Pranger mit Hashtag

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Menschen im Internet für etwas büßen lassen: Über die zunehmende Lust, die Sau durch das digitale Dorf zu treiben.

Am Stammtisch wäre das nicht passiert. Doch als Justine Sacco eine dumme Meldung von sich gab, saß sie eben nicht unter Freunden am Stammtisch. Und so stellte sie einen geschmacklosen Scherz, der ihr gerade durch den Kopf ging, auf Twitter: „Auf dem Weg nach Afrika. Hoffentlich bekomme ich kein Aids. Nur Spaß. Ich bin weiß.“ Ein Satz, der ihr in vertrauter Runde vielleicht einen verschämten Lacher eingebracht hätte, womöglich auch konsternierte Blicke, was ihr denn da gerade eingefallen sei – je nachdem, mit welchem Schlag Mensch sie eben gerade zusammengesessen wäre. Im sozialen Netzwerk fielen die Reaktionen heftiger aus. Und während sie im Flugzeug nach Johannesburg saß, bauten die Twitter-User aus ihrer Empörung einen digitalen Pranger, auf dem sie die PR-Agentin sozialmedial genüsslich in alle Einzelteile zerlegten.

Als die gebürtige Südafrikanerin einige Stunden später in Südafrika landete, war sie ihren Job los. Fand tausende Nachrichten und Tweets, in denen ihr Empörung, Häme und sogar Hass entgegenschlugen. Und wurde, sichtlich völlig überrascht und verschreckt davon, was während des Flugs ohne ihr Wissen passiert war, auch noch von einem User am Flughafen fotografiert, der das Foto natürlich auch sofort ins Netz stellte. Innerhalb weniger Stunden hatte eine dumme Bemerkung eine Existenz mehr oder weniger in Schutt und Asche gelegt.

Dass Saccos Meldung mehr als daneben war, steht außer Frage. Doch wie gesagt, hätte sie diese vier Sätze an irgendeinem Stammtisch gesagt, es wäre ihr nicht viel passiert. Mit dem Posting auf Twitter geriet sie allerdings in einen regelrechten Strudel. Aus der – berechtigten – Empörung einzelner User, die per Knopfdruck weiterverbreitet und mit Wut und Häme aufgeladen wurde, entstand ein digitaler Entrüstungstsunami. Mit jedem Like auf Facebook, mit jedem Retweet auf Twitter wuchs die Welle – ehe sie am Ende Justine Sacco hinwegfegen sollte. Den Usern erwuchs die Genugtuung, einen Bösewicht zur Strecke gebracht zu haben. Und das ohne große Anstrengung – ein Mausklick, mehr war ja nicht nötig.

Dieser eine Mausklick ist aber auch eine gute Gelegenheit, Verantwortung von sich zu schieben. Schließlich würde ja niemand erwarten, dass diese unscheinbare Tätigkeit vor dem Rechner tatsächlich Folgen haben könnte – etwa eine Existenz zerstören. Und kaum jemand würde sich dabei selbst als jemand sehen, der genüsslich vor dem Pranger steht, unter dem Gejohle der Masse den Angeketteten verhöhnt und am Ende mit dem Gefühl der Befriedigung heimgeht, dass die Gerechtigkeit am Ende doch gesiegt hat. Und man schon voller Spannung wartet, welche Sau man wohl als nächste durch das digitale Dorf treiben wird.


Mentale Pubertät. „Die sozialen Netzwerke sind in technischer Hinsicht angekommen“, sagt Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaften an der Universität Tübingen, der sich auf die digitale Empörungskultur spezialisiert hat. „Wir verwenden sie alle, aber wir leben gewissermaßen in einer Phase der mentalen Pubertät. Wir haben noch nicht die nötige Fantasie, was so eine Diffamierung auslösen kann.“ So wie der einzelne Autofahrer sich immer nur als Opfer im Stau sieht – aber nicht registriert, dass er selbst ein Mitgrund dafür ist, dass der Verkehr gerade zum Erliegen kommt.

Das, was seit einigen Jahren in sozialen Netzwerken passiert, nennt Pörksen „die radikale Demokratisierung der Empörungs- und Enthüllungspraxis“. Während früher nur Journalisten als sogenannte „Gatekeeper“ Befugnis und nötige Plattform hatten, sich über bestimmte Themen oder Ereignisse aufzuregen, kann das mittlerweile jeder. „Es reden jetzt eben alle mit, weil sie es können.“ Was zwar zu einer Demokratisierung der Kommunikation geführt hat, die mehr Menschen erlaubt mitzureden. Die Qualität der so entstandenen Debatten ist allerdings nicht immer die beste.

Die Lust am Kommentieren der Masse ist dabei das eine, was aber anhand von plakativen Beispielen wie eben von Sacco sichtbar wird: Die Aggressivität der Kommentare nimmt zu und geht eben bisweilen so weit, dass Menschen für ihre (manchmal lächerlichen) Fehltritte regelrecht sozialmedial hingerichtet werden. Auch für diese Neigung zum aggressiven Ad-hoc-Kommentar hat der deutsche Medienwissenschaftler Pörksen eine Erklärung: „Es ist ein Kampf um Aufmerksamkeit. Wenn es etwa in einer Sache nichts Neues zu berichten gibt, tritt allein durch die aggressive Kommentierung eine Neuigkeit ein.“ Dieses immer lauter werdende Empörungsrauschen wird uns wohl weiter erhalten bleiben. Denn „sattempört“ werden sich die Menschen vermutlich nicht so schnell haben.

Doch bei allem Pessimismus – es gibt auch Beispiele, bei denen die Empörung positive Effekte hat. Der #aufschrei vor einem Jahr hat etwa eine breite Debatte über Alltagssexismus entfacht und viel zur Bewusstseinsbildung beigetragen. Und hier zeigt sich auch der gravierende Unterschied zum Fall Sacco: Es ging darum, Verständnis für ein gesellschaftliches Problem zu wecken. Und nicht darum, eine einzelne Person fertigzumachen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2014)

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