Bascha Mika: "Die ältere Frau wird unsichtbar"

Bascha Mika
Bascha Mika Die Presse
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Die ehemalige "TAZ"-Chefredakteurin Bascha Mika hat eine Streitschrift über den Unterschied der Geschlechter beim Altern verfasst. Ihr Fazit: Frauen werden "alt gemacht", weil sie zur Konkurrenz werden.

Haben Sie schon einmal Ihr Alter verschwiegen oder sich jünger gemacht?

Bascha Mika: Ich kann mich zumindest nicht daran erinnern. Allerdings bin ich bisher auch nie mit meinem Alter hausieren gegangen. Doch nachdem ich mich mit dem Thema intensiv beschäftigt habe, bin ich unbedingt dafür, dass Frauen ihr Alter offensiv verkünden. Ich verstehe zwar, warum Frauen es nicht machen – weil es Nachteile bringt – aber das ist keine Lösung. Das Alter ist Teil unserer Identität.

Sie schreiben in Ihrem Buch „Mutprobe“ nicht über alte Menschen, sondern nur über ältere, die 40- bis 65-Jährigen. Warum?

Das Alter ist ohnehin gut erforscht, mir geht es um das Älterwerden – speziell von Frauen. Und das beginnt in unserem Kopf bereits mit 20 Jahren. Heute sorgen sich 17-jährige Mädchen, dass sie nicht mehr frisch genug aussehen.

Hatten Sie je selbst einen „Oh Gott, jetzt bin ich alt“-Moment ?

Immer wieder gibt es Momente, in denen ich mich wie 150 fühle. Die Frage ist dann aber, mit welchem Blick ich mich gerade im Spiegel ansehe – dem eigenen oder dem der anderen? Fühle ich mich alt, nur weil die Gesellschaft sagt, dass ich es bin?

Dieses Muster, dass man sich durch die Augen der anderen sieht, kennt man auch von jungen Frauen, die kritisch vorm Spiegel stehen. Was ist im Alter so anders?

Unser ganzes emanzipatorisches Gedankengut hinkt beim Älterwerden hinterher. Der Anspruch, dass Frauen ihr eigenes Bild von sich entwerfen, ist viel weniger umgesetzt als in anderen Bereichen.

Warum?

Weil die Abwertung von älteren Frauen tief verwurzelt ist. Sie stammt aus der Antike, die den Quellcode für die Software unserer Kultur geliefert hat. Man glaubt es kaum, aber die Vorurteile sind heute teilweise dieselben wie vor 3000 Jahren.

Sie kritisieren, dass Frauen und Männer im Alter verschieden bewertet werden. Sie vertreten dabei die These des „doing aging“,. Demnach ist das Alter vor allem eine soziale Zuschreibung, man wird „alt gemacht“. Spielt die Biologie beim unterschiedlichen Altern der Geschlechter gar keine Rolle?

Der Unterschied bei der Bewertung des Alters ist ausschließlich sozial bedingt. Denn die biologischen Veränderungen erleben Männer und Frauen ja ähnlich. Auch Männer durchleben eine Art Wechseljahre, aber darüber redet kein Mensch.

Männer können aber mit 70 noch einmal eine Familie gründen. Frauen nicht.

Auch bei Frauen verschiebt sich die Altersgrenze fürs Kinderkriegen nach hinten. Aber während alle applaudieren, wenn Klaus-Maria Brandauer mit 70 Vater wird, ist eine Sechzigjährige, die ein Kind bekommt, ein Skandal.

Da geht es aber ums gesundheitliche Risiko.

Das gibt es auch bei Männern. Altes Sperma birgt Risken. Außerdem ist es nicht so, dass ältere Männer sich nur deshalb mit jüngeren Frauen zusammentun, weil sie wieder eine Familie möchten. Die wollen von den jungen Frauen etwas ganz anderes. Auch dass Frauen ab einem gewissen Alter schwer einen Partner finden, hat wenig mit dem Verlust ihrer Fruchtbarkeit zu tun, sondern damit, dass Männer glauben, sie hätten das Recht, in allen Frauengenerationen zu wildern, während für Frauen ein jüngerer Partner nach wie vor ein Tabu ist. Mir geht es nicht darum, dass Männer keine jüngere Frauen haben dürfen, sondern dass für alle die gleichen Regeln gelten. Es ist eine Frage der Macht, nicht der Biologie.

Aber wie fordert man diese gleichen Regeln? Gleichen Lohn kann man fordern, dass man attraktiv gefunden wird, nur schwer.

Selbstverständlich kann ich nicht von einem Mann verlangen, dass er mich attraktiv findet. Aber: Was wir attraktiv finden, fällt nicht vom Himmel. Unser Begehren folgt einem Muster, das aktiv gesellschaftlich gestaltet wird.

Sie schreiben, es brauchte Vorbilder, um diese Muster zu ändern – z. B. prominente Frauen, die ohne Schönheits-OP altern. Reicht die deutsche Bundeskanzlerin nicht als Vorbild? Ich wüsste nicht, dass die sich Botox spritzen lässt.

Wenn man Angela Merkels Karriere verfolgt, sieht man, dass sie – wie auch andere Frauen in Spitzenpositionen – entweiblicht und entsexualisiert wurde. Es war ein regelrechter Schock für die Öffentlichkeit, als sie bei den Wagner-Festspielen tief dekolletiert erschien. Bei ihrem Vorgänger Gerhard Schröder war Sexualität nie ein Problem – er konnte ein viriler Macho sein und eine viel jüngere Frau haben. Merkels Spitzname ist hingegen „Mutti“. So nennt man kein erotisches Wesen.

Sie selbst schlagen als Vorbild Fernsehmoderatorinnen vor, die derzeit leider ab einem gewissen Alter vom Bildschirm verschwinden. Aber könnten ältere TV-Moderatorinnen wirklich die Gesellschaft ändern?

Unbedingt. Wir entwickeln unseren Blick auf die Welt im Pingpong-Spiel mit den Medien. Während es selbstverständlich ist, dass Männer auch mit über 70 vor der Kamera erscheinen, räumen Frauen ab 50 oft präventiv das Feld – Motto: Lieber gehe ich freiwillig. Die ältere Frau wird unsichtbar. Den Zuseherinnen fehlen nicht nur optische Role Models, auch inhaltlich fehlt der Blick dieser Frauen auf die Welt.

Sie gelten als Quotenfan. Brauchte es eine Quote für ältere Frauen im Fernsehen?

In letzter Konsequenz – ja, vielleicht.

Aber löst sich das Problem mit der Unsichtbarkeit dieser Frauen im öffentlichen Leben nicht ohnehin von selbst? Wenn die Älteren in der Bevölkerung in der Überzahl sind, kann man sie nicht übersehen und dann ändert sich auch das weibliche Schönheitsbild.

Das wäre großartig, aber davon bin ich nicht überzeugt, die Veränderungen passieren jedenfalls quälend langsam. Vielleicht wird Jugend, wenn sie ein rares Gut ist, ja sogar noch wichtiger.

Frauen sind an ihrer Lage auch mitschuld. Im Buch bringen Sie ein Beispiel: Wenn eine Frau eine andere mit faltigem Hals sieht, denkt sie: Die Arme sollte besser ein Tuch nehmen. Beim Mann mit faltigem Hals denkt sie sich gar nichts.

Frauen sind nicht schuld, aber sie stützen das System. Dafür haben sie auch die Verantwortung.

Was ist im obigen Fall Ihre Lösung? Sollte der Mann ein Tuch nehmen oder sollte der Frau ihr faltiger Hals egal sein?

Die Lösung kann nicht sein, dass wir bei den Männern dieselben miesen Maßstäbe anlegen, unter denen wir leiden. Die Frau soll ruhig den Hals verdecken, wenn sie mag, aber nicht, weil ihr faltiger Hals als hässlicher gilt als der eines Mannes.

Steckt hinter dieser unterschiedlichen Bewertung von Männern und Frauen eine Strategie oder ist das seit der Antike ein historischer Selbstläufer?

Natürlich steht dahinter seit jeher eine Machtfrage. Denn nicht nur Männer gewinnen mit dem Alter an Persönlichkeit, Wissen und Reife, sondern auch die Frauen. Die ältere Frau wird in einer Phase gesellschaftlich ausgeschaltet, in der sie für die Männer zur gefährlichen Konkurrenz wird.

Wenn man Frauen durch Kritik an Falten „ausschalten“ kann, heißt das aber, dass die Macht der Frau generell mit ihrer Attraktivität steht und fällt.

So einfach ist das nicht, sonst hätten ja junge Frauen viel mehr Macht. Die Machtpositionen, von denen wir reden, ergeben sich ja erst in den mittleren Jahren. Die körperliche Abwertung der älteren Frauen funktioniert auch nur deshalb so gut, weil Frauen stärker mit ihrem Körper identifiziert werden als Männer. Wird der Körper abgewertet, wird die ganze Frau abgewertet.

Heißt dann die Lösung: Frauen sollen sich stärker vom eigenen Körper entkoppeln?

Nein, es ist ja toll, dass Frauen stärker in ihrem Körper stecken und sich auch weniger gehen lassen als Männer. Aber sie brauchen auch andere Dinge, über die sie sich definieren – etwa den Beruf. Sonst bricht ihnen mit dem Älterwerden ein Teil ihrer Identität weg.

Steckbrief

Bascha Mika wurde 1954 in Polen geboren. Bekannt wurde die Journalistin und Autorin als Chefredakteurin der deutschen Zeitung „TAZ“ (1999 bis 2009). Mika ist neben Alice Schwarzer, über die sie eine kritische Biografie schrieb, eine der prominentesten deutschen Feministinnen. 2011 provozierte sie diese jedoch mit ihrem Buch „Die Feigheit der Frauen“.

Buch

„Mutprobe“ C. Bertelsmann-Verlag, 320 Seiten, 18,50 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2014)

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