Aus dem Garten um die Welt: Glawoggers Doku ohne Plan

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Filmemacher Michael Glawogger hat sich auf die Reise gemacht. Ein Jahr lang will er mit der Kamera seiner Intuition folgen.

In der Einfahrt steht schon der rote VW-Bus, fertig gepackt: viel Ausrüstung, ein paar Rucksäcke, nicht viel Raum für Persönliches. Hinter der Windschutzscheibe wackelt ein rosa Plastikpudel mit dem Kopf.

Weiter hinten, neben dem zweistöckigen Haus mit braunen Fensterläden, hat Michael Glawogger Stärkung für die Gäste aufbauen lassen, die zu seinem Abschied in die Bucklige Welt gekommen sind. Es gibt Gebäck und Würstel, die Pittener Wirtsleute schenken heißen Tee aus. Das Gras ist noch grau vom Raureif, nur wo die Sonne hinscheint, leuchtet es grün. Glawoggers Kameramann, Attila Boa, filmt. Wer die ganze Welt bereist, muss zuerst den eigenen Garten filmen, können, findet Glawogger. Zumal er ihn liebt, „weil er so verwildert ist. Auch alle Maulwürfe von Pitten flüchten hierher.“

Der Garten als Ausgangspunkt der Weltreise. Seit Jahren hat Michael Glawogger von dieser Idee gesprochen: Einfach loszufahren. Um ein „Bild der Welt entstehen zu lassen, wie es nur gemacht werden kann, wenn man keinem Thema nachgeht, keine Wertung sucht und kein Ziel verfolgt“. Er weiß auch noch genau, wie die Idee entstanden ist. In Tansania, bei einem Werbefilm für einen Schweizer Kaffeehersteller. Er und sein Kameramann, „wir haben so gesponnen, wie toll es hier ist und wie es wäre, wenn man einfach fahren könnte und filmen, was wir wollen“. Und es steht wohl der Name Glawogger dafür, mit seinen Werken wie „Megacities“ und „Workingman's Death“, dass davon mehr erwartet werden darf als ein förderfinanzierter Urlaub für vier.

Megacitys als Ausgangspunkt

Gerade Megacitys haben den Grundstein gelegt, erklärt Glawogger beim Gespräch und nippt am Teehäferl, „weil der in Wahrheit ja nicht von Megacitys handelt, sondern sie als Aufhänger nimmt, um Begegnungen zu suchen. Das ist jetzt die logische Konsequenz – gar nicht mehr vorzugeben, ein Thema zu haben.“ Auch ein Ziel gibt es nicht. „Um die Welt“ wollen die Filmemacher – neben Glawogger und Boa ist Ton-Mann Manuel Siebert mit, außerdem immer ein sprachkundiger Begleiter für die jeweilige Region.

Fürs Erste geht es nach Süden: Durch Ex-Jugoslawien wollen die vier nach Afrika. Damit warten auch jene Regionen, in denen Glawogger am ehesten mit Schwierigkeiten rechnet. „Weil man dort einfach nicht so herumfahren kann wie sonst. Vor Afrika habe ich fast ein bissl Furcht, es ist mir nicht nahe. Gerade diese Terrains gilt es zu erobern.“ Mit Location-Managerin Eva Cifrain hat er eine Homebase, die die je drei Pässe der Filmemacher von Botschaft zu Botschaft weiterleitet und Visa organisiert. Mit Freude denkt Glawogger dafür an die Fahrt durch Sibirien oder Mexiko. Immer soll es möglichst auf dem Landweg gehen, vielleicht von Südafrika nach Südamerika mit dem Schiff, „von dort kann man wieder lang fahren.“ Wirklich lang sei die einjährige Carte-blanche-Reise ohnehin nur auf den ersten Blick. „Das wird sich eh nicht ausgehen.“

Mit gemischten Gefühlen zurück bleibt Glawoggers Frau Andrea, die als stellvertretende Geschäftsführerin des Filmmuseums die Stellung hält. „Seit Jahren ist das in Planung. Aber wenn der Tag da ist, wo es wirklich losgeht, ist es schon eigenartig. Einerseits bin ich es in gewisser Weise gewöhnt. Andererseits gehört es zu einer Ehe dazu, dass man dem Partner Träume ermöglicht. Und drittens, face it: In unserem Alter geht ein Jahr so schnell vorbei, dass man nachher nicht mehr weiß, wo es geblieben ist.“ Allerdings sei es das erste Mal, dass Glawogger, der sich sonst mehrmals täglich meldet, auch sein Handy abgemeldet hat. Argument: Sonst könne er gleich alle Gagen an den Netzbetreiber überweisen.

Nüchtern hat Glawogger auch gepackt. „Wie für eine Woche“, sagt er und lacht. Und noch gar nicht fertig, obwohl er gleich nach den Journalisten starten will. „Sonst würde es ja eine Expedition.“ Und nein, er habe wirklich keine Ahnung, womit er zurückkommen werde. „Aber ich hoffe, dass es die nicht vorhandenen Erwartungen befriedigt.“

ZUR PERSON

Michael Glawogger (seit gestern 54) wurde in Graz geboren und ist Regisseur, Drehbuchautor und Kameramann. Er drehte international erfolgreiche Dokumentationen wie „Megacities“, „Workingman's Death“. In „Whore's Glory“ behandelte er zuletzt das Thema Prostitution. Daneben drehte er Spielfilme wie „Slumming“ oder „Das Vaterspiel“. Unter dem Titel „Untitled – Der Film ohne Namen“ brach er gestern zu einer Reise ins Ungewisse auf, um endlich die Situationen zu filmen, die er sonst nicht filmen konnte, weil er ein anderes Thema hatte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2013)

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