, sondern ein Geschäft. „Gerade die Italiener sind hervorragend organisiert“, erzählt Johannes Leitner, Chef der Kärntner Bergwacht und Bezirkshauptmann von Klagenfurt-Land. „Sie fallen busweise ein und gehen professionell vor.“ Das heißt in der Praxis beispielsweise, dass sie gleich Trockengeräte mitbringen und die noch im Wald betreiben: „Wenn man 20 Kilogramm nasse Pilze hat, bleiben getrocknet vielleicht noch zwei Kilo übrig“, erklärt Gangl. Und zwei Kilogramm pro Person sind erlaubt – egal, ob nass oder trocken.

Das sind übrigens keine Einzelfälle. Manche ziehen zur Schwammerlzeit im Wohnwagen regelrecht im Wald ein und betreiben eine kleine Pilzverarbeitung, andere nutzen das Hotel. Neulich ist im Mölltal in einem Hotel die ganze Stromversorgung zusammengebrochen, weil Gäste zu viele Trockengeräte betrieben hatten.

Heuer war lange Zeit ein schlechtes Pilzjahr. Im Frühjahr war es zu nass, später war es zu heiß, erst seit Mitte September sprießen die begehrten Stein- und Herrenpilze (ja, es gibt einen Unterschied). Und seither hört man in den Wäldern wieder Italienisch. An die zwei Kilogramm pro Tag und Person hält sich kaum jemand, dafür ist man recht einfallsreich, wenn es darum geht, die Regelung zu umgehen. Es gab schon gefälschte Nächtigungsbelege, die beweisen sollten, dass man eine Woche Urlaub in Kärnten gemacht habe und somit 14 Kilogramm besitzen dürfe. Andere verstecken die Pilze auf Bäumen oder in Löchern, speichern die GPS-Koordinaten und holen sich die Pilze später oder schicken Bekannte.


Kein Glück. „Wir haben in den paar Wochen schon 740 Kilogramm Pilze beschlagnahmt“, berichtet Leitner. Freuen dürfen sich darüber Pensionistenheime und Sozialeinrichtungen. 2011 gab es bei ihnen fast täglich Pilze: In dem Jahr beschlagnahmten die freiwilligen Mitarbeiter der Bergwacht etwa 1200 Kilogramm Pilze.

Die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Bergwacht durchstreifen nur selten die Wälder, um die Pilzdiebe in flagranti zu erwischen. Meist gibt es Schwerpunktaktionen gemeinsam mit der Asfinag: Dann wird die ganze Autobahn gesperrt, die Asfinag kontrolliert das Mautpickerl, die Bergwacht die Kofferräume.

Wir hatten übrigens Pech – oder Glück, je nachdem. Im Wald fand sich kein einziger Steinpilz. Wenn doch, wäre es schwer gewesen, gesetzestreu zu bleiben: Auch wenn sich niemand daran hält, aber das Sammeln von Stein- und Herrenpilzen ist im Oktober generell verboten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2013)

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